Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

A


lexander Falk ist ein bekannter,
ein reicher Mann, noch immer,
und er ist ein privater, ein dis-
kreter Mann, meistens. Manch-
mal schießt sich Alexander Falk
aber auch vor aller Augen selbst
ins Knie, was in dieser Ge-
schichte zweifellos eine unpassende Metapher ist.
Denn ins Bein geschossen wurde nicht ihm, son-
dern einem anderen.
Es gibt wenige öffentlich zugängliche Fotos
von Alexander Falk. Das aktuellste stammt aus
dem Sommer 2018, und Alexander Falk ist darauf
kaum zu erkennen. Er trägt ein kariertes Hemd,
mit gebeugtem Rücken und geducktem Kopf sitzt
er auf der Rückbank einer schwarzen Limousine.
Wenige Minuten zuvor hat ihn die Polizei in sei-
nem Büro in einer Patriziervilla an der Hamburger
Prachtstraße Pal maille festgenommen, der Haft-
befehl des Amtsgerichts Frankfurt trägt das Datum


  1. August 2018.
    Alexander Falk war in den Neunzigerjahren,
    während des Internet-Booms, an die Spitze der
    sozialen Pyramide Deutschlands aufgestiegen. Da-
    ran, viel Geld zu haben, war Falk von Geburt an
    gewöhnt gewesen, sein Start ins Leben war geprägt
    vom Geld, das sein Vater verdient hatte. Die Falks,
    das ist die Familie der zu Taschenbüchern gefalte-
    ten Stadtpläne – so ziemlich jeder Haushalt in
    Deutschland hatte in den Siebziger-, den Achtzi-
    ger- und auch noch den frühen Neunzigerjahren
    einen Falkplan oder mehrere. Seit einem Jahr sitzt
    Alexander Falk nun in der Justizvollzugsanstalt
    Frankfurt am Main I, die im Planquadrat P15 des
    aktuellen Falkplans zu finden ist.
    Schon wieder U-Haft.


Vor 15 Jahren lautete der Vorwurf: Betrug.
Diesmal fallen die Wörter Mordversuch und Kör-
perverletzung. »Der Beschuldigte« ist »dringend
tatverdächtig, (...) versucht zu haben, einen ande-
ren anzustiften, aus Habgier einen Menschen zu
töten«, so steht es im Haftbefehl. Um einen angeb-
lichen Auftragskiller geht es, um abgehörte Ge-
spräche, um Erpressung und um einen mut maß-
lichen V-Mann.
Unstrittig ist dies: »Sehr geil« nannte Alexander
Falk jenen Schuss, der ihn am Ende ins Gefängnis
gebracht hat. Vieles andere, was Falk vorgeworfen
wird, ist keineswegs erwiesen. Der Fall Alexander
Falk ist zur Gangstergeschichte geworden – einer
Geschichte, in der nicht immer klar ist, wer der
Gangster und wer bloß Zeuge ist und wer womög-
lich doch eher Opfer als Täter.
Alexander Gerhard Falk wurde 1969 in Ham-
burg-Blankenese geboren – einem Stadtteil, so
weit draußen im Grünen und am Wasser, dass
man im Falkplan auf Nebenkarte VI blättern
muss. Als Kind erlebte Alexander, wie der Vater
Gerhard mit seinen 1945 erfundenen, raffiniert
geschnittenen und geknickten Stadtplänen reicher
und immer noch reicher wurde. Die Falks, nach
eigenem Verständnis zurückhaltend, fleißig, also
hanseatisch, lebten an der Elbchaussee. Es war
kein alter Reichtum, keiner, der nach hansestädti-
scher Art über Generationen gewachsen wäre,
sondern ein Reichtum, der auf einem sagenhaften
Erfolg des deutschen Wirtschaftswunders gründe-
te. In Hamburg wurden die Falks dafür eher be-
wundert als beneidet.
Ein Freund sagt, Alexander Falk habe »als Kind
schon verinnerlicht, dass es für ihn keine Grenzen
gibt«. Ein anderer äußert, Vater und Sohn hätten

keine wirklich warme Beziehung gehabt, aber eine
Verbindung, die von Sport, Reisen und der Liebe
zum Abenteuer getragen wurde. Sie hatten nur viel
zu wenig Zeit.
Alexander war neun Jahre alt, als der Vater
beim Strandsegeln auf Sylt einen Herzinfarkt erlitt
und starb.
Der Erbe, nach Jahren der Trauer und Verstö-
rung ein selbstbewusster junger Mann, sagte vo-
raus, dass Computer kommen und das gefaltete
Papier verschwinden lassen würden. Alexander
Falk erklärte in Gesprächen mit Journalisten das
Familienunternehmen zu einem »zutiefst un-
sportlichen Laden ohne Innovationskultur« und
verkaufte es für 25 Millionen Euro an Bertels-
mann. War dies der Bruch mit dem toten Vater,
die Spucke des Sohnes auf dessen Grab? In der
Familie soll es diese Sichtweise gegeben haben.
Alexander Falk selbst, das sagt ein alter Freund,
sah es eher so, dass er nur auf diese Weise den An-
sprüchen des Vaters gerecht werden konnte: mit
einer eigenen Idee, auf einem neuen Spielfeld, mit
noch mehr Geld.
Er zahlte seine Schwestern aus und gründete
sein eigenes Unternehmen, einen Internet-
Dienstleister, und dann noch eines und noch
eines. Weitere Firmen kaufte er hinzu. All das
fiel in die Jahre des Neuen Marktes, in denen
alles Digitale als schick galt und rasant teurer
wurde. Aus fünf Mitarbeitern seiner Firma Ision
wurden zehn, dann 40, dann 800, die bald 100
Millionen Euro Umsatz erarbeiteten.
Ein modernes deutsches Märchen. Glaubt man
Begleitern jener Jahre, blieb Falk trotz seines Auf-
stiegs gelassen: Der Wohnsitz in Südafrika, eine
Farm, kam halt einfach hinzu, er arbeitete viel und

war auch ein Familienmensch – Falk ist fünffacher
Vater. Glaubt man eher Falks Gegnern aus jener
Zeit, dann entwickelte er mit den Jahren eine un-
angenehme Arroganz: Die Ausgrenzung angeblich
fauler Mitarbeiter durch den Chef (»Alle mal her-
hören, Kollegin X hatte einen Gedanken«) sei Be-
rufsalltag gewesen.
Dann: der Triumph. Im März 2000 brachte
Falk die Ision AG an die Börse, neun Monate spä-
ter verkaufte er sie für 772 Millionen Euro an die
britische Telekommunikationsgruppe Energis. In
der Rückschau sagt es sich leicht: Wie konnten die
Briten so blöd sein?
Damals aber kamen solche Geschäfte etlichen
Leuten sinnvoll vor. Energis zahlte 562 Millionen
Euro in Aktien und 210 Millionen in bar. Rund
84 Millionen Euro aus diesem Verkauf gingen an
Falk und dessen Holding. Nun war der mit 31 Jah-
ren immer noch sehr junge Falk einer der hundert
reichsten Deutschen.

S


ascha, wie sie ihn in der Seglerszene
nannten, kaufte die Flica II von 1939,
eines der elegantesten Schiffe der 12mR-
Klasse. Auf diesen Schiffen wurde einst
der berühmte America’s Cup gesegelt,
weil sie zwar etwa 27 Tonnen schwer sind, aber
dank einer gewaltigen Segelfläche und eines ge-
schmeidigen Rumpfes rauschhaft schnell werden


  • wenn jedes der rund 16 Crewmitglieder im kor-
    rekten Moment tut, was zu tun ist, und wenn der
    Mann am Ruder weiß, wann er welches Komman-
    do zu geben hat. Der Mann am Ruder – das war
    Alexander Falk. Die Flica, schwarzer Aggressor
    zwischen weißen und holzbraunen Schiffen, war
    bei internationalen Regatten konkurrenzfähig.


Falks Freundeskreis wuchs. Schnell wurden Ge-
schäftspartner zu Freunden zu Crewmitgliedern
oder auch andersherum.
Aus Gesprächen mit Falks Gegnern und Weg-
gefährten ergibt sich ein Bild dieses Mannes in
jenen Jahren. Risikofreude, Selbstvertrauen und
Kreativität scheinen Falks Stärken gewesen zu
sein. »Aber er hat auch geglaubt, dass einer wie er
keine Demut, keine Höflichkeit braucht«, sagt
einer seiner Freunde. Ist Hybris also die Schwäche
des frühen Überfliegers? Der Freund nickt zöger-
lich. Als mitunter aufbrausend beschreibt sein
Umfeld Alexander Falk, aber ebenso als groß-
zügig, mutig, witzig.
Er war der Eigner, Skipper, Chef, unangefoch-
ten. Und dann war er all das nicht mehr.
Energis, der Ision-Käufer, verklagte Falk. Er
habe vor dem Verkauf seiner Firma die Zahlen
manipuliert. Es kam zu jenem ersten Strafprozess
wegen Betrugs, Falk wurde zu vier Jahren Ge-
fängnis verurteilt. Für sieben Jahre kehrte er da-
nach in die Freiheit zurück, zu seiner Familie und
auf die Regattabahnen. Dann, vor einem Jahr, die
erneute U-Haft.
Rein in den Knast, raus aus dem Knast, dann
wieder rein – und jetzt?
Falks Freunde skypen oder schreiben ein an-
der, und manchmal sitzen sie auf dem Achter-
deck seines Schiffes, in Flensburg oder Kiel.
Meist reden sie übers Segeln, aber hin und wieder
auch über den einen, der fehlt. Sie sagen, sie
glaubten es nicht: ein Mordauftrag? »Alexander
ist ein harter Typ, Sportler, wenn er sauer ist,
fordert er dich morgens um fünf zum Duell,

50 Jahre Woodstock:


Der Mythos,


das Geschäft und


die Folgen bis heute


Seite 16

Risikofreudig, mutig, einer, der nie Grenzen kannte – so beschreiben Weggefährten Alexander Falk

Fa l k s Pla n


Hat der Erbe und Internet-Unternehmer Alexander Falk, einst einer der hundert reichsten Deutschen, einen Mordauftrag erteilt?


Die Frankfurter Staatsanwaltschaft geht davon aus. In diesem Drama aber gibt es mehrere Gangster VON KLAUS BRINKBÄUMER UND DANIEL MÜLLER; ILLUSTRATIONEN: KARLOTTA FREIER


DOSSIER

Fortsetzung auf S. 12

Foto: Visum 11



  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 33

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