Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1
Foto: © Sisoje/iStock

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  1. August 2019 DIE ZEIT No 33


Foto: Vera Tammen

Der Film »Being John Malkovich« dreht sich um einen tunnel, durch den
man in den Kopf des schauspielers John Malkovich kriechen kann. Als
Malkovich selbst den tunnel benutzt, landet er in einer Welt, wo jeder eine
Malkovich-Maske trägt. Malkovich verlangt daraufhin die schließung des
tunnels – weil man sich selbst als Masse nicht gut erträgt. JR

Damals


1999

Heute





    1. 2019




Laut einer studie des Wissenschaftszentrums Berlin
haben Eltern, die lange arbeiten, dickere Kinder als
Eltern, die früher nach Hause gehen. Nun, ich habe
zwei töchter, von denen eine sehr schlank und die
andere wirklich dünn ist. Bevor gleich der Chefredak-
teur, der Verlagsgeschäftsführer und die beiden Ver-
leger sich näher nach meiner Büropräsenz erkundigen,
möchte ich festhalten, dass es sich bei dem schluss »Je
fauler der Kolumnist, desto dünner sein Kind« um
einen klassischen Fall der Illusorischen Korrelation

handelt, also um eine Vorstellung, die Zusammen-
hänge sieht, die gar nicht vorhanden sind. Anders
gesagt: Das Dünnsein meiner Kinder hat mit meiner
Faulheit nichts zu tun. selbst wenn sie dick wären,
wäre ich immer noch faul.
strikt zu trennen von der Illusorischen Korrelation
ist der Heile-Welt-Naivitätsfehler (HWNf ). Dieser
basiert auf bestimmten Menschenbild-Annahmen und
äußert sich in der Verzerrung, in gravierenden Fällen
sogar in der Negierung der Realität. Ein besonders

schlimmer Fall liegt bei der FDP vor. Zu glauben,
morgen würden Ingenieure etwas tolles erfinden, das
den Klimawandel stoppt, weshalb niemand sein Ver-
halten ändern müsse, ist selbst in der Illusion einer
heilen Welt ziemlich naiv. Vergleichbar nur noch mit
der Idee, man müsse als CDu-Chefin unter Druck
nur Verteidigungsministerin werden – und schon
klappt’s wieder mit dem Kanzleramt.
so, und jetzt ist schluss. Denn: Je fauler der Ko-
lumnist, desto kürzer die Kolumne. PETER DAUSEND

Lob der Faulheit


Illusorische Korrelation oder doch eher Heile-Welt-Naivitätsfehler:
Was die Dünnheit von Kindern und die Einfalt der FDP über die Länge von texten aussagen

Torten der Wahrheit


VON KATJA BERLIN

Außerhalb des eigenen Kopfes ist die selbstvermehrung viel netter, sie
zeugt nämlich von der Bewunderung der anderen. so wie hier mit dem
Bild des englischen Kricket-stars Ben stokes. Er hat seiner Mannschaft den
sieg beim World Cup im Frühsommer erkämpft, und nun warten seine
Konterfeis auf eine Begegnung mit den Australiern. JR

ZEITGEIST

Kein Mensch auf der Welt ist in der Lage, einen
Bleistift zu produzieren. Die tatsache, dass Blei-
stifte trotzdem existieren, sollte der Menschheit
deshalb Zuversicht geben. Ein Bleistift sei ein
Wunder, schrieb der amerikanische Wirtschafts-
wissenschaftler Leonard E. Read im Jahr 1958 in
einem Essay namens I, Pencil. um ihn herzu-
stellen, braucht es das Wissen und die Fähig-
keiten von tausenden: Holzfällern in Nordkali-
fornien, die den Rohstoff für die Zedernhülle
liefern. Minenarbeitern in sri Lanka, die das
graphit abbauen. Chemikern im staat Missis-
sippi, die die Bleistiftmine weich machen, zum
teil mit Candelillawachs aus Mexiko.
und woraus wird der Lack für das
glänzende Finish gewonnen? unter
anderem aus dem Öl von Rizinusboh-
nen, deren Anbau Expertensache ist.
Nicht eine Person auf dem Pla-
neten, so Read, einschließlich des
Chefs der Bleistiftfabrik, trage
mehr als einen winzigen teil des
nötigen Know-hows bei. »Wenn
sie sich die Wunderhaftigkeit klar-
machen, die ich symbolisiere«, lässt
Read seinen Bleistift sagen, »können sie hel-
fen, die Freiheit zu erhalten, welche die
Menschheit gerade so unglücklich verliert.«
Würde Read heute eine geschichte namens
I, iPhone oder I, E-Scooter schreiben, erschienen
ihm diese Innovationen als noch mirakulöser.
Aber er müsste auch ein Menschheitsproblem
einpreisen, das er vor 60 Jahren schlicht nicht
sehen konnte. Jeder gefällte Baum, jedes schiff,
das Rohstoffe transportiert, jeder Laster aus
Mexiko trägt einen winzigen teil dazu bei, die
Atmosphäre zu erhitzen und dadurch die Frei-
heit eines jeden Erdbewohners zu schmälern.
Die Entfesselung kreativer menschlicher Ener-
gie bedeutet im fossilen Zeitalter eben auch
den Massenfraß unwiederbringlicher güter.


trotzdem ist der Kulturpessimismus falsch,
der sich vor allem in Deutschland gerade darin
äußert, deutlich angestrengter über Verzicht
nachzudenken als über Fortschritt. Die gefrä-
ßige fossile Ära überlagert sich schließlich gera-
de mit einem schöpferischen neuen Zeitalter,
dem digitalen. Kollektives Wissen ist heute
einfacher und schneller zu schaffen als jemals
zuvor. Die Möglichkeit, gewaltige Datenmen-
gen jederzeit von jedem Punkt der Welt aus mit
anderen zu teilen, macht die gegenwart zur
potenziell klügsten Epoche aller Zeiten.
Die Menschheit mag mit dem von ihr ge-
schaffenen Klimawandel vor einem
ihrer größten Probleme stehen.
Aber sie besaß nie bessere struktu-
relle Voraussetzungen als heute, um
es zu lösen – rasante politische Be-
wusstseinsschaffung inklusive.
Zu viel des Optimismus? Dann
fragen sie sich, ob der Planet heute
wohl vor denselben Problemen
stünde, wären der PC und das Inter-
net schon 1958 erfunden worden.
Vielleicht sollte man besser gar nicht
darüber nachdenken, wie viele Ideen im fossi-
len Zeitalter unverknüpft auf Wissensinseln
liegen geblieben sind, die schon vor Jahrzehn-
ten hilfreich hätten sein können, um ebendie-
ses Zeitalter zu überwinden.
Im Internet ist dieser tage zu lesen, dass in
Marokko, der ägyptischen Wüste und in Abu
Dhabi gewaltige solarkraftwerke entstehen. Ihr
strom könnte Wasserstoff erzeugen, der CO₂-
neutral Brennstoffzellen-Autos antreibt. For-
scher in den Niederlanden arbeiten an Wasser-
stoff-Flugzeugen, und Physiker in großbritan-
nien, Katar und Deutschland wollen CO₂ in
treibstoff verwandeln. Das ist noch unrenta-
bel, weil irre aufwendig. Aber war das die Blei-
stiftproduktion nicht auch einmal?

Jochen Bittner ist
Redakteur der ZEIT
und vertritt diese
Woche Josef Joffe

Das Wunder Bleistift


Kopf hoch: Wir leben in der klügsten aller Zeiten
VON JOCHEN BITTNER

DAUSEND

POLITIK 9


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Fotos: imago (l., Filmszene aus »Being John Malkovich«,1999); Carl Recine/Action Images/Reuters (r.)
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