Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

ENTDECKEN


Kollegahs Alpha-Männer


Zum Tier werden, aber richtig – der Rapper Kollegah
lehrt in Seminaren, worauf es im Leben ankommt

M


ännlichkeit interessiert
mich aus persönlichen
Gründen ja sehr. Ich
horchte also auf, als
Buzzfeed und Vice vor
Kurzem berichteten, dass der Rapper
Kollegah eine Zweitkarriere als Life-
Coach anstrebt und seinen Fans bei
einem On line- Work shop namens »Al-
pha Mentoring« das Geld aus der Ta-
sche zieht (Preis: 2000 Euro). Kolle-
gah behauptet, die Teilnehmer stärker,
stolzer und erfolgreicher bei Frauen zu
machen, also zu echten Alpha-Män-
nern. Nur, was ist das denn genau?
In der Zoologie ist das Alpha-Tier
Anführer der Gruppe, häufig deren er-
fahrenstes und aggressivstes Mitglied.
Oft ist das Alpha ein Männchen, aber
nicht immer. So edle Tiere wie Mufflons
werden von Weibchen geführt. Der Be-
griff wird auch verwendet, um Men-
schen zu bezeichnen, meist irgendwie
dominante Männer. Und weil Alpha so
schön evolutionistisch klingt, könnte
man denken, das wurde schon immer
so gemacht. So ist es aber nicht.
Die Idee, das Alpha-Konzept auf
Menschen zu übertragen, verbreitete sich

zuerst in der amerikanischen Politik. Das
sagt zumindest der Verhaltensforscher
Frans de Waal, Autor des Buches Chim-
panzee Politics. Darin beschreibt er den
Machtkampf zwischen Affen. Zu seinem
Missfallen begann Mitte der Neunziger-
jahre der Republikaner Newt Gingrich
(rhetorisch und moralisch ein Vorläufer
des aktuellen Präsidenten), Abgeord-
neten das Buch zu empfehlen. Als An-
leitung für Menschenpolitik. Wenige
Jahre später diskutierte das Wahlkampf-
team von Al Gore darüber, ob der genug
Alpha sei, um Präsidentschaftskandidat
zu werden. Mit der Zeit erreichte der
Begriff auch Leute, die von Führungs-
positionen ziemlich weit entfernt sind.
Wer heute nach dem Stichwort Al-
pha-Mann googelt, stößt auf unzählige
Varianten des Artikels »How to be an
Alpha male«. Mit Politik haben die
wenig zu tun, eher mit einer anderen
Eigenschaft von Alpha-Tieren: Alpha-
Männchen sind häufig die Einzigen, die
sich mit den Weibchen der Gruppe
paaren dürfen. Entsprechend erklären
einem diese Artikel, wie man sich zu
einem Alpha hochtrainiert, zu einem
Mann, zu dem sich Frauen von Natur

aus hingezogen fühlen. Im Gegensatz
zu Beta-Männern, die sich deren Gunst
mit Geld erkaufen müssen. Das Motto
lautet: »Alpha fucks, beta bucks« – Alpha
vögelt, Beta bezahlt. Laut Internet kann
man übrigens auch Alpha-Frau sein. Die
Hürden sind aber nicht so hoch. Auf
brigitte.de gibt es einen Test. Ich schaffe
sieben von acht Punkten.
Das Lustigste am Alpha-Beta-Kon-
zept sind die Leute, die daran glauben.
Man muss sich nur ein Video von Kol-
legahs Alpha-Treffen anschauen: ein
Seminarraum voller Männer in kurzen
Hosen, die auf seinen Befehl hin die
Fäuste recken und »Wir sind Alpha!«
brüllen. Sind sie aber nicht. Denn der
Alpha ist ja Kollegah, und mit ihrem
Unterwerfungsgebrüll bestätigen sie
nur den Rangunterschied zwischen ihm
und sich selbst.
Vielleicht ist das Konzept also doch
nicht gut auf Menschen übertragbar.
Oder die Alphas haben die beste Tech-
nik überhaupt entwickelt, um Betas
unten zu halten: ihnen einzureden, man
könne sie zu Alphas machen. Gegen
Bezahlung, versteht sich. Denn Kolle-
gah weiß: Beta bucks.

FRANCESCO GIAMMARCO ENTDECKT

Illustration: Oriana Fenwick für DIE ZEIT

Kiên Hoàng Lê porträtiert
hier im Wechsel mit anderen
Fotografen Menschen,
die ihm im Alltag begegnen.
Protokoll: Cosima Schmitt


Ich bin 45 Jahre lang Bergmann
gewesen. Mit 14 habe ich
angefangen. In Sangerhausen,
das war berühmt für sein
Kupfer. Wir waren richtig tief
drinnen, so tausend Meter.
Ich mochte das. Im Schacht ist
es immer dunkel. Das fand ich
am schönsten. Steiger, Schlosser,
hab ich alles gerne gemacht.
33 Jahre war ich unter Tage,
den Rest über Tage. Seit Anfang
der Neunziger gibt es den
Bergbau nicht mehr. Ich hab
den Schacht mit zugemacht,
in dem ich so lange gearbeitet
hatte. Alles wurde geflutet.
Nur die Schachthalden sind
noch da. Die schauen sich
jetzt Touristen an. Mit 60 bin
ich mit meiner Frau nach
Usedom gezogen. Die Seeluft
tut mir gut. Die Lunge ist ja
kaputt, wie bei allen Bergleuten.
Von meiner Klasse bin ich
als Einziger übrig geblieben.
Alle anderen sind tot.
Wenn ich bei meiner Tochter
in Halle bin, merke ich gleich:
Die Luft ist schwerer.


Jürgen Lutze, Ja h rg a ng 194 2 ,
ist Bergmann im Ruhestand


S I N D


SIE


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  1. AUGUST 2019 DIE ZEIT No 33
    25. August | Hamburg
    ZEIT Matinee mit Annegret
    Kramp-Karrenbauer
    Eine Parteivorsitzende haben wir eingeladen,
    nun kommt auch eine Verteidigungsministerin.
    Annegret Kramp-Karrenbauer zu Gast in der
    ZEIT Matinee.
    31. August bis 1. September | Berlin
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    Visionäre zwischen 20 und 29 können sich jetzt für
    das große Festival in Berlin bewerben: z2x.zeit.de.
    11. September | Würzburg
    Wie die neuen Rechten unsere
    Gesellschaft verändern wollen
    Reporter Christian Fuchs arbeitet im Investigativ-
    Team der ZEIT. An diesem Abend in Würzburg
    erzählt er von seinen jahrelangen Recherchen rund
    um Geldgeber und Hintermänner der neurechten
    Bewegung. Denn laut Fuchs’ Erkenntnissen ist ein
    ganzes Netzwerk aus Stiftungen, Vereinen, Medien
    und Kampagnen in Deutschland entstanden – fast
    unbemerkt von der Öffentlichkeit.
    19. September | Zürich
    Redaktionsbesuch in der Schweiz
    Blicken Sie hinter die Kulissen der Zürcher Redaktion.
    19. September | Hamburg | ZEIT Café
    Was braucht der Mensch? Arbeit.
    Elisabeth von Thadden ist die Erfinderin von »Sinn
    und Verstand«, den neuen philosophischen Seiten
    der ZEIT. Mit Lisa Herzog, einer jungen Professorin
    für politische Philosophie, will sie über die Grund-
    bedürfnisse der Menschen und die Zukunft der
    Arbeit diskutieren.


Fotos: Ina Mortsiever, Michael Kappeler, CDU / Laurence Chaperon, Andreas Henn

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