Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

4 POLITIK 8. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 33


Im Netz des rechten Terrors


Jahrzehntelang haben Amerikas Politiker den rechtsextremistischen Untergrund ignoriert. Donald Trump schwächt


Teile der Sicherheitsbehörden gezielt, um seine Anhängerschaft nicht zu verprellen VON KERSTIN KOHLENBERG


E


s ist wieder geschehen. Ein rechts-
extremer Amerikaner hat 22
Menschen in einem Einkaufszen-
trum in der Grenzstadt El Paso in
Texas erschossen und über zwei
Dutzend verwundet. Wenige Mi-
nuten zuvor stellte der Attentäter,
der 21-jährige Patrick Crusius, ein Manifest ins
Internet. Darin beklagt er eine »lateinamerikani-
sche Invasion in Texas« und bezieht sich auf die in
den rechtsradikalen Kreisen der White-Power-
Bewegung oft zitierte Theorie des »Großen Bevöl-
kerungsaustauschs«. Crusius, der aus der texani-
schen Stadt Allen in der Nähe von Dallas stammt,
spricht vom Rassenkrieg und von der
Notwendigkeit, die Zahl der Men-
schen mit nicht weißer Hautfarbe zu
verringern, um den Planeten ökolo-
gisch und kulturell zu retten. Das ist
seit Jahrzehnten die Sprache der
White- Power- Bewe gung, die alle
rechtsextremistischen und rassisti-
schen Gruppen vereint. Neu ist, dass
sich auch die Sprache des amtierenden
amerikanischen Präsidenten in dem
Manifest wiederfindet.
Crusius schreibt von »Infizierung«,
davon, dass »Amerika verrottet«, und
er gebraucht die von Donald Trump
zum Schlachtruf erhobenen Worte
»Send them back« – Schickt sie zurück!
Das riefen kürzlich Trumps Anhänger
auf Kundgebungen, nachdem der
Präsident vier dunkelhäutige Ab-
geordnete aufgefordert hatte, doch in
die Länder zurückzukehren, aus de-
nen ihre Familien stammten. Patrick
Crusius behauptet allerdings, seine
Ansichten zur Invasionsgefahr und
zur Verteidigung der weißen Rasse
seien nicht erst durch den Präsidenten
geformt worden. Crusius sieht in
Trump nicht den Anstifter, sondern
einen Gleichgesinnten.
Und Gleichgesinnte gibt es viele in
den Vereinigten Staaten. Vor einer
Woche erschoss ein Rechtsextremist in
Kalifornien drei Menschen bei einem
Volksfest und verwundete zehn. Im
April tötete ein Rechtsextremer in
einer Synagoge im Süden Kaliforniens
eine Person und verletzte drei. Aus
welchen Beweggründen ein junger
Mann in Ohio zwölf Stunden nach
dem Attentat von El Paso neun Men-
schen vor einem Club in Dayton er-
schoss, ist bislang unbekannt. Er wur-
de von der Polizei getötet.
Laut FBI haben Rechtsextremisten
in den vergangenen 16 Jahren mehr
Attentate in den USA verübt als jede
andere inländische Terrorgruppe. Die
Anti-Defamation League, eine Men-
schenrechtsorganisation mit Sitz in
New York, zählt auf, dass Rechtsextre-
misten und Anhänger der White-
Power-Bewegung zwischen 2008 und
2017 insgesamt 71 Prozent der terro-
ristischen Attentate in den USA be-
gangen haben, Islamisten 26 Prozent. Vergangenen
Monat sagte FBI-Direktor Christopher Wray bei
einer Anhörung im Kongress, er halte den rechts-
extremen Terror für die größte Bedrohung.
Die Rechtsextremen sind gut vernetzt, besu-
chen dieselben Web sites. Sie besitzen oft Waffen
und knüpfen Kontakte weit über Amerika hinaus.
Dennoch hatten die Sicherheitsbehörden Patrick
Crusius nicht auf dem Radar. Das hat auch mit
Donald Trump zu tun. Aber nicht nur.
Es ist sehr schwer, Anschläge von Einzeltätern,
sogenannten einsamen Wölfen wie Crusius, vorab
zu erkennen. Um Terrorpläne zu verhindern,
müsste man ein riesiges, dezentrales rechtsradikales
Netzwerk zerstören, das über Jahrzehnte aufgebaut
wurde. Doch die staatlichen Instrumente dazu hat
Donald Trump in den vergangenen Jahren ge-
schwächt, in Teilen sogar ganz beseitigt.
Das Ministerium, das in erster Linie dafür
zuständig ist, terroristische Bedrohungen zu er-
kennen und sie zu bekämpfen, ist das Heimat-
schutzministerium. Katharine Gorka, die Frau
des Verschwörungstheoretikers Alexander Gorka,
ist dort Beraterin und hat mit ihren Umbauvor-
schlägen wesentlich zu den gegenwärtigen Pro-
blemen beigetragen. Zuerst wurde die Abteilung
gestutzt, deren Aufgabe es ist, gewaltbereiten Ex-
tremismus an den Wurzeln zu bekämpfen. George
Selim, der diese Abteilung geleitet hat, erzählt am
Telefon, dass sein Budget von 21 Millionen Dol-
lar auf drei Millionen zusammengestrichen wur-


de, von 25 Mitarbeitern blieben zwölf. Die Un-
terstützung für lokale Aussteiger-Projekte und für
Internet-Plattformen, die Jugendliche vor dem
Extremismus schützen sollten, wurde abgeschafft.
»Die Trump-Regierung«, sagt Selim, »hat die ge-
samte Struktur, die eine Radikalisierung verhin-
dern sollte, beseitigt.« Vergangenen Sommer
wurde die Abteilung für Inlandsterrorismus ge-
schlossen, und die letzten beiden Experten für
Rechtsextremismus und die White-Power-Bewe-
gung wurden versetzt. Im Gegensatz zum FBI
meint die Trump-Regierung, die größte Gefahr
für Amerika sei nicht der rechtsextremistische,
sondern der islamistische Terror.

Aber auch andere Behörden, die das FBI über
rechte Gewalt unterrichten sollen, sind nicht be-
sonders aktiv.
Im vergangenen Jahr musste der damalige stell-
vertretende Justizminister Rod Rosenstein ein-
gestehen, dass 88 Prozent der Behörden im Jahr
2016 zu diesem Thema keine Daten geliefert ha-
ben. Im März konnte das FBI nur deshalb ein
mögliches Attentat im Bundesstaat Pennsylvania
verhindern, weil das Zentrum für Extremismus
der Anti-Defamation League die Sicherheits-
behörde auf einen gewaltbereiten, bewaffneten
Rechtsextremisten aufmerksam gemacht hatte.
Die Internet-Aktivitäten des Mannes hatten die
Organisation alarmiert.
Einige ehemalige FBI-Agenten glauben aller-
dings, dass ihre Behörde auch deswegen so selten
im rechten Milieu ermittle, weil das FBI nur gerin-
ge Hoffnungen habe, dass Amerikas Justizministe-
rium als unabhängige Behörde agiere und Men-
schen anklage, die Trump zu seiner Basis zähle. Im
Jahr 2016 wurden 4200 sogenannte hate crimes
(Straftaten aus Hass) begangen, aber nur 27 Täter
wurden angeklagt.
Bei der Bekämpfung des rechten Terrors lief
allerdings schon vor Donald Trump etliches schief.
Am 7. April 2009 schickte das Heimatschutzminis-
terium seinen Mitarbeitern einen vertraulichen Be-
richt mit dem Titel »Rechtsextremer Terrorismus:
Gegenwärtiges ökonomisches und politisches Kli-
ma nährt eine neue Radikalisierungs- und Rekru-

tierungswelle«. Es war das Jahr nach der Finanzkrise
und das erste Jahr, in dem Amerika einen schwar-
zen Präsidenten hatte. Der Bericht war mit vielen
Daten und Fakten über das Netzwerk rechtsradika-
ler Gruppen gespickt und warnte unter anderem
vor dem Versuch der Rechtsextremisten, gut aus-
gebildete, traumatisierte Veteranen aus dem Irak-
oder Afghanistan-Krieg zu rekrutieren. Seit 2001
hatte es 203 solcher Fälle gegeben. Der Bericht
wurde an die Öffentlichkeit geleakt, und die Repu-
blikaner brandmarkten ihn als einen gemeinen po-
litischen Angriff auf das konservative Amerika.
Der Autor des Berichts war Daryl Johnson,
ein konservativer Republikaner, der 2005 als ein-

ziger Experte für Inlandsterror im neu gegründe-
ten Heimatschutzministerium begonnen hatte.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001
war der Rechtsextremismus völlig aus dem Blick-
feld der Behörden verschwunden, alles Geld und
alle Ressourcen flossen damals in den Kampf
gegen den islamistischen Terror. Die White-
Power-Bewegung nutzte diese Zeit, um ihr Netz-
werk unbemerkt auszubauen.
Begonnen hatte sie damit bereits nach dem
Viet nam- Krieg, als sie extremistische Gruppen wie
den Ku-Klux-Klan, Neonazis und mehrere Mili-
zen zusammenführte. Absichtlich wurden damals
keine erkennbaren gemeinsamen Strukturen auf-
gebaut, weshalb die einzelnen Gruppen von den
Sicherheitsbehörden nahezu unbehelligt blieben.
Als sich in den Achtzigerjahren die White Aryan
Resistance, eine stark rassistische, gewaltbereite
Neonazi-Organisation, gründete, ging die Polizei
zum ersten Mal hart gegen deren Anführer vor.
Die White-Power-Bewegung indes wuchs un-
bemerkt weiter.
Als der Rechtsextremist Timothy McVeigh
1995 in einer Bundesbehörde in Oklahoma
City eine Bombe zündete, die 168 Menschen
tötete und mehr als 680 verletzte, baute das
FBI die Abteilung für Inlandsterror aus. Das
Justiz ministerium unter dem demokratischen
Präsidenten Bill Clinton richtete eine spezielle
Task force ein. Die terroristischen Strukturen
hinter dem Anschlag blieben jedoch un-

beleuchtet. Das Attentat von Oklahoma wurde
als Einzeltat eingestuft.
Daryl Johnson hatte in seinem Bericht über
den rechtsextremen Terrorismus in Amerika ver-
merkt, dass, allein nachdem der schwarze Präsi-
dentschaftsbewerber Barack Obama seine Kandi-
datur bekannt gegeben hatte, 45 neue rechte Milizen
gegründet worden seien. Sie luden mit Hass-
botschaften gegen Einwanderer zu militärischen
Trainingscamps ein, die rechtsextremistische Web-
site Stormfront erhielt großen Zulauf. Zwei An-
schlagspläne gegen Obama wurden bekannt.
Dennoch verschärften die Republikaner ihre
Attacken auf den Bericht. Barack Obamas Hei-

matschutzministerin Janet Napolitano hatte den
Report lange Zeit verteidigt, doch als die Republi-
kaner den politischen Druck erhöhten, distan-
zierte sie sich von Daryl Johnsons Erkenntnissen
und nahm den Bericht von der Web site ihres Mi-
nisteriums. Auch auf den Computern der Straf-
verfolgungsbehörden wurde er gelöscht. Damit
ging viel Wissen über rechtsextremistische Grup-
pen verloren.
Neun Monate später wurde Johnsons Abtei-
lung geschlossen, und es geschah das, was Johnson
vorausgesagt hatte: Die Rechtsextremisten schlu-
gen zu. Im Juni 2009 versuchte der Neonazi James
von Brunn, das Holocaust Memorial in Washing-
ton zu stürmen, und tötete dabei einen Sicher-
heitsmann. Im selben Monat wurde Shawna
Forde, die Chefin einer militanten Anti-Einwan-
derungs-Gruppe, für den Mord an einem Latein-
amerikaner und seiner neunjährigen Tochter ver-
urteilt. Im August erschoss der Rechtsextremist
George Sodini in einer Tanzklasse in Pennsylvania
drei Frauen.
Über 1000 rechte militante Gruppen wurden
im Jahr 2011 gezählt. Doch nach einer Studie der
Universität von North Carolina arbeiteten zwi-
schen 2008 und 2009 gerade einmal 350 der ins-
gesamt 2000 Terrorabwehrspezialisten im Bereich
Inlandsterrorismus.
Im Jahr 2014 begann die Obama-Regierung
nach einer Serie von Attentaten schließlich damit,
wieder eine Einheit aufzubauen, die sich aus-

schließlich mit inländischen Terrorgruppen be-
schäftigte. Und die Abteilung, die George Selim
führte, wurde gegründet. Es war ein kleiner An-
fang, aber immerhin ein Anfang.
Gab es Dinge, die ein schwarzer Präsident ein-
fach nicht deutlich benennen durfte? So scheute
sich Obama zum Beispiel, den weißen Attentäter
Dylann Roof, der 2015 in South Carolina neun
Schwarze in einer Kirche erschoss und ebenfalls
ein Manifest ins Internet gestellt hatte, einen Ter-
roristen zu nennen.
»Dylann Roof aber war das Produkt einer gan-
zen Dekade rechtsextremer Mobilisierung, er ist der
Inbegriff des führerlosen Widerstandes, einer Stra-
tegie, die ebenso vom IS benutzt wird«,
sagt Janet Reitman, die sich seit Jahren
mit der Entwicklung der White-Power-
Bewegung in den USA beschäftigt und
gerade ein Buch darüber schreibt. Die
Vereinigten Staaten hätten jedoch nie
ein wirklich gutes Instrument gegen
Rechtsextremisten gefunden, sagt Reit-
man. »Zum großen Teil, weil sie deren
Strukturen nie ausreichend studiert
und verstanden haben.«
Patrick Crusius, der Attentäter von
El Paso, wird in den Medien als Ein-
zelgänger beschrieben. Einer, über den
sich die Schulkameraden oft lustig ge-
macht hätten und der schnell in Rage
geraten sei. Er selbst soll sich verächt-
lich über populäre Mitschüler geäu-
ßert haben, die sportlich waren oder
ein Instrument in der Highschool-
Band spielten. Auf seiner mittlerweile
deaktivierten Seite des sozialen Netz-
werks LinkedIn hatte Crusius ge-
schrieben, dass er acht Stunden am
Tag vor dem Computer sitze.
Der wütende, tief verunsicherte
Einzelgänger gehört zur Zielgruppe,
die rechtsextremistische Gruppen mit
ihrer Ideologie ansprechen wollen.
In seinem Manifest erhebt sich Cru-
sius zum Kreuzritter der White-Power-
Bewegung. Genauso wie vor ihm
Dylann Roof oder der Massenmörder
von Christchurch in Neuseeland. Der
rasante demografische Wandel, den
Amerika und fast die gesamte Welt als
langsame Veränderung erlebt, ist für
Crusius dagegen eine rasante, radikale
Transformation, er beschreibt ihn als
eine Apokalypse, gegen die er sich nur
mit Gewalt wehren könne.
Den nächsten »einsamen Wölfen«
nach ihm gibt Crusius Ratschläge,
nach welchen Kriterien sie ihr An-
schlagsziel aussuchen und welche Waf-
fen sie benutzen sollen, um maximalen
Schaden anzurichten. Crusius will,
dass der Krieg weitergeht.
John Bash, der Staatsanwalt für El
Paso, hat angekündigt, das Attentat
als Terrortat einzustufen. Das ist wich-
tig, denn so wird zumindest sprach-
lich deutlich, dass Amerika es nicht
mit einzelnen Verwirrten zu tun hat,
sondern dass viele der Anschläge eine
Ideologie und ein Ziel verbindet. Doch um den
Terrorismus zu bekämpfen, muss Amerika begin-
nen, den rechtsextremistischen Terror genauso
ernst zu nehmen wie den islamistischen.
Donald Trump indes kümmert sich vor allem
um seine Wählerbasis. Den verunsicherten weißen
Amerikanern will er das Gefühl nicht nehmen,
dass ihr Präsident ein Gleichgesinnter ist.
Als im August 2017 in der Stadt Charlottesville
im Bundesstaat Virginia unter dem Motto »Unite
the Right« – Vereinigt die Rechte – Neonazis, Mit-
glieder des Ku-Klux-Klan und rechte Milizen auf-
marschierten und ein Rechtsextremist eine junge
Gegendemonstrantin mit seinem Auto tötete,
weigerte sich Trump, die Tat und den Fackelzug
eindeutig zu verurteilen. Er sagte, es gebe gute wie
schlechte Menschen bei extremen Rechten wie bei
extremen Linken.
Im vergangenen Mai stand Donald Trump in
Florida auf der Bühne, umgeben von seinen vor
Begeisterung tobenden Anhängern. Ganz in sei-
nem Element, sprach der Präsident über die Be-
drohung durch Einwanderer aus Lateinamerika.
»Wie stoppt man diese Menschen?«, rief er in
die Menge.
»Erschieß sie!«, rief einer aus dem Publikum
zurück.
Trump unterbrach, grinste und sagte: »Nur hier
unten (im Süden, Anm. d. Red.) kann man damit
davonkommen.« Dann ließ er seine Anhänger
lange jubeln.

Der US-Präsident liest ab: »Hass hat
keinen Platz in Amerika – Hass verdirbt
den Charakter, verwüstet das Herz«

O H I O

El Paso

Dayton

T E X AS

USAA
OOHIOHIO

ZEIT-GRAFIK
1000 km

Foto: Leah Millis

/Reuters
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