Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 33 WISSEN 29


E-asy Rider

Auch die Zukunft von Motorrädern soll elektrisch sein. Was bedeutet das fürs Fahrgefühl?


Eine testfahrt VON HARRO ALBRECHT (TEXT), ILLUSTRATIONEN: ANNA HAIFISCH


rad. Bloß würde sich das gefährt dann aufbäumen
und womöglich einen Rückwärtssalto vollführen.
Also passt die Elektronik das Drehmoment so an,
dass sich die Leistung sanft entfaltet. »Eine Meister-
leistung der Ingenieure«, erklärt mir Ralf Czaplinski
von Zero später, »damit könnte man jedes Lang-
samfahr-Rennen gewinnen.« sobald man aber
kräftig am stromgriff dreht, entfesselt die Elektro-
nik das Drehmoment: Ruck, zuck sind mit den
110 Pferdestärken 80 Kilometer in der stunde
erreicht und wenig später auch 120. In dieser
Disziplin, sagt Czaplinski, sei die Zero deutlich
rasanter als etwa der berüchtigte Benzin-Kraftprotz
suzuki Hayabusa mit seinen 175 Ps.
Das lauteste geräusch auf dem E-Motorrad ist
das Pfeifen in meinem zugigen Helm. Die relative

Ruhe hat Vorteile. Ohne den Lärm des Motors
und die Vibrationen in den Händen sind meine
sinne geschärft. Ich nehme den geruch des frisch
gemähten grases hinter dem Deich deutlicher
wahr, spüre die enorme Beschleunigung intensiver.
Wobei die Zero dank des niedrigen schwerpunkts
(durch den Akku) sehr leichtfüßig durch die Kur-
ven zieht. Die E-Fahrt wird zur sinnlichen, beinahe
naturnahen Erfahrung.
Nur, was halten eingeschworene Benzinköpfe
von den stromern? Die Biker haben ihre treff-
punkte. In Hamburg ist einer davon das Zollen-
spieker Fährhaus, östlich der stadt, direkt am Elb-
ufer. Wie jeden Abend haben sich dort ein paar
ältere Herren eingefunden, einer von ihnen hat
sein weißes Haar zu einem Zopf gebändigt. Ihre

Motorräder: alte, schöne, laute Oldtimer der Mar-
ken triumph und Kawasaki. Die Augen der Biker
scannen mein gefährt ab. Langsam dämmert den
Männern, dass vor ihnen der Abgesang auf knat-
ternde Ausfahrten steht. »Wenn es nur noch solche
Dinger gibt«, sagt der Herr mit Zopf, »hör ich auf.«
Eine Harley-Davidson parkt bollernd neben uns
ein, der Fahrer steigt ab, geht schnell an uns vorbei
und zischt: »Das ist doch kein Motorrad.« – »Ich
muss es nicht unbedingt laut haben«, sagt dagegen
ein anderer. und der triumph-Fahrer gibt zu: »Ich
bin auch schon mal Elektrofahrrad gefahren.«
In einem sind sich die Easy Rider aber einig.
»Wenn ich auf das Motorrad steige, will ich fahren,
wohin und wie lange ich will, und mir keine ge-
danken über Ladesäulen machen«, sagt der Kawa-

saki-Besitzer. Das Motorrad bedeutet auch für ihn
Freiheit. Das meistverkaufte Motorrad in Deutsch-
land ist die BMW R 1200 gs, ein geländegängiges
tourenmodell. Wer so etwas chauffiert, hat Expe-
ditionen nach Kasachstan im sinn – oder zumin-
dest die Möglichkeit dazu. Mit meiner Zero sR/F
in der standardversion müsste man schon nach
180 bis 200 Kilometern vier stunden Pause zum
Aufladen einlegen. Auf den 4800 Kilometern nach
Astana, der Hauptstadt von Kasachstan, müsste
man 24-mal an die Dose. und je näher das Ziel
käme, desto schwieriger würde es, eine Ladesäule
zu finden. Benzin hingegen findet sich überall.
und auch im Roadmovie Easy Rider waren ständige
Ladestopps an steckdosen nicht vorgesehen.

Das 20.000-Euro-Motorrad ist bereits
nach 100 Kilometern gestrandet

Nach dem Ausflug zum Biker-treff ist auch mein
Akku zur Hälfte geleert. »Fahren sie mit Ihrer
Zero nach Hause, und stecken sie sie einfach in
die nächste steckdose ein. Fertig«, steht auf der
Web site von Zero Motorcycles. Einfach? Ich wohne
im vierten stock im eng bebauten Hamburger
stadtteil Eimsbüttel. Weder besitze ich ein 40 Me-
ter langes Verlängerungskabel, noch wäre das La-
den darüber ratsam, weil das Kabel wegen des ho-
hen Widerstands womöglich ziemlich heiß wür-
de. Aber hundert Meter die straße runter findet
sich eine Ladesäule mit schuko-Anschluss.
spätestens jetzt brauche ich ein smartphone.
Zur Aktivierung der Ladesäule soll ich eine sMs
an eine bestimmte Nummer schicken. Doch nichts
passiert. Ich versuche es mit der E-Charging-App,
lokalisiere die Ladesäule und schaffe es tatsächlich,
sie zu aktivieren. Eine Klappe lässt sich öffnen,
und der schukostecker findet sein Ziel. Problem
gelöst. Doch vier stunden später ist der Akku so
leer wie zuvor. Dafür sind 2,06 Euro von meinem
Konto abgebucht.
Zweiter tag. Anruf bei E-Charging Hamburg.
Ein freundlicher Herr klärt mich darüber auf, dass er
nur für die Ladehardware und nicht für Abrech-
nungsfragen zuständig sei. trotzdem geht er meinen
Ladeversuch schritt für schritt durch und vermutet
das Problem darin, dass ich noch kein Zahlungs-
mittel angegeben habe, also zum Beispiel eine Kredit-
karte. Ich hole das nach und versuche es noch einmal.
Nach drei stunden: wieder nichts. Diesmal schickt
der Ladesäulenspezialist einen Monteur, der die Lade-
säule Nummer 2074 durchmessen soll. Der Fach-
mann misst, Relais klicken: »Die schaltet durch.« Es
müsse am Motorrad liegen.
Das 20.000-Euro-Motorrad ist also bereits
nach 100 Kilometern gestrandet. Ich klage dem
Verleiher mein Leid. Er gibt mir den ältesten Rat
der Computerindustrie: »Drück doch mal den
Reset-Knopf an der stromleitung.« tatsächlich
funktioniert das auch beim E-Motorrad. Es bleibt
jedoch ein Problem: Mit schukostecker muss das
Motorrad für eine Vollladung ja für vier stunden
an die steckdose. Auf den E-Mobil-Parkplätzen
darf man aber bloß zwei stunden parken – mit
Parkscheibe. Ich müsste also einmal umparken.
gut, dass ich diesmal den Akku nicht vollmachen
muss. Doch Freiheit sieht anders aus.
Passionierten Bikern wird auch der lautstarke
Auftritt fehlen, für sie ist er die Essenz des Fahr-
erleb nis ses. Welche Bedürfnisse Lautstärke befrie-
digt, haben neuseeländische Forscher 2017 he-
rausgefunden: sie sorge für Erregung und Ver-
bundenheit mit anderen, helfe beim Ausblenden
unerwünschter gedanken und stärke das gefühl,
seine Ängste im griff zu haben. Ich brauche kein
Donnergrollen gegen die Furcht. Akustische Do-
minanz über meine umwelt halte ich weder für
männlich noch für cool. Für manche Biker-Kolle-
gen, die mit aufgemotzten Auspuffanlagen fried-
liche schwarzwaldtäler unbewohnbar machen,
schäme ich mich sogar.
Im Moment ist das Elektromotorrad nicht
mehr als ein teurer Luxus für den Pendler aus der
Vorstadt, gibt Ralf Czaplinski von Zero zu. trotz-
dem übersteigt die Nachfrage offenbar die Pro-
duktion, bis september müssen Käufer auf ihr
Exemplar warten. Wenn das Ladeproblem gelöst
wird, könnte ich mich mit einem E-Bike an-
freunden. Beim nächsten schritt der Branche
aber würde ich sicher streiken. Honda hat im ver-
gangenen Jahr ein E-Motorrad vorgestellt, das
selbstständig die Balance hält, und Yamaha setzte
2017 einen Roboter auf einen E-Renner und ließ
ihn gegen die Rennlegende Valentino Rossi antre-
ten. Rossi gewann – diesmal. Mit Freiheit haben
diese futuristischen selbstfahrzweiräder nichts
mehr zu tun. Das Fortbewegungsmittel Motorrad
optimiert sich selbst weg.
Der letzte Abend. Noch eine entspannte, leise
tour durch duftende Landschaften. An der Ampel
halte ich neben Fahrradfahrern, sie heben tatsäch-
lich den Daumen. Endlich Anerkennung von der
moralisch überlegenen Zweiradfraktion. Über-
haupt hat vor allem das stehen mit dem E-Motor-
rad seine Vorzüge. Mir wird bewusst, wie laut die
Fahrzeuge um mich herum sind und wie heiß ein
brubbelnder Motorradmotor ohne Fahrtwind zwi-
schen den Beinen werden kann. Es ist angenehm,
wenn das E-Motorrad an der Ampel kühl schweigt.

http://www.zeit.de/audio

W


er heute etwas auf sich
hält, surrt elektrisch durch
die gegend. Mit dem
E-Auto, dem E-Roller,
dem Pedelec oder seit
Neuestem mit dem E-
scooter. Die Elektromo-
bilität verheißt eine bessere Welt des Fahrens: leise,
sauber und vielleicht bald autonom.
Verdächtig macht sich dagegen, wer heute noch
auf Motorräder mit Verbrennungsmotor steht. so
wie ich mit meiner alten BMW F 800 st. Allent-
halben lese ich, die Dinger seien unnütze Dreck-
schleudern für alternde weiße Männer mit zu viel
geld. Luxusspielzeug. Es gründen sich Initiativen
wie »motorradlaerm.de«, im kurvenreichen Harz
oder in der Eifel werden strecken für Biker ganz
gesperrt. und es stimmt ja: Die gefährte sind laut,
gefährlich und, was die Abgasnorm angeht, auf
dem stand von vorgestern.
Deshalb dreht ihnen der gesetzgeber allmählich
den Hahn zu. Ab 2024 müssen die Motorräder die
zweite stufe der Euro-5-Norm erfüllen – und
wahrscheinlich ziemlich leise werden. Biker fragen
sich, ob das mit einem Ottomotor ohne Verklei-
dung überhaupt geht. Kurzum, Fortschritt und
Vernunft lassen dem Motorrad mit Verbrennungs-
motor kaum noch eine Zukunft.
Aber auch Krafträder können neuerdings
elektrisch. start-up-Firmen wie Energica Ego aus
Italien, Lito Motorcycle aus Kanada oder Zero
Motorcycles aus Kalifornien erobern den Markt.
Etablierte Hersteller wie BMW arbeiten an E-
Bikes, gerade stellten die Bayern ihre BMW Vision
DC Roadster vor. und Ende des Jahres wird so-
gar die urmarke der Knatter- und Bollergefährte,
Harley-Davidson, leise und öko, LiveWire soll
das Elektromodell heißen.
tatsächlich stehen die Leistungen der E-Renner
den Benzinern in nichts nach. Beim Rennen auf der
Isle of Man raste der Fahrer des japanischen teams
Batham Mugen mit 196 Kilometern pro stunde
elektrisch über den Kurs – im Durchschnitt.
Doch beim Motorradfahren geht es nicht nur
um kalte Daten, es geht ums gefühl: Biker suchen
Kurven, Beschleunigung, Freiheit. Das zumindest
ergab eine umfrage der Prüfgesellschaft Dekra
unter 5300 Motorradfahrern. Kann ein E-Motor-
rad diese Bedürfnisse befriedigen? Kann ein fast
lautloses stromrad also Ersatz für ein gefährt mit
mächtigem Bollersound sein?
Der test soll es zeigen. Drei tage werde ich mit
einer Zero sR/F der kalifornischen Firma Zero
Motorcycles unterwegs sein. 110 Ps stark, 220 Kilo-
gramm schwer, Beschleunigung von 0 auf 100 in
3,3 sekunden, Höchstgeschwindigkeit bis zu
200 Kilometer pro stunde – eine Kanonenkugel
auf zwei Rädern, eine E-granate.
Erster tag. HafenCity Hamburg. Auf den
ersten Blick sieht das Ding aus wie ein normales
Motorrad, hellgrau, kantig. Könnte eine Kawasaki
oder Yamaha sein. Doch was an einen Motor erin-
nert, ist bei näherer Betrachtung ein gewaltiger
Akku, der brutto 14 Kilowattstunden (kWh) lädt,
aber zur schonung nur netto 12,6 Kilowattstunden
abgeben kann. Zum Vergleich: Die Batterie eines
elektrischen Kleinwagens wie des Renault Zoe fasst
22 kWh. Der Motor der Zero-Maschine selbst ver-
birgt sich irgendwo unter den Fußrasten, er ist ver-
schwindend klein. und wer noch genauer hin-
sieht, erkennt, dass Kupplungspedal, Kupplungs-
handgriff und Auspuff fehlen.
Ein freundlicher junger Mann versucht, mein
smart phone mit dem Betriebssystem des Motor-
rads zu koppeln. Ich warte schwitzend in Motor-
radkluft neben ihm. schließlich schlage ich vor, das
Handy einfach wegzulassen. Ein Motorrad sollte
doch auch ohne telefon funktionieren! Ein funda-
mentaler Irrtum, wie sich später herausstellen wird.


Haben die Ladesäulen auf der Straße
überhaupt die richtigen Steckdosen?


Ich weiß schon, dass das Nachladen eines Akkus
tückisch sein kann. Also die vorsichtige Nachfrage:
Über was für ein Ladekabel verfügt das Motorrad?
Eines mit schukostecker für normale Haushaltssteck-
dosen oder eines mit drei Polen für die schnellladung
an einer Ladesäule? unter dem Deckel des Pseudo-
tanks liegt aufgerollt ein schukokabel. Haushaltssteck-
dosen liefern nur sehr langsam strom, deshalb dauert
es damit vier stunden, bis der Akku zu 95 Prozent
gefüllt ist. Der schnelllader schafft das in zwei
stunden, aber er fehlt bei meinem testkrad. Bei
einem Kauf schlägt er mit 2200 Euro extra zu
Buche – womit das Motorrad dann 22.690 Euro
kostet. Es gibt allerdings eine staatliche Förderung in
Höhe von 500 Euro, und die Firma Zero legt bis zum





    1. 2019 noch mal 700 Euro drauf.
      Haben die Ladesäulen an der straße überhaupt
      eine schukosteckdose? »Ich denke schon«, sagt der
      freundliche Herr. Er weiß es also nicht. Mich befällt
      ein Anflug von Reichweitenangst. gut, dass der Akku
      voll ist. ums Aufladen kümmere ich mich später, jetzt
      will ich gas geben – oder besser strom geben.
      Die ersten Meter sind verblüffend unspekta-
      kulär. Es fühlt sich an, als beschleunigte man mit
      einem Elektrofahrrad. Im Prinzip könnte der
      Motor der Zero sR/F vom start weg ein Dreh-
      moment von 190 Newtonmeter auf die straße
      bringen – das ist mehr als bei jedem anderen Motor-




Erst nach vier Stunden ist der Akku ganz aufgeladen

Den Akku-Stand sollte der Fahrer im Blick haben

Von 0 auf 100 in drei Sekunden! Und trotzdem: Ein Pfeifen im zugigen Helm ist das lauteste Geräusch, das man hört. Das schärft
die Sinne. Auf einmal riecht man frisch gemähtes Gras, die enorme Beschleunigung ist viel intensiver zu spüren
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