Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 33 WIRTSCHAFT 19


DIE ZEIT: Herr Mastiaux, sie sind Chef eines der
größten deutschen Energiekonzerne. Wie viel
strom verbrauchen sie so privat?
Frank Mastiaux: standard. Also etwa 3500 Kilo­
wattstunden pro Jahr, mit drei Personen. Das weiß
ich zufällig, weil ich neulich den Zähler bei uns
abgelesen habe.
ZEIT: und ist das Ökostrom?
Mastiaux: Ich habe einen grundversorgungstarif.
Wie hoch der Anteil Ökostrom ist, weiß ich im
Moment nicht genau.
ZEIT: sie haben Atomkraftwerke stilllegen las­
sen, in solarparks und Windkraftanlagen inves­
tiert. Von manchen werden sie dafür regelrecht
als umweltheld gefeiert. Würden sie sich selbst
auch so nennen?
Mastiaux: sicher nicht. Der umbau des unter­
nehmens kommt zwangsläufig der umwelt zugute.
Aber es ist ein schönes gefühl, etwas unzweifel­
haft Positives zu tun. Ich war lange im Ölgeschäft,
und da musste man sich oft verteidigen, wenn ein
Konzern nicht umweltfreundlich oder in Ländern
mit fragwürdigem Regime unterwegs war. Das
habe ich als belastend erlebt. Aber es geht ja nicht
nur darum, die Welt zu retten. Ich will einen ver­
nünftigen Job machen.
ZEIT: Allerdings haben sie Ihren Job 2012 über­
nommen, kurz nach dem Atomunglück in Fu ku­
shi ma. EnBW hatte damals die meisten Kernkraft­
werke in Deutschland, Ihr geschäft hing zu 61
Prozent von dieser Energie ab. Man könnte auch
sagen: sie waren zu Reformen gezwungen.
Mastiaux: sie haben recht, das unternehmen stand
unter massivem Druck. Aber wie man darauf rea­
giert, ist eine andere Frage. Wir haben damals zwei
Alternativen gesehen. Entweder abwarten und
hoffen, dass die alte Welt zurückkommt. Es gibt ja
immer Leute, die sagen, es regnet nur die nächsten
zehn Minuten. Danach scheint die sonne, und wir
können die Regenschirme wieder wegpacken.
Oder man sagt: Wir machen das unternehmen
jetzt dauerhaft regenfest. so haben wir es gemacht.
ZEIT: sie steckten in einer ähnlichen situation wie
heute Ihre Konkurrenten, RWE etwa, mit dem
Kohleausstieg. Haben sie einen tipp für sie?
Mastiaux: Wie die das machen sollen? Da möchte
ich keine Ratschläge erteilen.
ZEIT: Okay, dann formulieren wir es anders: Ihr
unternehmen steht heute wirtschaftlich sogar
besser da als vor dem Wandel. Wie haben sie das
geschafft?
Mastiaux: Wir haben nicht darauf spekuliert, dass
zum Beispiel die Regierung uns aus der Patsche
hilft. Beim Kohleausstieg wird ja auch über Ent­
schädigungszahlungen verhandelt. Wer seine
Kraftwerke bisher nicht stillgelegt hat, könnte jetzt
sagen: Wunderbar, die Regierung kommt mit dem
großen Portemonnaie. Wir haben uns frühzeitig
anders entschieden und einen großen teil unserer
Kohlekraftwerke zur stilllegung angemeldet.
ZEIT: Aber gleich hier auf dem gelände in Karls­
ruhe betreiben sie noch ein Kohlekraftwerk. Die­
ser strom macht zusammen mit Kernenergie und
Erdgas knapp 20 Prozent ihres gesamten Konzern­
geschäfts aus, zu dem auch das Betreiben von Net­
zen gehört. Die Erneuerbaren kommen auf einen
Anteil von 14 Prozent.
Mastiaux: Ja eben, 20 Prozent. Vor acht Jahren
hatten wir noch mehr als 85 Prozent Atom­ und
Kohlestrom. Wenn sie uns mit der Branche ver­
gleichen, haben wir schon einen weiten Weg hin­
ter uns. Aber als Manager haben sie auch eine
Verantwortung, dass Ihr unternehmen wett­
bewerbsfähig bleibt und die Arbeitsplätze erhalten
werden. Ein großer Offshore­Windpark kostet
deutlich mehr als eine Milliarde Euro, die muss
man auch irgendwoher nehmen – und zwar aus
dem bestehenden geschäft.
ZEIT: Beim Kohleausstieg argumentieren viele mit
den Jobs der Kumpel in der Lausitz oder im Rhein­
land. Aber die Erderwärmung ist spätestens seit
den siebzigerjahren bekannt, das Erneuerbare­
Energien­gesetz seit 2000 in Kraft. Hätten die
unternehmen nicht viel früher reagieren müssen,
auch im sinne ihrer Beschäftigten?
Mastiaux: Das ist eine interessante Frage. Als die
Energiewende beschlossen wurde, war ich noch
nicht in der Branche, und offen gesagt, ich habe
mich auch gewundert. Erklären kann man es viel­
leicht so: Wegen der Wirtschaftskraft und der
hohen Rohstoffpreise war es damals ökonomisch
nicht nötig, einen schwenk zu vollziehen. stellen
sie sich vor, ein Energiechef hätte gesagt: Liebe
Mitarbeiter, glückwunsch zum tollen Ergebnis,
ab heute schalten wir alle Anlagen ab, bei denen es
gut läuft. Ich will nicht sagen, dass weiterzuma­
chen richtig war. Aber es ist vielleicht verständ­
lich, dass man am Erfolg fest halten will. Das Pro­
blem ist, wenn man nichts daraus lernt.
ZEIT: Was machen sie denn heute anders?
Mastiaux: Als klar war, die Erneuerbaren werden die
Energie der Zukunft, sind ja alle in der Branche da­
rauf angesprungen. Danach kam die dezentrale
Energieversorgung und jetzt zum Beispiel smart
Home. Wir fordern unsere Mitarbeiter auf, sich
vorzustellen, dass die heutigen Wachstumsfelder
vielleicht in zehn Jahren nicht mehr so profitabel sind.
Auf unserem Innovationscampus suchen wir nach
geschäften der Zukunft, die nichts mit Kraftwerken
oder Windanlagen zu tun haben. Wie Ladesäulen für
Elektroautos oder solaranlagen für zu Hause.
ZEIT: so ein radikaler Wandel gefällt bestimmt
nicht jedem in Ihrem unternehmen.

Mastiaux: Mit sicherheit nicht, aber das ist ja nicht
neu für uns. Als wir 2012 mit dem umbau anfin­
gen, waren manche Mitarbeiter 40 Jahre lang in
einem Job, der von der gesellschaft hoch akzep­
tiert war. Fast über Nacht hieß es dann: Ihr seid ja
von gestern. Heute haben wir noch 1600 Mit­
arbeiter, die in der Kernkraft unter anderem am
Rückbau arbeiten. Ich habe gehört, manche trauen
sich samstags bei einem Fußballspiel ihrer Kinder
nicht mehr zu erzählen, woran sie arbeiten. Das
halte ich für nicht akzeptabel.
ZEIT: Auch beim Kohleausstieg besteht die ge­
fahr, dass Mitarbeiter auf der strecke bleiben. Wie
sind sie mit Ihren Leuten umgegangen?
Mastiaux: Am Anfang meiner Amtszeit haben
mir viele geraten: Lagere den geschäftsteil ein­
fach aus. Auf keinen Fall, habe ich geantwortet.
Diese Mitarbeiter sind immer zu ihrer schicht
gekommen, haben sich für den Erfolg des unter­
nehmens eingesetzt. sie haben ein Recht auf eine
Zukunft bei uns.
ZEIT: In der theorie klingt das ja alles sehr schön,
aber gelingt es auch in der Praxis? Immerhin ist die
Arbeit an einem Windpark anders als die in einem
Atomkraftwerk.
Mastiaux: Ja, das geht. Mit umschulungen zum
Beispiel. Ein typischer Fall ist jemand, der sich
mit dem getriebe im Kraftwerk auskennt. Der
kann dieses Wissen auch bei einem Windrad an­
wenden. Dasselbe gilt für Elektroniker oder
kaufmännische Angestellte. Natürlich konnten
wir nicht jeden eins zu eins bei den Erneuerba­
ren unterbringen. Aber man wundert sich, bei
wie vielen das ging. und diesen Mitarbeitern
geben wir das gefühl: Ihr seid genauso wichtig
wie die Kollegen in der Innovation.
ZEIT: Wie in kaum einer anderen Branche sind
Energiekonzerne abhängig von der stimmung in
der gesellschaft. seit Monaten demonstrieren
Menschen für das Klima und gegen die Kohle.
Nervt es sie, dass sie sich in Ihre Arbeit einmischen?

»Die Rückkehr zur Atomkraft ist ein No-Go«


Der Chef des Energiekonzerns EnBW, Frank Mastiaux, setzte früh auf Windräder und solarparks.


Ein gespräch über Kohlekumpel, »Fridays for Future«­Aktivisten und das große Portemonnaie der Bundesregierung


Der Konzern und


sein Chef


EnBW ist, nach E.on und RWE,
das drittgrößte Energieunternehmen
des Landes mit sitz in Baden­
Württemberg. Lange Zeit produ­
zierte es vor allem Atomstrom,
heute investiert der Konzern in
Windparks, aber auch gaskraft­
werke. seit dem Wandel macht er
sogar mehr gewinn. Im letzten
Jahr rund 330 Millionen Euro

Frank Mastiaux, 55, leitet das
unternehmen seit 2012.
Der studierte Chemiker, der lange
beim Ölkonzern BP gearbeitet hat,
gilt in der Branche als Pionier der
Energiewende

Mastiaux: Überhaupt nicht. Diskutieren ist ein
grundprinzip der Demokratie. und auch wenn
ich an der einen oder anderen stelle anderer Mei­
nung sein mag, wie man vorgehen soll: Ich finde es
gut, dass die »Fridays for Future«­Demonstranten
Druck machen.
ZEIT: Vor einer Weile haben Aktivisten einen
Kohlebagger in der Nähe von Aachen besetzt,
am Wochenende ein Kraftwerk in Mannheim.
Was machen sie, wenn die plötzlich bei Ihnen
stehen?
Mastiaux: Ich würde denen Kaffee anbieten –
und ein gespräch. Das haben wir auch schon
gemacht. Im Februar wurde hier vor dem Kraft­
werk demonstriert. Wir haben gesagt: Passt auf,
wir stehen für gespräche bereit. Aber bitte nicht
auf den schornstein steigen und nicht die Kohle­
bänder hochlaufen. Das bedeutet Lebensgefahr.
Nein, die Aktivisten sind nicht mein Problem.
Mich stört etwas ganz anderes.
ZEIT: und was?
Mastiaux: Wir können in diesem Land zuneh­
mend wichtige Projekte nicht mehr zügig umset­
zen. Im Januar hat die Kohlekommission ihren
Bericht veröffentlicht. seitdem wurde keine einzi­
ge Maßnahme festgelegt. Nicht ohne grund wird
Deutschland das Klimaziel 2020 verfehlen. Das
gleiche bei Flughäfen, Bahnhöfen, stromtrassen.
Es ist erstaunlich, mit welcher gelassenheit solche
Projekte einfach weitergeführt werden, ohne jede
Verbindlichkeit. Nach dem Motto: Das ist halt so.
Bei einer Hochzeitsfeier sagen die Leute auch nicht
morgens: »Ach, wir machen das zwei tage später.«
Nee, alle gäste sind eingeladen, die Oma kann
von zu Hause abgeholt werden, die torte ist da. Es
muss pünktlich losgehen.
ZEIT: Von der Politik wird oft auf die gelbwesten
in Frankreich verwiesen, die gegen eine Benzin­
steuer protestiert haben. Muss man beim Klima­
schutz nicht auch auf den sozialen Frieden achten?
Mastiaux: Da gebe ich Ihnen recht. Man kann und

muss Mechanismen finden, die Finanzierung so­
zial gerecht zu gestalten. Wir wissen alle, dass das
geht. Ich verstehe, dass die Politik oft schwierige
Zielkonflikte lösen muss. Aber wenn die Erderwär­
mung seit den siebzigerjahren bekannt ist, dann
müssen wir Aktionen folgen lassen, die sich in
mehr äußern als nur in Debatten.
ZEIT: sich über die Politik zu beschweren ist ein­
fach. Was würden sie denn tun, wenn sie in der
Bundesregierung wären?
Mastiaux: Ich würde eine ernsthafte Debatte über
Prozessabläufe in unserem Land führen. Verste­
hen sie mich nicht falsch, damit meine ich nicht
nur die Politik, auch die Verwaltung. Bürgerinitia­
tiven und Industrieverbände können Prozesse
ebenfalls aufhalten. Bis ich heute einen Windpark
zum Laufen bekomme, dauert das mit allen Ver­
fahren und gutachten im schnitt 59 Monate. Im
vergangenen Jahr haben wir gerade einmal zwei
Windräder genehmigt bekommen.
ZEIT: sie bauen auch mit an der trasse südlink,
die strom von den Windrädern im Norden bis zu
Ihnen nach süddeutschland bringen soll. Besucht
man Bürger, die gegen den Bau protestieren, hört
man etwas ganz anderes. Diese Leute fühlen sich
von der Politik und den Konzernen übergangen.
Mastiaux: Wir organisieren Foren und Info­stän­
de, laden Bürger zum Dialog ein. Ich stelle über­
haupt nicht infrage, dass solche Debatten wichtig
sind. Aber wir müssen eines verstehen: Es gibt
einen Punkt, da muss gehandelt werden. sonst ist
es zu spät, etwa um die Erderwärmung auf zwei
grad zu begrenzen. Manche sagen jetzt vielleicht:
Dann geh doch nach China, da kommen einfach
die Bulldozer. Aber darum geht es nicht. Wir müs­
sen einen Weg finden, Bürger zu beteiligen und
trotzdem Projekte fristgerecht umzusetzen.
ZEIT: Neuerdings fordert der Csu­Vorsitzende
Markus söder mehr stringenz beim Klimaschutz,
auch die grünen wollen das. gibt es eine Partei,
die sie mit diesem Wunsch wählen würden?
Mastiaux: Was ich wähle, verrate ich nicht. Für uns
als Firma ist die Konsequenz, dass wir nicht mehr
nur in Deutschland investieren, weil wir hier kaum
noch Windprojekte umgesetzt bekommen. Wir
haben in schweden eine Dependance eröffnet, in
Frankreich ein Windenenergie­unternehmen zu­
gekauft und prüfen Möglichkeiten für Offshore­
Projekte in den usA und taiwan.
ZEIT: Neben dem Protest auf der straße stehen
derzeit viele politische Forderungen im Raum.
Was halten sie etwa von einer CO₂­steuer?
Mastiaux: Die haben wir schon vor zwei Jahren
vorgeschlagen: mindestens 25 Euro sofort, 30
Euro in 2025 für eine tonne CO₂.
ZEIT: Ist das nicht ein bisschen wenig? gutachter
von umweltministerin svenja schulze wollen mit
35 Euro anfangen, die grünen mit 40, die »Fridays
for Future«­Aktivisten fordern 180 Euro.
Mastiaux: unser Vorschlag ist nur ein Mindest­
preis, und der ist nach oben offen.
ZEIT: In der CDu wollen manche statt einer
steuer lieber am europäischen Emissionshandel
festhalten, also an den Zertifikaten, die unter­
nehmen kaufen müssen, wenn sie CO₂ in die
Luft blasen.
Mastiaux: Natürlich ist es besser, wenn eine Ver­
einbarung international getragen wird. Aber die
polnische Energielandschaft ist nun einmal völlig
anders als die französische, die englische oder die
deutsche. Wenn sie einen schnellen Effekt haben
wollen, ist die CO₂­steuer als nationale Maßnah­
me aus meiner sicht der beste Weg.
ZEIT: Manche rufen jetzt, man sollte die deut­
schen Atomkraftwerke wieder anschalten, um
CO₂ zu sparen. Hätten sie das auch gern?
Mastiaux: Nein. Die Rückkehr zur Atomkraft ist
ein No­go. Mit der Klarheit, mit der wir in die­
sem Land diese Richtung eingeschlagen haben,
sollten wir die Diskussion nicht mehr aufmachen.
ZEIT: Ein anderes Argument, das man heute wie­
der öfter hört: Der Klimaschutz gelingt nur, wenn
wir unsere Wirtschaft insgesamt verändern, also
nicht mehr nur an das Wachstum denken.
Mastiaux: Wenn es um den Konsum geht, würde
ich Ihnen sofort zustimmen. Natürlich kann man
fragen: Muss es sein, dass manche Bekleidungs­
ketten davon leben, alle drei Monate ihr Angebot
auszutauschen?
ZEIT: In Ihrem neusten strategiepapier steht aber
auch, dass sie Ihren Betriebserfolg in den nächsten
fünf Jahren um 30 Prozent steigern wollen. Wie
passt das zusammen?
Mastiaux: um in einer Marktwirtschaft als unter­
nehmen zu bestehen, müssen sie immer schauen,
dass sie einen schritt besser oder zuverlässiger sind
als der Wettbewerb. sonst ist man irgendwann
raus aus dem geschäft. und wir bieten ja auch
nicht die 30. sorte Cornflakes an, auf die man ein­
fach verzichten kann. Im gegenteil, Energie wird
immer mehr gebraucht werden.
ZEIT: Aber auch Windräder und solarpanels müs­
sen gebaut und entsorgt werden. Am besten für die
umwelt wäre es doch, wenn sie weniger Energie
verkaufen würden.
Mastiaux: Wir sind ja schon lange nicht mehr nur
vom stromverkauf abhängig, wir bieten auch viele
andere Leistungen an.
ZEIT: Wären sie denn auch bereit, privat strom
zu sparen?
Mastiaux: Absolut, damit hätte ich kein Problem.

Das gespräch führte Laura Cwiertnia

Frank Mastiaux auf seinem
Innovationscampus in Karls-
ruhe, wo neue Geschäftsideen
entstehen sollen

Foto: Patrick Junker für DIE ZEIT

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