„Mit starrem Blick
und sich versteckend
hinter einem Pfeiler“
Plötzlich vor einen einfahren-
den Zug gestoßen zu werden:
ein Albtraum. Wie jetzt in
Frankfurt gab es schon in der
Vergangenheit Fälle, bei de-
nen Menschen von Fremden
ohne Vorwarnung auf die
Gleise gestoßen wurden:
Voerde, 20. Juli 2019:In der
niederrheinischen Stadt stößt
ein 28-jähriger Mann eine
3 4-jährige Frau vor eine ein-
fahrende Regionalbahn. Sie
stirbt an ihren Verletzungen.
Das Motiv des Mannes ist
unklar. Er war wegen Dieb-
stahls und Körperverlet-
zungen polizeilich bekannt.
München, 26. April 2017:Ein
5 9-jähriger Mann wartet an
einem U-Bahnhof, als ihn eine
3 8-jährige Frau vor die ein-
fahrende Bahn stößt. Der Zug
bremst und kommt etwa
zehn Meter vor dem Mann im
Gleisbett zum Stehen. Die
Frau leidet unter paranoider
Schizophrenie. Ein Gericht
ordnet eine Unterbringung in
der Psychiatrie an.
Berlin, 19. Januar 2016:Eine
junge Frau wird auf einem
U-Bahnhof von einem psy-
chisch kranken 29-Jährigen
vor eine Bahn gestoßen, über-
rollt und tödlich verletzt. Der
Täter wird im Prozess zur
dauerhaften Unterbringung
in der Psychiatrie verurteilt.
Stuttgart, 24. Dezember
1 998:Ein Unbekannter stößt
eine 20-Jährige vor eine S-
Bahn. Sie wird überrollt und
stirbt noch vor Ort. Ein Jahr
später stellt sich ein Mann
der Polizei. Ein Gutachten
ergibt, dass er an einer schi-
zophrenen Psychose leidet. Er
wird dazu verurteilt, dauer-
haft in der Psychiatrie unter-
gebracht zu werden.
Wenn Menschen vor
einen Zug gestoßen
werden
2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,31.JULI
Mann an der offenen Grenze auf-
zuhalten. Polizeipräsident Ro-
mann erklärt: „Wenn eine Fahn-
dung vorher kommuniziert wor-
den wäre oder er in internationa-
len Systemen gespeichert wor-
A
m Tag nach der Tat
blickt man im Frank-
furter Hauptbahnhof in
ratlos-traurige Gesich-
ter, vor Gleis 7 stehen zwei Dut-
zend Leute – vor dem Tatort, an
dem ein acht Jahre alter Junge
sein Leben verlor. Der mutmaßli-
che Täter, ein 40 Jahre alter Eri-
treer, hatte den Kleinen vor
einen herannahenden ICE gesto-
ßen, die zuvor auf die Schienen
geworfene Mutter hatte sich
noch knapp auf einen schmalen
Weg zwischen den Gleisen win-
den können, so berichten es Zeu-
gen. Der Versuch der aus dem
Hochtaunuskreis stammenden
40-jährigen Mutter, ihren Sohn
zu retten, misslang. Dort, wo er
starb, steht einen Tag später nur
noch eine blaue Putzwanne mit
einem Schrubber.
VON MARCEL LEUBECHER
AUS FRANKFURT
Dieter Romann, Präsident der
Bundespolizei, berichtet bei
einer Pressekonferenz am Nach-
mittag, der Täter sei um 9.59 Uhr
laut Zeugen „mit starrem Blick
und sich versteckend hinter
einem Pfeiler“ zunächst auf die
Mutter zugegangen, danach auf
ihren Sohn. Nachdem er die bei-
den gestoßen habe, habe er
schließlich noch versucht, eine
78-Jährige Frau auf die Gleise zu
werfen, was allerdings misslun-
gen sei, weil sie vorher gestürzt
sei. Romann beschreibt den Tä-
ter in knappen Worten: „1979 in
Eritrea geboren, reiste 2006 un-
erlaubt in die Schweiz ein, bean-
tragte Asyl, bekam im Jahr 2008
Asyl gewährt.“ Er besitze eine
Niederlassungsbewilligung Kate-
gorie C – das setze gute Integra-
tion voraus. Der Mann sei sogar
in einer Broschüre seines Arbeit-
gebers „als Beispiel für gelunge-
ne Integration“ angepriesen wor-
den. Doch dann schildert Ro-
mann, dass der mutmaßliche Tä-
ter am Abend des 25. Juli in der
Schweiz eine Nachbarin mit
einem Messer bedroht, gewürgt
und eingesperrt habe, woraufhin
er zur Festnahme ausgeschrieben
worden sei.
Allerdings hätten die Schwei-
zer dies nicht den deutschen Kol-
legen mitgeteilt. Und selbst
wenn dies der Fall gewesen wäre,
hätte nur eine geringe Chance
bestanden, ausgerechnet diesen
den wäre und wir zudem kontrol-
liert hätten, dann hätten wir ihn
entdeckt. Aber das ist hypothe-
tisch.“ Auf Nachfrage eines Jour-
nalisten entgegnet er: „Auch bei
uns gibt es Fahndungen, die zu-
nächst national gehalten wer-
den.“ Dies obliege dem jeweili-
gen Staat.
Bundesinnenminister Horst
Seehofer (CSU) – der nach der
Bluttat seinen Urlaub unterbro-
chen hatte, um sich mit den Si-
cherheitsbehörden auszutau-
schen – merkt bei der von ihm
einberufenen Konferenz zu der
Aussage seines Bundespolizeiprä-
sidenten an: „Das wirft aber Fra-
gen auf für die Zukunft.“ Der Prä-
sident des Bundeskriminalamtes,
Holger Münch, ergänzt: Man
könnte sich überlegen, ob man
bei offenen Grenzen auch gene-
rell europaweit fahnden sollte.
Laut den Ermittlern in Zürich
hatte der Mann in der vergange-
nen Woche nicht nur seine Nach-
barin angegriffen, sondern auch
seine Ehefrau und die drei ge-
meinsamen Kinder in der ge-
meinsamen Wohnung einge-
sperrt. Daraufhin sei er in der
Schweiz zur Fahndung ausge-
schrieben worden. Auch im Vor-
feld sei er schon mehrfach durch
Gewalttätigkeiten aufgefallen. Er
sei seit diesem Jahr in psychiatri-
scher Behandlung. Es hätten aber
keine Hinweise auf eine Radikali-
sierung oder ein ideologisches
Motiv vorgelegen, teilten die Er-
mittler in Zürich mit. Zum Motiv
äußerte sich der Beschuldigte
bisher nicht. Es gibt laut den Er-
mittlern keine Hinweise auf Al-
kohol- oder Drogenkonsum im
Zusammenhang mit der Tat.
Auch gebe es keine Anhaltspunk-
te auf einen Zusammenhang mit
dem Anschlag am 22. Juli in
Wächtersbach. Dort hatte ein
Deutscher auf einen Eritreer ge-
schossen, diesen lebensgefähr-
lich verletzt und sich anschlie-
ßend selbst getötet. Der Täter am
Hauptbahnhof habe keine Kom-
plizen gehabt, hieß es. Die Behör-
den ermittelten in alle Richtun-
gen. Am Dienstag wurde der Be-
schuldigte dem Haftrichter vor-
geführt.
Die meisten in der Schweiz le-
benden Eritreer kamen als Asyl-
bewerber; seit 1994 bis heute
suchten 49.000 Bürger der nord-
ostafrikanischen Militärdiktatur
bei den Eidgenossen Schutz. Da-
mit sind sie dort das mit Abstand
wichtigste Asylherkunftsland,
auch in diesem Jahr.
WWWenn sie dort oder in einemenn sie dort oder in einem
anderen Schengen-Land als
Flüchtlinge anerkannt werden,
steht einer Einreise nach
Deutschland nichts entgegen.
Anerkannte Asylbewerber dür-
fffen zunächst bis zu 90 Tage proen zunächst bis zu 90 Tage pro
Halbjahr in andere Schengen-
Länder reisen, sich aber dort
Bluttat in Frankfurt: Schweizer Behörden gaben Informationen über
den Eritreer nicht an die deutsche Seite weiter. Sie mussten es auch
nicht. Will Bundesinnenminister Seehofer das ändern?
REUTERS
/ FABRIZIO BENSCH
„Wir kommen von Gott und gehen zurück zu Gott“ – ein Zettel mit
diesen Worten in arabischen Schriftzeichen liegt am Tatort, daneben
KKKerzen, Blumen und Kuscheltiere. Unten: Bundesinnenminister Horsterzen, Blumen und Kuscheltiere. Unten: Bundesinnenminister Horst
Seehofer (CSU) zwischen BKA-Chef Holger Münch (l.) und Dieter
Romann, Präsident des Bundespolizeipräsidiums