Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 33


»Statt Betroffenheit


wünsche ich mir Schutz«


Fragen an den Rektor des Abraham
geiger Kollegs, das 20 Jahre alt wird

DIE ZEIT: Herr Homolka, als sie in den Neunzi­
gern die Idee hatten, ein Rabbinerseminar zu grün­
den, waren sie noch Chef der Kulturstiftung der
Deutschen Bank. Haben sie Ihre Idee je bereut?
Walter Homolka: Fragen sie mich lieber, wie oft!
Zum glück war Walter Jacob an meiner seite, der
damalige Präsident der Zentralkonferenz amerika­
nischer Rabbiner, gebürtig aus Augsburg. Er stürz­
te sich mit mir ins Abenteuer. Die meisten hielten
uns für verrückt. Bis zur Wende lebten ja in
Deutschland nur noch 25.000 Juden, die gemein­
den waren überaltert, auch meine in straubing. Da
gab es nicht mal wöchentliche gottesdienste.
ZEIT: Mit 17 traten sie ins Judentum ein, wurden
später Rabbiner.
Homolka: Den Plan hatte ich schon als teenager.
Damals warnte mich unser gemeindevorsitzender:
Mein Junge, wir kommen hier nur zusammen, um
den schock zu bewältigen, dass wir überlebt haben.
Verschwende dein Leben nicht an etwas, das keine
Zukunft hat! – Bis in die Achtzigerjahre hatten jü­
dische gemeinden ein gebrochenes Verhältnis zu
Deutschland. Man fühlte sich schuldig, hier zu sein.
ZEIT: Durch Zuwanderer, vor allem aus Osteuro­
pa, wuchs die Zahl der Juden in Deutschland nach
1990 rasch an. stimmt es, dass die gemeinden da­
durch traditioneller wurden?
Homolka: Vor allem wurden sie vielfältiger. Heute
haben wir in Deutschland etwa 200.000 Juden,
davon 100.000 in gemein­
den organisiert. Die theo­
logien haben sich plura­
lisiert, es werden Frauen
ordiniert, immer mehr auch
in Einheitsgemeinden. Der
Zentralrat der Juden in
Deutschland musste von
seiner orthodoxen Linie ab­
rücken und ist heute re li­
gions po li tisch neutral.
ZEIT: sie lehren Jüdische
Religionsphilosophie in Pots­
dam und leiten mit dem Abraham geiger Kolleg
das erste liberale Rabbinerseminar in Deutschland
nach 1945. Wie groß war die skepsis wirklich?
Homolka: sehr groß. Mittlerweile sehen alle ein:
Wir werden das jüdische Leben, wie es vor der
schoah in Deutschland war, leider nicht einfach
fortsetzen. Am geiger­Kolleg blüht es wieder auf,
aber anders. Am schwierigsten war für mich die
skepsis der Überlebenden, die fragten: Auf der
Asche der Opfer wollt ihr ein Institut errichten, das
dem studium unserer heiligen texte gewidmet ist?
ZEIT: Was haben sie ihnen geantwortet?
Homolka: Mit goethe: »Was du ererbt von deinen
Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!« Das
Abraham geiger Kolleg begann 1999 mit 30.000
Euro. Heute haben wir sechs Lehrstühle und zie­
hen 2020 in ein gebäude im Park von sanssouci,
das für zwölf Millionen Euro saniert wurde. Wir
bilden liberale und konservative Rabbiner und
Kantoren auf Weltniveau aus. 35 unserer Absol­
venten arbeiten bereits in Deutschland, Öster­
reich, großbritannien, Luxemburg, Frankreich,
Israel, südafrika und den usA. Aktuell haben wir
17 studierende für das Rabbinat, acht für das Kan­
torat. Neun der studierenden sind Frauen.
ZEIT: Wer hat sie unterstützt?
Homolka: Ohne den Deutschen Bundestag hätte
es nie geklappt. Wir erfuhren aus allen damals
vertretenen Fraktionen Hilfe. Der Rektor der uni­
versität Potsdam gab uns 2001 als sogenanntes An­
Insti tut eine universitäre Anbindung. 2013 konn­
ten wir dank Annette schavan die akademischen
Bestandteile der Ausbildung in einem Institut für
Jüdische theologie zusammenfassen. Fast 200
Jahre hatte es gedauert bis zur universitären Aus­
bildung der Rabbiner in Deutschland: Das war der
traum von Abraham geiger, dem deutschen Vor­
denker des Reformjudentums.
ZEIT: Was unterscheidet sie von den großen Rab­
binerseminaren in London, New York, Los Angeles?
Homolka: Wir sind klein und fein. Es gibt Einzel­
seminare, und vor allem erheben wir keine stu­
dien ge büh ren. seit 2007 haben wir auch ein Kan­
torenseminar und arbeiten mit der Hochschule für
Musik Franz Liszt in Weimar zusammen.
ZEIT: Was war hart in den letzten 20 Jahren?
Homolka: trotz der Lobeshymnen in den Me dien
dauerte es fast 15 Jahre bis zum dauerhaften sitz in
Potsdam. Wir hatten ein winziges team, und oft
ging es nur Millimeter voran. Bald kamen auch
sprüche wie: »Juden in Deutschland haben jetzt
jahrzehntelang Fördermittel abgesahnt, nun sind
mal die Muslime dran.« Rote teppiche wurden
uns keine ausgerollt. Aktuelles Beispiel: trotz der
zugespitzten sicherheitslage für jüdische Reprä­
sentanten und Einrichtungen warten wir seit Mo­
naten auf eine verbindliche Zusage des Innen­
ministeriums, dass Brandenburg unsere neue
Bleibe umfassend sichern wird. Bis heute haben
wir nichts in der Hand, werden aber gedrängt, den
Nutzungsvertrag für das gebäude abzuschließen.
Zum Haareraufen!
ZEIT: Haben sie nach den jüngsten Attacken auf
deutsche Rabbiner in Berlin und München Angst?
Homolka: sagen wir so: statt politischer Betrof­
fenheit wünsche ich mir konkreten schutz. In
Breslau und Berlin wurden einst Rabbiner für alle
Welt ausgebildet. Bis Deutschland wieder ein Aus­
bildungsort der Herzen ist – das kann dauern.

Die Fragen stellte Evelyn Finger

GLAUBEN & ZWEIFELN 44


Walter Homolka,
55, lehrt Religions-
philosophie
in Potsdam

Rabbiner werden in Deutschland?


Oder Kantor in einer synagoge? Ja! Vier Juden sprechen über ihre Beweggründe, am Abraham geiger Kolleg


in Potsdam zu studieren – dem wachsenden Antisemitismus zum trotz


Bei mir zu Hause herrschte keine Einigkeit in
glaubensfragen. Meine Mutter ist eine säku­
lare Israelin, geprägt von der linken Kibbuz­
Bewegung. Mein Vater war ein orthodoxer
Professor aus Marokko, geprägt von der
Frömmigkeit Nordafrikas. Einig waren sich
die beiden aber im Entsetzen über meine Idee,
in Potsdam zu studieren. Warum Deutsch­
land? Weil das Land nicht mehr dunkel und
die AfD nicht in der Mehrheit ist. Weil ich an
das unwahrscheinlichste glaube, den Frieden.

Weil ich ein Fan von Angela Merkel bin – und
aus Israel wegwollte. Mir missfiel der Einfluss
des nationalistischen Judentums und der or­
thodoxen Rabbinate. Dort wollte ich nicht
Kantor werden. Als Musiker komme ich vom
Punkrock, spiele gitarre, komponiere am
Rechner, liebe elektronische Musik. Für das
Abraham geiger Kolleg musste ich etwas
Klassik nachholen, aber kann hier auch nord­
afrikanische Klänge aus der synagoge meiner
Kindheit einbringen. Hier fühle ich mich frei.

Ich komme aus einer lebendigen, aktiven ge­
meinde in Buenos Aires. unsere synagoge zu
Hause in Argentinien war sehr deutsch geprägt,
auch musikalisch, mit Orgel und gemischtem
Chor aus Männern und Frauen. Diese Wurzeln
habe ich hier am Abraham geiger Kolleg wie­
dergefunden: eine progressive Weltanschauung,
aber tiefe traditionsverbundenheit. Durch die
Nazi­Zeit ging ja viel von der reichen Liturgie
des Judentums verloren. Ich bin froh, dass ich
als student in Potsdam so exzellente Dozenten

hatte, und stolz, dort jetzt die Kantorenausbil­
dung zu leiten. Außerdem bin ich Kantor der
Jüdischen gemeinde zu Berlin, in der synagoge
Pestalozzistraße. Obwohl meine großeltern aus
Polen und Litauen fliehen mussten und mein
Vater auf der Flucht geboren wurde, haben sie
meine Entscheidung für Europa voll unterstützt.
Von Antisemiten wurde ich in Deutschland
noch nie angegriffen. Allerdings bin ich vor­
sichtig, wenn ich in der Öffentlichkeit hebräisch
spreche oder Kippa trage.

Als Jude wirst du in Deutschland nur zu zwei
themen befragt: schoah oder Antisemitismus.
Ich würde lieber mal sagen, was Juden für diese
gesellschaft geleistet haben. Deshalb lehne ich
die Frage, warum ich trotz Judenfeindlichkeit
ausgerechnet hier studiere, ab. Ich kam 2012 aus
Phoenix, Arizona, weil wir nach der Wieder­
vereinigung viel von der Renaissance des Juden­
tums hörten. Da wollte ich dabei sein. In meiner
nichtreligiösen gastfamilie in Dresden fühlte ich
mich so wohl, dass ich bis heute in dieser schöns­

ten stadt der Welt lebe. Ja, ich weiß, die AfD!
Aber waren sie mal bei der jährlichen Menschen­
kette gegen rechts? um die ganze Innenstadt und
die Neue synagoge herum! Ich komme aus einer
Reformgemeinde, wie sie in den usA selbst­
verständlich sind und es vor dem Krieg auch hier
waren. Heutige deutsche gemeinden sind oft
traditioneller. Dafür ist die jüdische studenten­
schaft international. Am geiger Kolleg pflegen
sie eine Vielfalt, die die wahre stärke der Juden
ist. Denn Jüdischsein gibt es nur im streit.

Rabbinerin zu werden war nicht mein Kind heits­
traum. Meine Eltern sind eher säkulare Deutsch­
Israelis, gingen aber in die synagoge und schick­
ten mich in den jüdischen Kindergarten. Bald
war ich die Religiöseste zu Hause. Erst studierte
ich Jura, aber immer mehr bewegte mich die
Frage: Was kann heute noch allgemeingültige
Wahrheit sein? Wegen meiner Predigten werde
ich »grüne Rabbinerin« genannt, doch am meis­
ten fasziniert mich die Weisheit der alten schrif­
ten. Das geiger Kolleg ist sehr debattierfreudig

und lehrt: Es gibt nicht nur eine Art, das Juden­
tum zu leben. Judenfeindlichkeit verletzt mich
vor allem bei Politikern. Im Jüdischen Museum
Berlin habe ich über 2000 Führungen gemacht,
bei schulbesuchen mit dem Museumsbus erleb­
te ich Antisemitismus überall im Land. Einmal
wurden wir von Hunderten schülern brüllend
begrüßt: »Juden raus!« Meine großeltern flohen
aus Wien und Breslau nach Palästina – trotzdem
liebe ich Deutschland. Aber ich möchte nur in
meinem toleranten Viertel in Berlin leben.

Isidoro Abramowicz, 46 Jasmin Andriani, 35

Itamar Cohen, 36 Max Feldhake, 30

Fotos: Gordon Welters für DIE ZEIT; Davids (r. u.)

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