Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

35


Sie habe jetzt manchmal Angst um ihre Partei, sagt Renate Schmidt

sie mir zwei Bücher von Professor Thüring auf den Tisch
geknallt, damit sollte ich Programmieren lernen.
Dann kam der Mutterschutz und das erste Kind.


Und die dachten, jetzt hat es sich erledigt. Und dann kam
ich wieder, zehn Wochen nach der Geburt, ich hatte noch
zwei Wochen unbezahlten Urlaub genommen. 1962 war
das nahezu ein Skandal, dass eine Mutter von einem drei
Monate alten Säugling arbeitet. Meine Kollegen wussten
nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Die haben mir also
wieder diese Bücher hingelegt. Ich hatte aber erfahren, dass
alle Männer einen Lehrgang hatten. Und dann habe ich
zu meinem Chef gesagt: »Ich möchte auch so einen Lehr-
gang.« Und er sagte: »Aber den gibt es nur in Frankfurt
oder Düsseldorf, und da können Sie nicht hin, denn Sie
haben ja ein kleines Kind.« Und da habe ich gesagt: »Sie
interessieren sich sonst auch nicht dafür, wo dieses kleine
Baby ist. Das lassen Sie mal meine Sorge sein, ich möchte
so einen Lehrgang.« So flüssig wie jetzt habe ich das natür-
lich nicht gesagt. Ich bin bestimmt rot geworden und habe
gestottert und so. Aber ich habe den Lehrgang bekommen,
und dann habe ich Programmieren gelernt und habe mein
erstes Programm geschrieben. Das ist ziemlich schnell ge-
laufen, und plötzlich waren die Kerle so stolz auf mich, als
ob sie mich gemacht hätten.
Im Nachhinein klingt das lustig, aber war das nicht


schrecklich?
Das waren ein paar Monate meines Lebens. Und ich habe
einen Mann gehabt, den ich geliebt habe, ich habe ein Kind
gehabt, das ich geliebt habe, ich hatte eine Schwiegermutter,
eine Mutter, die sich um das Kind gerissen haben, sodass
wir auch mal ins Kino gehen konnten. Mir ging’s blendend.


Haben Sie das damals auch so gesehen?
Ja. Wir hatten dann die erste kleine Wohnung, wir konn-
ten Freunde einladen – ich fand mich wunderbar!
Das ist vielleicht auch ein Erfolgsgeheimnis ...


... sich selbst auch zwischendrin mal gut finden!
So wie Sie es damals gemacht haben, haben es die Frau-


en lange gemacht: die blöden Witze der Männer entweder
überhört oder weggelacht. Heute sagen die jungen Frauen:


Wir wollen das nicht mehr, wir fühlen uns belästigt.
Damals waren die Machtverhältnisse anders. Es ist gut, dass
das heute – meist – anders ist und sich die Frauen wehren.
Schmerzt es im Nachhinein, dass Sie sich nicht so wehren


konnten?
Also, wehrlos war ich damals auch nicht. Einmal hat ein
Kollege vor einem Parteitag gesagt, er wüsste jetzt schon
genau, wie das wieder läuft. Da würden die Frauen mit
tief ausgeschnittenem Dirndl kommen, würden sich vor-
beugen und sagen: »Ich bin gegen die Nachrüstung«, und
schon wären sie mit einem guten Ergebnis in den Landes-
vorstand gewählt. Und da habe ich gesagt: »Weißt du was,
dann mach dir doch ein Klarsichtfenster in die Hose und
sag, dass du gegen die Nachrüstung bist, dann wirst du
auch gewählt!«
Hat es Ihnen geholfen, dass Sie eine hübsche Frau sind?


Na ja. Es ist generell sicherlich kein Nachteil, angenehm
auszuschauen. Aber bei Frauen ist es manchmal so, dass
sie deshalb nicht ernst genug genommen werden. Ich bin
immer mit den Attributen »Schmollmund und Locken«
versehen worden. Und das nervt, vor allem wenn das Argu-
ment untergeht. Meine erfolgreichste Rede im Deutschen
Bundestag führte übrigens zu der Überschrift »Zur Sache,
Schätzchen« und sogar zu einer Doktorarbeit.
Wie kam das?
In einer Rede zur Nachrüstung war ich in einer Viertel-
stunde Redezeit laut Protokoll 54-mal unterbrochen wor-
den. Da können Sie nicht mehr vernünftig reden. Ich fragte
mich: Geht das den anderen auch so? Und dann habe ich
festgestellt: Immer wenn Frauen im Deutschen Bundestag
das Wort zu Themen ergriffen haben, von denen die Män-
ner glaubten, da hat eine Frau nichts zu suchen, stieg die
Zahl der Zwischenrufe. Michael Glos von der CSU etwa
rief einmal der Anke Martini zu: »Sie sehen auch besser aus,
als Sie reden«, das gesamte Parlament brach in Gelächter
aus. Und weil’s so lustig war, gleich noch mal. Da bin ich
anschließend zu ihm hin und habe gesagt: »Warum machen
Sie so was?« Und er: »Ja, das war doch ein Kompliment.«
Und darüber haben Sie eine Rede gehalten ...
Ja, das habe ich zum Thema gemacht. Wie vorher Wal-
traud Schoppe von den Grünen, die hatte vom alltäglichen
Sexismus in diesem Parlament geredet. Ich habe als Ein-
zige von den Nicht-Grünen geklatscht. Später kam Paul
Hofacker von der CDU zu mir und sagte: »Sie sind doch
ein gestandenes Weibsbild, wir haben doch hier keinen
Geschlechtsverkehr, wieso klatschen Sie denn da?« Und
ich habe gesagt: »Herr Hofacker, das hat nichts mit Ge-
schlechtsverkehr zu tun, sondern damit, wie hier Frauen
behandelt werden.« Michaela Geiger kam zu mir und hat
gesagt: »Liebe Renate Schmidt, Gott sei Dank, dass Sie das
gesagt haben, ich könnte mir in der CSU so was nicht leis-
ten.« Ich hatte einen Nerv getroffen.
Wir wollen hier mal einen Bogen zur SPD spannen, weil es
nach dem Rücktritt von Andrea Nahles hieß, sie sei auch des-
halb unfair behandelt worden, weil sie eine Frau sei. Woran
ist sie gescheitert: mehr an sich selbst oder an ihrer Partei?
Am allerwenigsten daran, dass sie eine Frau ist. Ihr Schei-
tern hat vor allem strukturelle Gründe. Ich habe sie ge-
wählt, weil sie gesagt hat, dass die Systemfrage in neuer
Form wieder gestellt werden müsse. Und das ist wahrhaftig
richtig. Aber sie hat sie nicht stellen können, weil sie in
einer Doppelfunktion war. Als Parteivorsitzende hätte sie
das gemusst, um uns mal wieder ein Stück nach vorn zu
bringen. Und als Fraktionsvorsitzende hatte sie die Aufgabe,
den Regierungsmitgliedern den Rücken frei zu halten. Und
dann hat die zweite Aufgabe die erste immer mehr über-
lagert, und damit kam Enttäuschung auf. Und wir haben
uns zu sehr im Klein-Klein verloren.
Was heißt das: die Systemfrage stellen?
In den letzten 50 Jahren haben wir 20 Jahre den Bundes-
kanzler gestellt und 13 Jahre als Juniorpartner mitregiert,
Free download pdf