Die Zeit - 08.08.2019

(C. Jardin) #1

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tal stolz, dass ich mit tollen, kämpferischen Frauen wie Su-
sanne von Paczensky auf ein Plakat durfte. Auf dem stand:
»Frauen und Macht«, dahinter war ein Fragezeichen. Auf
dem Podium war ich die Einzige, die gesagt hat: Ich ver-
stehe das Fragezeichen nicht. Leider denken Frauen öfter,
Macht sei etwas Schlechtes.
Braucht man, um an die Macht zu kommen, auch eine ge-
wisse Brutalität?
Man muss manchmal schon deutlich machen, wer das
Sagen hat. Das ist aber nicht brutal. Schließlich ist man
in eine Funktion gewählt, um etwas zu erreichen, um zu
entscheiden.
Man muss bereit sein, Leuten auf die Füße zu treten?
Ja, aber nicht dauernd, und man darf gerne auch ver-
suchen, das auf andere Art und Weise zu tun. Nur leider
glauben viele Frauen auch heute noch, es immer allen recht
machen zu müssen. Da hat sich zu wenig geändert. Da-
bei kann man es nie allen recht machen! Man kann nicht
gleichzeitig hundertprozentige Berufsfrau, hundertprozen-
tige Mutter, hundertprozentige Partnerin sein ... dann wird
man ein dreihundertprozentiges Wrack!
Wie kann man sich davor retten?
Man muss sich fragen: Was ist in meiner jetzigen Lebens-
situation das Wichtigste? Und wenn ich die anderen Din-
ge nicht mehr schaffe, muss ich meinem lieben Mann oder
Partner sagen: Jetzt bist du mal dran, ich kann im Moment
nicht. Oder man muss manche Sachen einfach schleifen
lassen. Ich hasse dieses Wort »Powerfrau«, nicht nur weil’s
auf Fränkisch wie »Bauerfrau« klingt, sondern weil da im-
mer so getan wird, als ob ich alles mit links geschafft hätte.
Ich bin kein Übermensch. Nein, ich habe es nur geschafft,
weil mein erster, mein verstorbener Mann Hausmann war
und sich um die Kinder gekümmert und mir den Rücken
frei gehalten hat. Und das gilt auch für meinen zweiten
Mann: Ich hätte das nicht geschafft, wenn er nicht ertra-
gen hätte, dass seine Frau Ministerin nach Hause kam und
in Wirklichkeit gar nicht zu Hause war. Zwar als Körper,
der vielleicht auch mal was gekocht hat – aber nicht wirk-
lich anwesend.
Sie haben mal gesagt: »Mit zwanzig wollte ich den Männern
gefallen, mit dreißig wollte ich besser sein als sie, mit vier-
zig waren sie mir wurscht.« Wie ist es jetzt mit 75?
Sind sie mir noch wurschter! (lacht) Ich mag Männer, und
ich finde es auch gut, wenn mir ein Mann sagt: Du schaust
gut aus – vor allem, wenn es meiner sagt. Jede Frau und
jeder Mann will auch gefallen. Aber wie wichtig ist das?
Viel wichtiger ist, etwas aus dir zu machen. Nicht in jeder
Frau steckt eine Bundeskanzlerin. Aber das, was in einem
steckt, auch zu leben und nicht immer zurückzustecken,
das ist sehr viel wichtiger, als zu gefallen.
Sie sind sehr früh durch ein ziemliches Stahlbad gegangen.
Sie waren 17, als Sie schwanger wurden. Und Sie durften
deshalb kein Abitur machen.
Ich hätte es auch gar nicht machen können, weil weder
mein späterer Mann noch ich aus reichen Elternhäusern

kamen. Meine Mutter und meine Schwiegermutter wa-
ren beide berufstätig. Ich hätte die Schule also auch aus
freien Stücken verlassen müssen. Dass ich es musste, habe
ich nicht akzeptiert. Dagegen habe ich mich innerlich auf-
gelehnt. Aber es war im Prinzip ein großes Glück. Ich bin
dadurch in einen Beruf hineingeraten, in den ich sonst nie-
mals hineingeraten wäre.
Sie wurden Programmiererin bei Quelle.
Da gab es noch keine fest gefügte Ausbildung, es war
Learning by Doing und wurde später richtig gut bezahlt.
Ich kann dem Fräulein Doktor Gutbier, das mich von der
Schule geschmissen hat, also heute noch danken. Auch die
frühe Schwangerschaft war ein großes Glück, denn als ich
anfing, Karriere zu machen, waren die Kinder schon grö-
ßer. Aber am Anfang war’s natürlich schwer, wenn man als
einzige Frau in eine Abteilung mit 13 Männern kommt,
die Jüngste ist und schwanger. Das war nicht lustig.
Erzählen Sie.
Zuerst wollten sie mich an die Schreibmaschine setzen.
Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich froh
war, etwas nicht zu können – nämlich Schreibmaschine
schreiben. Dann haben sie mich den Lochkartenschrank
aufräumen lassen. Damals wurden Programme noch auf
Lochkarten abgespeichert. Kein einziger Mann musste das
machen. Dann haben sie mich Kaffee kochen lassen, der
war Gott sei Dank nicht gut.
War der mit Absicht nicht gut?
Nee, weil ich’s halt nicht konnte. Und dann haben sie
mich in die Abteilung mit den konventionellen Maschi-
nen gesteckt. Da habe ich Mischerschaltungen gestöpselt,
an Sortiermaschinen gearbeitet und über die dreckigen
Witze meiner männlichen Kollegen gelacht, auch wenn
ich sie teilweise nicht verstanden habe. Als ich immer noch
nicht aufgegeben habe, haben sie mich ins Rechenzentrum
Foto gesteckt, da habe ich Schicht gearbeitet. Und dann haben


picture alliance/ullstein bild


Renate Schmidt 1993 mit Björn Engholm,
Manfred Stolpe und Wolfgang Thierse beim


  1. Geburtstag von Walter Jens

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