Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

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Frau Schmidt, Sie galten als sehr kämpferische Politikerin.


Dabei mussten Sie 1980 überhaupt erst zur Politik über-
redet werden.


Stimmt, ich wollte nie hauptamtlich in die Politik. Aber wir
hatten in Nürnberg eine schwierige Situation, und wenn
der Karren im Dreck steckt, erinnert man sich daran, dass
es ja Frauen gibt, da macht die SPD keine Ausnahme. Als
ich gefragt wurde, ob ich für den Bundestag kandidieren
will, habe ich widerstrebend zugesagt, es mir wenigstens
zu überlegen. Das war eine Woche vor Weihnachten. Mein
Mann sagte zu mir: So was habe ich schon befürchtet. Als
dein Genosse sage ich dir, mach’s! Und als dein Ehemann
sage ich dir: Bitte lass das bleiben.

Also hat der Genosse in dem Fall den Ehemann geschlagen?
Wir haben getrennt voneinander Zettel gemacht, ich als
mathematisch Orien tier te mit Plus und Minus, er als
sprachlich Orien tier ter mit Positiv und Negativ. Bei Positiv
standen so wunderbare Allgemeinplätze wie »neue Erfah-
rungen machen« und ähnlicher Krampf. Bei Negativ fing’s
an, konkret zu werden. Bei ihm stand: Unsere Familie geht
kaputt, unsere Ehe wird dran scheitern, wir leben in einem
gläsernen Haushalt. Und bei mir: Ich kann doch keine
Rede im Bundestag halten, vor mir sitzen Willy Brandt,
Herbert Wehner und Helmut Schmidt. Das schaffe ich
nicht, das ist eine Nummer zu groß für mich.


Sie waren Betriebsrätin bei Quelle, damals ein großes Un-
ternehmen in Nürnberg.


Genau. Ich war ein paarmal bei Unterbezirksparteitagen
durch etwas aufmüpfige Redebeiträge aufgefallen. Aber ich
war im Grunde in der SPD völlig unbekannt. Hätte ich ge-
wusst, dass außer mir drei verdiente Genossen kandidieren,
ich wäre wahrscheinlich gar nicht angetreten.
Was gab den Ausschlag?


Mein Mann und ich sind unsere Zettel durchgegangen.
Mein Mann sagte zum Beispiel: Wie, du kannst keine
Reden halten? Du solltest dich mal hören. Und wenn
man überzeugt war, hat man seinen Einwand gestrichen.
So blieb nicht mehr viel übrig. Dann haben wir mit den
Kindern gesprochen. Meine Großen waren wirklich schon
groß, 19 und 17 Jahre. Der Kleine war 10 Jahre alt, und
der war begeistert. Das hat den Ausschlag gegeben. Hätte
er anders reagiert, hätte ich es nicht gemacht.
Ist das eines Ihrer Erfolgsmittel: Sie hatten und haben keine


Angst?
Ich stelle mir in jeder schwierigen Situation vor, wie ich
mich fühlen würde, wenn ich verliere, und zwar so plas-
tisch, dass ich das richtig körperlich erlebe. Und wenn ich
dann merke, ich kann mit dieser Situation umgehen, ist die
Angst weg. Vorher ist sie schon da, nur Deppen haben nie
Angst. Ich habe in meinem Leben so viel Angst gehabt, ich
kann Ihnen das gar nicht beschreiben.


Sie haben die Angst anprobiert wie eine Jacke. Wie sind Sie
darauf gekommen?


Ganz früh. Wir hatten sehr wenig Geld. Da hat man oft
Angst und stellt sich Fragen. Etwa: Wie geht man zur Bank

für einen Kredit. Ich hab mir immer schon vorher überlegt,
was ich mache, wenn es nicht klappt.
Was braucht man noch zum Kämpfen?
Man muss authentisch sein. Wenn man keine Intellek-
tuelle ist, sollte man sich keinen intellektuellen Anstrich
geben. Um erfolgreich in der Politik zu sein, muss man
wirklich an Menschen Interesse haben. Wer zwischen
sich und den Menschen immer einen Info-Tisch braucht,
braucht nicht in die Politik zu gehen. Man muss zuhö-
ren. Und man muss antworten. Gerade Letzteres scheint
nicht mehr üblich zu sein, mit der Folge, dass sich die
Menschen nicht ernst genommen fühlen und sich von der
Politik abwenden.
Wie sehr gehört zum Kämpfen das unbedingte Wollen?
Das ist ganz wichtig. Man muss unbedingt wollen. Ich
wollte immer gewinnen.
Hat Markus Söder sich deshalb gegen seine Konkurrenten
durchgesetzt, weil er es am meisten wollte?
Ja. Am Anfang dachte ich, die Ilse Aigner hat gute Chan-
cen. Aber sie hat es nicht so sehr gewollt wie Söder, und
deshalb hat sie auch nicht richtig gekämpft.
Was hätte das bedeutet: richtig kämpfen?
Auf Zuständigkeiten beharren, auch mal auf den Tisch
hauen. Präsent sein. Sich in Talk shows setzen, statt nur
Ortstermine zu machen. Schade, ich hätte mir gewünscht,
dass sie mehr gekämpft hätte.
Ist das typisch, dass Männer den Erfolg mehr wollen, unbe-
dingter, und Frauen eher zurückstecken?
Eine meiner Enkelinnen hat mal zu mir gesagt: »Du bist
eine Gewinn-Wollerin.« Ich weiß nicht, ob das eine männ-
liche Eigenschaft ist. Aber es mag schon sein, dass ich ein
paar mehr männliche Gene habe als der Durchschnitt.
Wichtig beim Wollen ist: Man muss ein Ziel haben, das
über die eigene Person hinausgeht.
Kann es sein, dass Männer ihre Leidenschaft oft auf Projekte
und Ziele richten und Frauen eher auf soziale Beziehungen?
Also, meine Leidenschaft gilt auch mehr sozialen Projek-
ten. Aber um etwas zu erreichen, muss man Macht haben.
Ich erinnere mich an meine erste überregionale Veranstal-
tung als neu gewählte Bundestagsabgeordnete. Ich war to-

Foto picture alliance/ullstein bild

Renate Schmidt, 75, wuchs in Coburg, Fürth und
Nürnberg auf. Sie zog 1980 als Direktkandidatin
in den Bundestag ein und war dort bis 1994
Abgeordnete. Von 1991 bis 2 0 0 0 war sie Landes­
vorsitzende der SPD in Bayern. Bei den
Landtagswahlen 1994 holte Schmidt ihre Partei
als Spitzenkandidatin mit 30 Prozent der
Stimmen aus einem historischen Tief. Von 2 0 02 bis
2 0 05 gehörte sie als Familienministerin der von
Gerhard Schröder geführten Bundesregierung an
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