Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1

KAFFEE UND STARKER WILLE FUNKEN UND FLAMMEN HAPPY END AUFGESCHOBEN


SCHWEDISCHE DÄMONEN TARANTINO ALPIN UNFALL ODER MORD?


Wer Leichen schon auf
Seite zwei erwartet, dazu
blutige Gemetzel und
Hard-Boiled-Action, ist bei
den Romanen von Kanae
Minato an der falschen
Adresse. Die Japanerin
wurde 2008 mit ihrem De-
büt, dem Psychothriller „Geständnisse“, und
dessen Verfilmung international berühmt.
In ihrem neuen Roman „Schuldig“ blickt
sie auf einen Jahre zurückliegenden Unfall
zurück – durch die Augen des Studenten
Kazuhisa Fukase, eines „farblosen Luftmen-
schen“ mit einer Leidenschaft für die Zube-
reitung von Kaffee. Dieser Fukase will end-
lich aufklären, was seinerzeit tatsächlich
geschah, als er und vier Kommilitonen sich
zu einem Drei-Tage-Trip in den Skiort
Madarao Kogen aufmachten, wo einer von
ihnen in einem Autowrack verbrannte.
Ein Roman voll falscher Fährten und lose
gesponnener Fäden, mit einem sehr über-
raschenden Finale. (C. Bertelsmann, 18
Euro) Dirk van Versendaal

Dürre. Brutale Hitze.
Buschland. Schon das
Setting von Chris Ham-
mers „Outback“ macht
durstig beim Lesen. Bis
zur letzten Seite wird kein
Regentropfen die Men-
schen erlösen in dem Ört-
chen Rivers End, traumatisiert von der
Bluttat des beliebten Priesters, der nach
einem Gottesdienst fünf Männer erschoss,
bevor er selbst getötet wurde. Ein Jahr
später reist ein Journalist an, um ebendie-
se Geschichte zu erzählen: die eines er-
schütterten Örtchens. Seine Recherchen
werden zum Funken, der Rivers End
vollends in Brand setzt. Chris Hammer,
selbst Journalist, legt ein fulminant span-
nendes Krimidebüt hin, in dem psychopa-
thische Teenager, sensationsgeile Medien
und stümpernde Geheimdienstler noch
reichlich Öl in die Flammen gießen. Nur
zum Ende hin dreht der Autor ein paar
Schlenker zu viel. (Fischer Scherz, 14,99
Euro) Thomas Schumann

Manche Krimis packen
einen schon auf der ersten
Seite – so wie „Wenn ich
tot bin“. Es ist der fünfte
Krimi, den die Autorin Sa-
bine Klewe unter ihrem
Pseudonym Karen Sander
geschrieben hat. Darin er-
zählt die Düsseldorferin die Geschichte der
19-jährigen Madelin McFarland, die sich
nach zehn Jahren aus den Fängen ihres Ent-
führers befreien und nach Hause flüchten
kann. Aus dem Happy End wird aber nichts,
denn die junge Frau verschwindet erneut
spurlos, ihr Stiefvater wird niedergestochen,
die jüngere Schwester ist nach dem Überfall
wie unter Schock. Kate Fincher und Tom
Pine, Detectives der Polizei Edinburgh, rol-
len den Fall neu auf und stoßen auf immer
mehr Ungereimtheiten. Exzellenter Span-
nungsbogen, hübsche Volten, gefällig ge-
schrieben – Klewe/Sander beherrscht ihr
Handwerk. Sehr kurzweilige Urlaubslektü-
re mit In-einem-Rutsch-durchlesen-Garan-
tie. (Rowohlt, 10 Euro) Cathrin Wißmann

Seit einigen Jahren unter-
teilen Entwicklungspsy-
chologen Kinder in zwei
Gruppen. Stark verein-
facht sind Orchideenkin-
der sensibler, können aber
über sich hinauswachsen,
wenn sie in einer liebevol-
len Umgebung aufwachsen. Charlie Lager
gehört zu den anderen. Sie ist ein „Löwen-
zahnkind“, widerstandsfähig und kämp-
ferisch, aber auch skeptisch gegenüber
positiven Erlebnissen. Charlie trinkt,
schluckt Tabletten und schleppt eine düs-
tere Vergangenheit mit sich herum. Als
eine der besten Polizistinnen Schwedens
wird sie zur Unterstützung bei einem Ver-
misstenfall von Stockholm ausgerechnet
in ihre Heimatstadt Gullspång beordert.
Natürlich begegnet sie bald ihren eigenen
Dämonen. Lina Bengstdotter vermengt ge-
schickt verschiedene Erzählstränge, die in
einem verblüffenden Finish zusammen-
laufen. Diese vielschichtige, interessante
Heldin macht Lust auf mehr. (Penguin,
13 Euro) Hanna Lüthi

Am Anfang des Buchs
steht ein Auto auf einem
Parkplatz im Regen, darin
mehrere Tote – und ein
kleines Kind, versteckt
unter Rockschößen. Und
am Buchende bietet eine
Hütte in den Bergen ein
Asyl für die Überlebenden. Dazwischen
eine Familiengeschichte. Ein abgeschnit-
tenes Ohr. Und die Suche nach Liebe. Ein
atemloses Roadmovie, das vor allem durch
seine starrsinnig starken Frauenfiguren
getragen wird, eine Killerin auf Rachefeld-
zug und eine unberechenbare Ermittlerin.
Doch wer ist schuldig, und wer ist Opfer?
Die Deutsche Hazel Frost entwirft in „Last
Shot“ eine Tarantino-Welt in den Tiefen
der Voralpen, Folter und Zwangsprostitu-
tion inklusive. Schonungslos führt sie uns
heran an das wahrhaftig Verstörende:
nicht die zwischenmenschliche Gewalt an
sich, sondern die seelische Zerstörung,
die diese hinterlässt. Ein intensives Buch,
das einen mitzieht bis zur letzten Seite.
(Droemer, 14,99 Euro) Cornelia Fuchs

HALT! Wer emotional am
Ende ist (hungry, angry,
lonely, tired), sollte sich in
Acht nehmen. Ein psycho-
logischer Rat für Suchtge-
fährdete, den Diana Jager,
leitende Chirurgin im
schottischen Inverness,
nicht beherzigt: Sie ist eine ausgebremste
Karrierefrau, ein Single mit Torschluss-
panik – und an diesem Tag, als ihr der IT-
Techniker Peter Elphinstone begegnet, vol-
ler Wut wegen eines Computerproblems.
Es wird der Beginn einer stürmischen Ro-
manze und kurzen Ehe, die mit Peters
Autounfall endet. Oder war es ein Mord?
Ein Schicksalsschlag – oder Befreiungs-
schlag einer ernüchterten Frau? Der Jour-
nalist Jack Parlabane soll belegen, dass Dia-
na eine kaltblütige Verbrecherin ist. Er
wird immer tiefer in die Abgründe des Falls
gesogen. „Dein Ende“, ein spannender,
schwarzhumoriger Thriller von Chris
Brookmyre, der den Leser lange über den
wahren Charakter der Verdächtigen rätseln
lässt. (Rowohlt, 13 Euro) Ursula Hien

Verschwundene Kinder, mordende


102 1.8.2019

KULTUR

Free download pdf