Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1
chefin Erna Solberg verhandelt derzeit mit der
EU über eine Beteiligung an dem Projekt. „Es
wird sehr viel Geld kosten. Aber wenn wir ein
Versuchsland werden sollen, werden sie sich viel-
leicht an diesem Versuch beteiligen“, argumen-
tiert sie.
Auch die Regierung in Norwegen selbst muss
im kommenden Jahr noch endgültig über das
Northern-Lights-Projekt entscheiden. Gibt sie die
Fördermittel frei, kann ab 2023 oder 2024 der zu
Heidelberg Cement gehörende Zementhersteller
Norcem mithilfe des nach dem Nordlicht, der Au-
rora borealis, benannten Projekts als erstes Un-
ternehmen sein Treibhausgas bereits in der Pro-
duktionsphase abscheiden und in die giganti-
schen Reservoirs im Nordatlantik pumpen. Die
Zementindustrie steht weltweit für rund fünf
Prozent aller Treibhausgase, in etwa so viel, wie
auch die weltweite Luftfahrt ausstößt.
Für Deutschland, das seine Klimaziele aller Vo-
raussicht nach nicht erreichen wird, bietet sich
die Möglichkeit, CO 2 über die bestehenden Pipe-
lines nach Norwegen zu schicken, wenn man
selbst keine CCS-Anlagen bauen will.

Die Strategie


Norwegen, das jahrzehntelang als einer der größ-
ten Öl- und Gasexporteure für enorme Mengen
CO 2 verantwortlich war, kann als CO 2 -Speicher
für Europa eine Art Wiedergutmachung leisten
und von Kollsnes aus die Schadstoffe dorthin zu-
rückführen, woher sie kamen. Trotz oder viel-
leicht gerade wegen der Öl- und Gasexporte steht
Nachhaltigkeit für das Land seit Langem und un-
abhängig von den jeweiligen Regierungen ganz
weit oben auf der Agenda. Ein höherer Anteil an
Elektrofahrzeugen oder eine CO 2 -Steuer, worüber
in Deutschland diskutiert wird: Norwegen hat all
dies bereits.
So haben Subventionen für Elektro-Autos zu
einem Marktanteil der Stromer in Norwegen von
rund 50 Prozent geführt. Ein Tesla kostet durch
die Zuschüsse und die Befreiung von der Mehr-
wertsteuer kaum mehr als ein VW Golf mit Ben-
zinmotor. Experten sehen in den hohen Subven-
tionen und einem sehr gut ausgebauten Ladesta-
tionen-Netz den Grund für die große Akzeptanz
der E-Autos. Ein Verbot von Autos mit Verbren-
nungsmotoren wird vermutlich gar nicht nötig
sein. Auch der Fährverkehr in den Fjorden wird
derzeit elektrifiziert. Und Kreuzfahrtschiffe dür-
fen künftig nur noch in bestimmte Fjorde einlau-
fen, wenn sie einen Hybridantrieb haben. Zur
Klimaschutzstrategie zählt auch eine CO 2 -Steuer.
Während in Deutschland noch über ihre Ein-
führung diskutiert wird, gibt es diese Steuer in
Norwegen bereits seit 1991. Die Steuer ist unter-
schiedlich hoch, je nach Branche und Sektor. Für
die meisten Energieträger beträgt sie umgerech-
net rund 51 Euro pro Tonne CO 2. Auch der inner-
norwegische Flugverkehr ist von der CO 2 -Steuer
nicht ausgenommen. Die Einführung der
CO 2 -Steuer vor fast 30 Jahren wurde von einer
breiten Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert —
auch deshalb, weil die Regierung gleichzeitig an-
dere Steuern wie Erbschaft- und Kapitalertrag-
steuern senkte. Die Belastung für den Einzelnen
stieg also nicht durch die Einführung der
CO 2 -Steuer.
Oslo ist in diesem Jahr die Ökostadt der EU. Die
Hauptstadt will die CO 2 -Emissionen bis Ende
2020 im Vergleich zum Niveau von 1990 um 36
Prozent senken. 2030 sollen gar 95 Prozent der
Emissionen eliminiert sein. Oslo arbeitet dafür
streng nach einem Klimabudget. CO 2 -Ausstoßzah-
len werden ebenso streng verbucht wie monetä-
re Budgetausgaben.
Klimaschutz hat vielleicht gerade wegen der
hohen Emissionen durch die Öl- und Gasförde-
rung mittlerweile bereits Tradition in Norwegen.
Schon 1987 gab die ehemalige Regierungschefin
Gro Harlem Brundtland im Auftrag der Vereinten
Nationen den sogenannten Brundtland-Bericht
heraus, in dem erstmals der Begriff der Nachhal-
tigkeit definiert wurde. Von Kollsnes aus können
jetzt den Worten die Taten folgen.

Gasbohrinsel von
Statoil: Mit dem
CCS-Verfahren
wird vor der nor-
wegischen Küste
Kohlendioxid in
alte Öl- und Gas-
felder gepumpt.

REUTERS

die Lagerung des Kohlendioxids eignen. An dem
Projekt sind die Energiekonzerne Equinor (vor-
mals Statoil), Shell und Total beteiligt.
Der Klimarat der Vereinten Nationen geht da-
von aus, dass die in Paris beschlossenen Klima-
ziele ohne CCS nicht mehr zu erreichen sind.
Auch das Umweltbundesamt erklärte im vergan-
genen Jahr, es sei strittig, „ob globale Klima-
schutzziele international langfristig ohne CCS er-
reicht werden können“.
Vor einigen Jahren gab es in Deutschland je-
doch massive Proteste gegen vier geplante CCS-
Testanlagen. Kritiker der Technologie befürchte-
ten eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohle-
kraftwerken, da man ja das CO 2 abscheiden
würde. Mit dem beschlossenen Kohleausstieg
fällt dieses Argument weg. Es bleibt aber die
Furcht, das gespeicherte CO 2 könnte irgendwann
wieder entweichen und dann die Umwelt schädi-
gen. „Eine Zeitbombe im Boden“ nennen die Kri-
tiker die CO 2 -Speicher. Bislang gibt es in Deutsch-
land nur eine einzige CO 2 -Speicher-Testanlage in
Ketzin im Havelland.

Die Vision


In den riesigen Öl- und Gasfeldern vor der nor-
wegischen Küste könnten Equinor-Berechnun-
gen zufolge die CO 2 -Emissionen sämtlicher EU-
Länder über die kommenden 300 bis 400 Jahre
dauerhaft aufgenommen werden. Allerdings ist
die Technologie der CO 2 -Speicher unter dem
Meeresboden kompliziert und vor allem kost-
spielig. In Norwegen rechnet die Regierung mit
Investitionen von mehreren Milliarden Euro.
Langfristig aber hofft das Land, mit der
CO 2 -Speicherung Geld zu verdienen. „Theore-
tisch können wir sämtliche Emissionen der euro-
päischen Industrie hier im Nordatlantik
speichern“, sagt Trude Sundset, Chefin der staat-
lichen Behörde Gassnova, die das Northern-
Lights-Projekt betreut. „Das Problem sind nicht
fehlende Lagerkapazitäten, sondern das Ge-
schäftsmodell. Es muss kommerziell vertretbar
sein.“ Die konservative norwegische Regierungs-

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Der Kampf gegen
die Erderwärmung
kann nur gewonnen
werden, wenn die
Länder der Welt ihr
Wissen und ihre An-
strengungen bündeln.
Das Handelsblatt
stellt Klimapioniere
und ihre Projekte
sowie die Umwelt-
strategie ihrer
Heimatländer vor.

Kommenden
Dienstag:
Biogas und Solar-
energie in Südafrika

700


TAUSEND


Tonnen CO 2
werden im Erdgasfeld
Hammerfest jährlich
bei der Föderung
abgeschieden
und umgehend an
die Quelle zurück-
geführt.

Kjell-Börge Freiberg


„Ohne CCS geht


es nicht“


Ein glaubwürdiges Szenario zur Erreichung
der Klimaschutzziele ist nach Überzeugung
des norwegischen Energieministers zwingend
mit der unterirdischen Speicherung von CO 2
verbunden.

Herr Freiberg, welche Rolle wird Norwegen
bei der Diversifizierung der deutschen und
europäischen Erdgasversorgung spielen?
Unser wichtigster Beitrag ist es, ein stabiler
Gaslieferant für Europa zu bleiben. Norwegen
deckt rund 30 Prozent des gesamten deut-
schen Gasbedarfs. Wir haben große Reserven,
um noch lange Zeit Gas nach Deutschland zu
liefern.

Lange Zeit – was bedeutet das? Wo liegen die
Grenzen, und wann werden sie erreicht?
Wir sprechen von Jahrzehnten. Bisher hat
Norwegen in den letzten vier Jahrzehnten
erst etwas mehr als ein Drittel seiner ge-
schätzten Gasressourcen produziert.

Deutschland hat den Kohleausstieg beschlos-
sen. Welche Rolle spielen Gaskraftwerke als
Ersatz für Kohlekraftwerke?
Eine der effizientesten Möglichkeiten, die
CO 2 -Emissionen zu reduzieren, ist der Ersatz
von Kohle durch Gas. Erdgas statt Kohle be-
deutet eine CO 2 -Reduktion von bis zu 50 Pro-
zent. Weltweit und auch in Europa sehen wir
immer noch einen hohen Kohleverbrauch. Es
ist zu begrüßen, dass Deutschland einen
Schritt in Richtung Kohleausstieg macht. Ich
bin sicher, dass die Bedeutung von Erdgas in
Deutschland zunehmen wird.

Norwegen hat früh mit der CO 2 -Speicherung
begonnen. Wird für Norwegen ein Geschäfts-
modell daraus, CO 2 aus anderen Ländern, et-
wa aus Branchen wie der Stahlindustrie, zu
speichern?
Ja, absolut. Wir alle wissen, dass es kein glaub-
würdiges Szenario gibt, um die CO 2 -Ziele ohne
den umfassenden Einsatz der Abscheidung
und Speicherung von CO 2 (CCS) zu erreichen.
Das norwegische CCS-Projekt hat großes Po-
tenzial für die europäische Kooperation. Tat-
sächlich ist eine europäische Zusammenarbeit
notwendig, damit dieses Projekt funktioniert.
Es ist mit einer flexiblen Transportlösung und
einer flexiblen Lagerlösung konzipiert. Dies
könnte der erste Schritt zur Entwicklung eines
CCS-Hubs in der Nordsee sein.

Welche CO 2 -Preise benötigen Sie, damit das
funktioniert?
Am Anfang sind die Kosten hoch. Aber ich bin
sicher, dass wir sie deutlich senken und ein
Geschäft daraus machen können. Aber das ist
natürlich schwer vorherzusagen. Was wir wis-
sen, ist, dass CCS notwendig ist, um unsere
Klimaziele zu erreichen.

Es sind zwei Stromkabel von Norwegen nach
Deutschland geplant. Welche Rolle spielen
diese Kabel für den Strommarkt?
Deutschland und Norwegen werden davon
profitieren. Norwegische Wasserkraft ist ein
ausgezeichneter Anbieter von Flexibilität für
das europäische Stromnetz. Mit wachsen-
dem Anteil von Wind und Sonne an der
Stromerzeugung werden die beiden Kabel
immer wichtiger. Ebenso kann Norwegen an
Tagen mit viel Wind oder Sonne Über-
schussproduktion aus Deutschland im-
portieren.

Die Fragen stellte Klaus Stratmann.


Kjell-Börge
Freiberg:
„Europäische
Zusammenarbeit
notwendig.“

Ilja C. Hendel/laif


Wirtschaft & Politik


DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144


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