Handelsblatt - 30.07.2019

(Nandana) #1
Jan Hildebrand, Klaus Stratmann
Berlin

A

nlässlich seines Amtsan-
tritts als Wirtschaftsmi-
nister hat es Peter Alt-
maier an großen Wor-
ten nicht mangeln las-
sen. „Ich verstehe mich als Minister
für den Mittelstand“, sagte der CDU-
Politiker im März vergangenen Jah-
res. „Mein Ziel ist es, das Bundeswirt-
schaftsministerium als Mittelstands-
ministerium zu positionieren.“
Ein gutes Jahr später ist davon
nicht viel übrig. Geschehen ist wenig,
das Verhältnis des Ministers zum Mit-
telstand gilt als zerrüttet. Unterneh-
mer und ihre Verbände sind ent-
täuscht von „ihrem“ Minister. Was
anfangs noch hinter vorgehaltener

Hand bemängelt wurde, wird mittler-
weile ganz offen ausgesprochen.
Den bisherigen Höhepunkt er-
reichte die Kritik an Altmaier in die-
sem Frühjahr durch Äußerungen von
Reinhold von Eben-Worlée. Der Prä-
sident des Familienunternehmer-Ver-
bands hatte im April kritisiert, mit
der zu Jahresbeginn vorgestellten In-
dustriestrategie habe der CDU-Politi-
ker „das Wirtschaftsministerium be-
schädigt“. Aus Sicht des Familien -
unternehmer-Präsidenten hat sich
Altmaier mit seiner Industriestrategie
auf die Großunternehmen fixiert.
Kurz darauf lud Altmaier einige
Präsidiumsmitglieder des Familien-
unternehmer-Verbands zu einem
abendlichen Treffen ins Ministerium
ein, um bei gutem Essen und einem
Glas Wein die Wogen zu glätten. Auch

in den Wochen darauf ließ Altmaier
keine Gelegenheit aus, den Mittel-
ständlern zu versichern, dass er sich
für ihre Belange einsetze.
Bisher gab es bei vielen Unterneh-
mern allerdings Zweifel, ob den
freundlichen Worten auch Taten fol-
gen werden. Nun mehren sich deutli-
che Signale, dass Altmaier tatsächlich
einen Neustart versuchen will. Da-
rauf deuten Personalentscheidungen
in seinem Ministerium.
Nach Informationen aus Regie-
rungskreisen will er Philipp Birken-
maier, bislang Geschäftsführer des
Parlamentskreises Mittelstand der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, als Lei-
ter eines Strategiereferats für Mittel-
standsfragen in sein Ministerium ho-
len. Die neue Stelle liegt bereits im Fi-
nanzministerium zur Genehmigung.

Das Bundeswirtschaftsministerium
erklärte auf Anfrage, man beteilige
sich nicht an Personalspekulationen.
Beobachter werten die Personalie
als starkes Signal, das in die Unions-
fraktion, aber auch nach außen wir-
ken soll. Altmaier will nach dem ver-
lorenen Jahr und der scharfen Kritik
nun offenbar mit Politik für die Wirt-
schaft punkten. Lange Zeit war spe-
kuliert worden, ob der Merkel-Ver-
traute angesichts der Glücklosigkeit
im Wirtschaftsministerium nicht
nach Brüssel wechseln könnte. Mitt-
lerweile ist klar, dass es dazu nicht
kommt. Und Altmaier scheint jetzt
noch mal als Wirtschaftsminister
durchstarten zu wollen.

Weitere Personalien
Die Verstärkung durch Birkenmaier,
möglicherweise schon im August, kä-
me zu einem günstigen Zeitpunkt.
Derzeit ist Altmaier dabei, sein Indus-
triekonzept zu überarbeiten. Im
Herbst will er die neue Version vorle-
gen – und die soll ausdrücklich den
Mittelstand berücksichtigen. So will
der Wirtschaftsminister verloren ge-
gangenes Vertrauen bei den Unter-
nehmern zurückgewinnen. Wenn die
Wirtschaftsvertreter Altmaier eine
zweite Chance geben, scheint der Mi-
nister entschlossen, sie zu nutzen.
Mit einer weiteren Personalie an
einer der Schaltstellen des Ministeri-
ums setzt Altmaier ebenfalls ein
deutliches Zeichen: Nachfolgerin von
Urban Rid, der unter Ex-Bundeswirt-
schaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)
Leiter der Abteilung III („Energiepoli-
tik – Strom und Netze“) geworden
war, soll nach Informationen des
Handelsblatts aus Koalitionskreisen
Stephanie von Ahlefeldt werden. Die
Ökonomin arbeitet bislang im Bun-
destagsbüro von Unionsfraktionsvize
Carsten Linnemann (CDU). Linne-
mann ist zugleich Bundesvorsitzen-
der der Mittelstands- und Wirt-
schaftsvereinigung der CDU/CSU
(MIT). Zuvor arbeitete von Ahlefeldt
im Büro des langjährigen Unionsfrak-
tionsvizes Michael Fuchs (CDU), da-
vor auch einige Jahre im Bundeswirt-
schaftsministerium.
Das Bundeswirtschaftsministerium
äußerte sich auf Anfrage nicht zu der
Personalie. Nach Angaben aus Koaliti-
onskreisen bedarf der Wechsel von
Ahlefeldts ins Bundeswirtschafts -
ministerium noch der Bestätigung
durch das Bundeskabinett.
Der Wechsel von Rid zu von Ahle-
feldt käme einem Kurswechsel
gleich. Rid, der das Pensionsalter be-
reits erreicht hat, war vor seiner Zeit
im Wirtschaftsministerium Abtei-
lungsleiter im Bundesumweltministe-
rium. Er gehörte zu den engen Ver-
trauten des langjährigen Umwelt-
und Wirtschaftsstaatsekretärs Rainer
Baake. Baake, Mitglied der Grünen,
zählt zu den profiliertesten und
durchsetzungsstärksten deutschen
Energie- und Klimapolitikern der ver-
gangenen Jahrzehnte. Baake hat der
Energiewende wie kein Zweiter sei-
nen Stempel aufgedrückt. Er hatte im
März vergangenen Jahres seinen
Rücktritt eingereicht. Dabei dürfte
ausschlaggebend gewesen sein, dass
er nicht unter einem CDU-Minister
Staatssekretär sein wollte.
Rid wurde von vielen Beobachtern
als eine Art „Testamentsvollstrecker“
Baakes gesehen – sehr zum Verdruss
großer Teile der Wirtschaft. Insbe-
sondere der industrielle Mittelstand

Bundeswirtschaftsministerium


Altmaier geht auf


den Mittelstand zu


Der Minister besetzt Schlüsselpositionen seines Hauses mit Leuten des


Wirtschaftsflügels der Union. Für Ende August plant er eine Mittelstands-Reise.


Peter Altmaier:
Die Personalveränderungen
des Wirtschaftsministers bedeuten
einen Strategiewechsel.

Florian Gaertner/imago images/photothek

Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 30. JULI 2019, NR. 144

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