Die Welt Kompakt - 31.07.2019

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POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,31.JULI2019 SEITE 4


ropawahl als Vorsitzende zu-
rücktrat, sucht die Partei eine
neue Führung. Es gibt ein for-
melles Bewerbungsverfahren,
das noch bis zum 1. September
läuft, doch bislang scheinen
sich nur wenige Politiker wirk-
lich dafür zu interessieren.

Gerade einmal vier Personen
haben bis Ende Juli ernsthaftes
Interesse an dem Vorsitz be-
kundet: Michael Roth gehört
dazu, Bundestagsabgeordneter
und Staatssekretär im Auswär-
tigen Amt. Er möchte mit der
ehemaligen nordrhein-westfäli-
schen Familienministerin
Christina Kampmann für eine
Doppelspitze kandidieren.
Auch die Bundestagsabgeord-
neten Karl Lauterbach und Ni-
na Scheer wollen es gemeinsam
versuchen. Bewerbungen von
Politikern, die auch einer brei-
ten Öffentlichkeit bekannt
sind, sucht man hingegen bis-
lang vergebens.

Neben Schwesig, die die Par-
tei gerade kommissarisch mit
Hessens SPD-Chef Thorsten
Schäfer-Gümbel und der rhein-
land-pfälzischen Ministerpräsi-
dentin Malu Dreyer führt, ha-
ben schon viele andere ihr Des-
interesse erklärt. Dreyer und

Schäfer-Gümbel stellten gleich
Anfang Juni klar, dass sie den
Vorsitz nur vorläufig überneh-
men wollen, keinesfalls aber
auf Dauer. Olaf Scholz, Vize-
kanzler und Finanzminister, er-
klärte ebenfalls Anfang Juni,
das Amt komme für ihn nicht
infrage. Bundesarbeitsminister
Hubertus Heil winkte zwei Wo-
chen später ab.
Bis zuletzt wurde Nieder-
sachsens Regierungschef Ste-
phan Weil als Kandidat für den
Parteivorsitz gehandelt. Doch
nach Informationen des Redak-
tionsnetzwerks Deutschland
hat sich auch diese Personalie
bereits erledigt: Weil habe sei-

nen Verzicht am Wochenende
in einer Telefonschalte den
kommissarischen SPD-Vorsit-
zenden mitgeteilt, hieß es. Ein
Dementi erfolgte bis Dienstag-
mittag nicht. Vom höchsten
Posten der Partei scheint ein
Signal der Abschreckung aus-
zugehen.
Verantwortlich sind zum Teil
persönliche Gründe: Dreyer
möchte sich lieber als Regie-
rungschefin um ihr Land küm-
mern, Schäfer-Gümbel will sich
im Herbst ganz aus der Politik
zurückziehen, Scholz will nicht
Parteichef und Finanzminister
zugleich sein. Anderen ist das
Amt, das in den vergangenen 20
Jahren achtmal neu besetzt
werden musste, aber offenbar
schlicht zu riskant. Wer die
SPD führt, kann bei den Bür-
gern derzeit nicht punkten. Zu
schlecht ist das Image der Par-
tei auf Bundesebene.
Wie das aussieht, lässt sich
am Montagnachmittag in Mön-
kebude beobachten. Nach ih-
rem Besuch in Rostock fährt
Manuela Schwesig in den klei-
nen Ort an der vorpommer-
schen Küste, um mit Dorfbe-
wohnern und Touristen zu gril-
len. Die Bürger wollen wissen,
warum der örtliche Radweg
noch nicht ausgebaut worden
sei oder warum die Feuerwehr
noch nicht so ausgestattet sei,
wie sie es sein sollte. Insgesamt
ist die Stimmung freundlich,
ein Chor singt zur Begrüßung.
Doch als das Gespräch auf
Schwesigs Partei kommt, ent-
lädt sich die Kritik.
Er könne „überhaupt“ nicht
verstehen, warum die SPD im
Europaparlament sich so sehr
gegen die Wahl von Ursula von
der Leyen (CDU) zur Kommis-
sionspräsidentin gestemmt ha-
be, sagt ein Besucher. Auch sei
es völlig unverständlich, dass
die Partei ihre Vorsitzenden so
verheize. „Sigmar Gabriel, Mar-
tin Schulz, Andrea Nahles. Was
passiert da?“ Eigentlich wolle
niemand mehr auf den Posten.
„Ich kann mir nicht vorstellen,
dass Sie sich als Vorsitzende
wählen lassen würden“, sagt er
zu Schwesig. „Sie machen hier
einen tollen Job. Hier passiert
Ihnen auch so schnell nichts.“
Doch irgendeiner muss auch
den Job an der Parteispitze ma-
chen. Schäfer-Gümbel erklärte
in der vergangenen Woche, dass
derzeit noch einige in der Partei
überlegten. Es gelte, vieles mit-
einander abzuwägen: „Berufli-
che Pläne, familiäre Verpflich-
tungen und die Frage, ob man
im Team oder alleine antritt.“
Er wisse, sagte er, „dass einige
das gerade sehr gewissenhaft
tun“. Möglicherweise gehört
auch SPD-Generalsekretär Lars
Klingbeil dazu. Laut dem Re-
daktionsnetzwerk hat Weil an-
gekündigt, seinen Parteifreund
aus Niedersachsen zu unter-
stützen. Dieser hat auf das in-
formelle Angebot noch nicht
reagiert. Abgesagt hat er aber
zumindest auch noch nicht.

A


ls Manuela Schwesig zu
verstehen gibt, dass sie
gerade kein Interesse
hat an mehr Verantwortung in
der Bundes-SPD, geht Erleich-
terung durch den Saal. Die Mi-
nisterpräsidentin von Mecklen-
burg-Vorpommern tourt diese
Woche durch ihr Bundesland
und besucht Unternehmen und
Gemeinden. Am Montag steht
sie in einem Treppenhaus des
Kreuzfahrtveranstalters Aida in
Rostock und beantwortet Fra-
gen von Mitarbeitern.

VON RICARDA BREYTON

Wo sie ihren Urlaub am liebs-
ten verbringe, wird sie gefragt,
oder was sie für die Wirt-
schaftsförderung tue. Schließ-
lich ergreift ein Mitarbeiter das
Mikrofon und fragt: „Sind Sie
Spitzenkandidatin der SPD in
Berlin demnächst, oder bleiben
Sie dem Land erhalten?“
Schwesigs Antwort ist klar und
knapp. „Mein Platz ist in Meck-
lenburg-Vorpommern. Ich bin
gerne Ministerpräsidentin und
möchte es auch bleiben.“ Einige
Leute atmen hörbar aus, viele
klatschen. Es ist ein merkwür-
diges Schauspiel, das sich den
Beobachtern der SPD gerade
bietet. Seit Andrea Nahles An-
fang Juni nach einem historisch
schlechten Ergebnis bei der Eu-

Die SPD hat eine Leerstelle, die nur schwer zu füllen ist

PA/ DPA

/ JULIAN STRATENSCHULTE

Das Wegrennen um


den SPD-Parteivorsitz


Seit zwei Monaten suchen die Sozialdemokraten eine


neue Führung. Bislang gibt es nur wenige Bewerber – 


von der Parteiprominenz hat sich noch niemand gemeldet


,,


Ich bin gerne Ministerpräsidentin


und möchte es auch bleiben


Manuela Schwesig

BADEN-WÜRTTEMBERG

Kretschmann spricht
AfD Mitschuld zu

Baden-Württembergs Mi-
nisterpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne) weist
der AfD eine Mitschuld an
einer Verrohung der Gesell-
schaft zu. „Ich sehe die AfD
klar in der Verantwortung.
Schon ihre Reden im Landtag
sind durchzogen von dump-
fem Nationalismus und
plumpen Ressentiments“,
sagte der Grünen-Politiker.
„Da sind Maß und Mitte
gänzlich verschwunden. In-
stitutionen werden zutiefst
verachtet.“ Kretschmann
verwies auch auf die Reaktion
der AfD-Politiker Stefan
Räpple und Wolfgang Gedeon
auf eine Entscheidung des
Landesverfassungsgerichts.
Die Richter hatten geurteilt,
dass Räpple und Gedeon
zeitweise aus dem Landtag
ausgeschlossen werden durf-
ten. Die beiden Politiker
hatten die Ordnungsrufe der
Präsidentin nicht befolgt und
den Saal nach dem Aus-
schluss erst in Begleitung von
Polizisten verlassen.

RECHTSEXTREMISMUS

Razzien bei der
„Wolfsbrigade“

Die Bundesanwaltschaft geht
gegen eine rechtsextreme
Vereinigung namens „Wolfsb-
rigade“ vor. Dazu hat sie
Wohnungen in vier Bundes-
ländern durchsuchen lassen.
Konkret geht es um den Ver-
dacht auf Bildung einer kri-
minellen, rechtsextremen
Gruppierung: Sechs Beschul-
digte sollen 2018 innerhalb
der „Wolfsbrigade“ die Unter-
einheit „Sturmbrigade“ ge-
bildet haben – als eine Art
„bewaffneter Arm“ der
„Wolfsbrigade“.

SAARLAND

Besaß ein Pfarrer
Kinderpornos?

Die Staatsanwaltschaft Saar-
brücken hat gegen einen
evangelischen Pfarrer An-
klage am Amtsgericht Saar-
brücken wegen des Verdachts
auf Besitz von Kinderporno-
grafie erhoben. Der Mann soll
sowohl kinder- als auch ju-
gendpornografische Bilder
besessen und sich beschafft
haben. Die Staatsanwalt-
schaft habe bereits im Juni
Anklage erhoben. Die Evan-
gelische Kirche im Rheinland
teilte mit, dass das Landes-
kirchenamt den Pfarrer beur-
laubt und ihn einstweilen
seines pfarramtlichen Diens-
tes enthoben habe.

KOMPAKT

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