Die Welt Kompakt - 31.07.2019

(lu) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,31.JULI2019 FORUM 15


E


in Gespenst geht um im
Klimaschutz – das Gespenst
des Kommunismus. Freun-
de der Planwirtschaft und
des staatlichen Interventio-
nismus sehen in der deutschen Energie-
politik eine willkommene Chance, ihre
antikapitalistischen Reflexe wieder-
zubeleben. Rufe nach Enteignungen,
Verboten oder Strafsteuern werden
laut. Die Verunsicherung in der Wirt-
schaft wächst. Mittelständler – wie
jüngst in der WELT die Unternehmerin
Natalie Mekelburger – bezeugen ihre
Angst vor den „linken Umverteilungs-
ideologen“, die sich durch den auf-
ziehenden „Klimaabsolutismus“ legiti-
miert fühlten, einen wirtschaftsfeindli-
chen Ökosozialismus durch die Hinter-
tür einzuführen.
Sind die Sorgen berechtigt? Ja und
nein – in jedem Fall aber berechtigt
genug, um den Anfängen zu wehren.
Schließlich ist gerade ein Klimaschutz-
gesetz in der Ressortabstimmung, das
jedem volkswirtschaftlichen Sektor
feste CO 2 -Sparziele vorgibt und dem
jeweils zuständigen Ministerium bei
Nicht-Erreichen Strafen androht und
Sofortmaßnahmen abverlangt. Welche
staatliche Eingriffstiefe dieses Gesetz
ermöglichen wird, ist derzeit noch
völlig unklar.
Heikel wird der für dieses Jahr avi-
sierte Erlass des Klimaschutzgesetzes
schon deshalb, weil die Jurisprudenz
inzwischen ein „Klimarecht“ entwic-
kelt hat, das, vorsichtig ausgedrückt,
bereits einige Überraschungen pro-
duzierte. Es klingt geradezu kafkaesk,
dass sich etwa ein peruanischer Anden-
bauer unter allen CO 2 -Emittenten der
WWWelt relativ willkürlich den deutschenelt relativ willkürlich den deutschen
Energieriesen RWE herauspicken und
diesen für dessen Anteil an der Erder-
wärmung verklagen kann. Doch das
Oberlandesgericht Hamm hat die Be-
weisaufnahme zugelassen.
Im Zusammenspiel mit dem Ver-
bandsklagerecht könnte das kommende
Klimaschutzgesetz eine ganz eigene
Dynamik entwickeln. So, wie die Deut-
sche Umwelthilfe heute vor Gericht den
Kommunen Fahrverbote auferlegen
lässt, könnten Nichtregierungsorganisa-
tionen in Zukunft womöglich Bundes-
minister vor den Kadi zerren, wenn
deren Ressorts die gesetzlich definierten
CO 2 -Ziele nicht erreichen. Energie- und
Klimapolitik würde dann von deutschen
Gerichten gemacht, vor denen man, wie
das Sprichwort sagt, in Gottes Hand ist.
Wird Klimaschutz auch noch als
Staatsziel im Grundgesetz verankert, wie
es jetzt selbst Bayerns Ministerpräsident


Söder fordert, wird nicht nur das im
Energiewirtschaftsgesetz vorgegebene
Zieldreieck aus Versorgungssicherheit,
Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit fak-
tisch aufgelöst und durch das alleinige
Primat des Klimaschutzes ersetzt – der
darf dann kosten, was er wolle. NGO-
Klagen auf Basis des Bundesklimasch-
utzgesetzes würden im Lichte dieser
verfassungsrechtlichen Verankerung eine
noch größere Durchschlagskraft entfal-
ten. Noch weiß man nicht, wie es kom-
men wird. Aber dass theoretisch einmal
deutsche Richter helfen könnten, Ver-
bots-, Stilllegungs- und Besteuerungs-
fffantasien durchzusetzen, ist eine Vor-antasien durchzusetzen, ist eine Vor-
stellung, die Unternehmer wie Natalie
Mekelburger nicht beruhigen wird.
Man muss wissen, ob man das will.
Einige werden eine gesteigerte Durch-
setzungsfähigkeit des Staates für gut
und nötig halten. Schließlich fordern
Klimaforscher eine in ihrer Radikalität
beispiellose Transformation des ge-
samten Wirtschaftslebens in kürzester
Zeit. Aber es geht auch anders.
Denn in die deutsche Energie- und
Klimapolitik ist Bewegung gekommen.
Grund ist die Europawahl, in der histo-
risch erstmalig der Klimaschutz wahl-
entscheidend gewesen sein könnte.
Hinzu kam der Druck von der Straße,
der von der Fridays-for-Future-Bewe-
gung erzeugt wurde und in Parteien
und Unternehmen die Angst wachsen
ließ, „die Jugend“ als Wähler oder Kun-
den zu verlieren. Zur neuen Beweglich-
keit trug schließlich der Höhenflug der

Jenseits des


Ökosozialismus


Es kommt Bewegung in die Klimapolitik,


und die Richtung stimmt: Sie führt zu mehr


Marktwirtschaft. Die größte Gefahr sind jetzt


Rückfälle in den staatlichen Interventionismus


DANIEL WETZEL

LEITARTIKEL


Endlich werden


in der bislang


verkorksten


Energiewende


die Karten


neu gemischt


Grünen in den Umfragen bei, der be-
wirkte, dass sich zumindest die Par-
teispitze jetzt eher mit realistischen
Politikoptionen beschäftigt als mit
visionären Luftschlössern.
Damit könnten in der bislang ver-
korksten Energiewende die Karten neu
gemischt werden. Der Versuch der Mi-
krosteuerung des komplexen Energie-
systems durch eine überforderte Be-
amtenschaft ist ohnehin für alle erkenn-
bar gescheitert. Deshalb hat sich bereits
ein „Klimakabinett“ darangemacht, den
wild wuchernden Dschungel von sich
oft gegenseitig widersprechenden För-
derprogrammen, Umweltabgaben und
Energiesteuern zu lichten und durch ein
vergleichsweise einfaches und trans-
parentes Konzept der CO 2 -Bepreisung
zu ersetzen, wie es praktisch alle nam-
haften Ökonomen fordern. Der lange
ignorierte Emissionshandel wird end-
lich als das effektive und kostengünstige
Klimaschutz-Instrument wahrgenom-
men, das er ist. Die selbst gestellte Auf-
gabe, die Finanzierung der Energiewen-
de und damit den Klimaschutz völlig
neu zu organisieren, ist zwar eine ge-
waltige Herausforderung. Dennoch
leuchtet derzeit am Horizont die Mög-
lichkeit einer neuen Energiepolitik auf,
die viel stärker auf marktwirtschaftli-
chen Prinzipien basiert als die bisherige,
von Willkür, Unwissenheit und Chaos
gezeichnete Planwirtschaft.
Für Natalie Mekelburger und andere
sorgenvolle Unternehmer leitet sich
daraus eine Hoffnung ab. Denn ein
künftiges, konsistentes CO 2 -Regime,
wie es die Wissenschaft vorschlägt,
kann die Strompreise senken, die Ener-
giewende entbürokratisieren und für
Planungssicherheit sorgen. Wird die
marktwirtschaftlich orientierte Neu-
ordnung der Energiewende-Finanzie-
rung ein Erfolg, stellt sich streng ge-
nommen sogar die Frage, ob man ein
Klimaschutzgesetz, das auf ressortspe-
zifische Staatseingriffe abzielt, über-
haupt noch braucht.
Zur Hoffnung berechtigt auch der
Eindruck, dass die Enteignungs- und
Verbotsrufe derzeit eher aus den Reihen
der Linken und der ideologisch noch
etwas mäandernden SPD kommen. Der
Forderungskatalog der Grünen aber ist
bei näherer Betrachtung nicht so wirt-
schaftsfeindlich, wie oft unterstellt
wird. Anstelle von Flugverboten schlägt
die Partei die Ertüchtigung der Bahn-
Infrastruktur vor. Das ist nicht direkt
unökonomisch. Die Forderung der Grü-
nen nach Abschaffung der Subventionen
für fossile Brennstoffe muss sich eine
Industrie gefallen lassen, die ja sonst
auch gern auf freie Marktwirtschaft
ohne Staatseingriffe pocht. Dass In-
dustrie und Arbeitsplätze vor Abwan-
derung und Verdrängung geschützt
werden müssen, ist den Grünen zudem
nicht nur bewusst, man sinnt auch über
entsprechende Konzepte nach: Ihr Vor-
schlag, etwa die Stahlindustrie durch
CO 2 -Zölle zu schützen, entspricht ziem-
lich genau der Forderung nach einem
europäischen Grenzausgleich, dessen
weitreichende Vorteile der wissen-
schaftliche Beirat des CDU-geführten
Bundeswirtschaftsministeriums jüngst
ausführlich beschrieben hat.
Es ist etwas in Bewegung gekommen
im erstarrten deutschen Klimaschutz.
Und Bewegung tut gut.
[email protected]

ǑǑ


KOMMENTAR

HOLGER ZSCHÄPITZ

Falsches


Signal


D


ie Idee klingt einleuchtend:
Ein Euro in Griechenland
muss so viel wert sein wie
ein Euro in Deutschland. In der
Finanzkrise hat sich allerdings ge-
zeigt, dass das nicht so ist, sobald
Banken ins Wanken geraten. Dann
steht plötzlich der Euro auf dem
Konto in Griechenland im Feuer und
ist faktisch weniger wert, weil grie-
chische Sparer im Fall einer Schief-
lage ihrer Bank mit zur Kasse ge-
beten werden. Dieses Problem woll-
te man mit der Bankenunion aus-
schließen. Mit einer gemeinsamen
Aufsicht unter dem Dach der Eu-
ropäischen Zentralbank und einer
gemeinsamen Abwicklungsbehörde
für Not leidende Finanzinstitute
sowie einer gemeinsamen Einlagen-
sicherung – die allerdings noch nicht
existiert – sollte ein Euro auf allen
Konten europaweit die gleichen
Bedingungen haben.
Doch die gute Idee ist fragwürdig
umgesetzt worden. Unter dem ein-
heitlichen Dach sind derart unter-
schiedliche Risiken gebündelt wor-
den, dass niemand mehr wirklich im
Blick hat, welche Gefahren dort
versammelt sind. Am wenigsten die
deutschen Parlamentarier, die mög-
licherweise einen neuen Schatten-
haushalt vorgesetzt bekommen.
Nämlich dann, wenn die Risiken
derart groß werden, dass sie die
Rettungssummen, die in der Ban-
kenunion von den privaten Gläubi-
gern vorgesehen sind, sprengen. Die
Parlamentarier haben in diesem Fall
keine wirksamen Möglichkeiten
mehr, mit einem Veto Schäden vom
Haushalt abzuwenden. Das ist aus
demokratischer Sicht problematisch.
Trotzdem hat das Bundesverfas-
sungsgericht die derart geplante
Bankenunion jetzt durchgewinkt. Die
Richter argumentieren, dass die In-
tegration Europas ein hohes Gut ist
und den nationalen Akteuren ein Rest
an Mitwirkungsmöglichkeiten bleibt.
Das mag zwar aus europapolitischer
Sicht pragmatisch sein, weil es die
Integration voranbringt. Es ist aber
nicht ganz ehrlich. Wer die weitere
Integration Europas möchte, muss
das Grundgesetz entsprechend än-
dern, sodass jeder Staatsbürger auf
einen Blick sehen kann, wo Haftung
und Kompetenzen liegen. Wird bei-
des entkoppelt, so, wie es bei der
Bankenunion der Fall ist, ist das der
Idee Europas nicht dienlich.
Im Gegenteil: Wer eine Rechnung
zu zahlen hat, ohne darauf wirklich
einen Einfluss zu haben, wird von
Europa frustriert sein. Dass die
Verfassungsrichter in Karlsruhe die
pragmatische Brüssel-Politik so
einfach durchgehen lassen, muss
man daher kritisieren. Es ist aus-
gerechnet in einer Phase, in der
europaweit die Populisten erstarken,
das falsche Signal.
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