Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Man muss Miss
Platnum schon allein
dafür mögen, dass
sie mit jeder neuen
Platte riskiert, die
Fans der vergange-
nen zu verlieren. Erst der Mix aus Hip-
Hop und Balkansound, danach deut-
sche Texte und mehr Pop, dazu an
der Seite von Marteria ein Platin-Hit
(„Lila Wolken“). Nun die nächste Meta-
morphose: „The Opera“. Der Produzent
Bazzazian, der schon mit dem Rapper
Haftbefehl arbeitete, unterlegt den
Gesang der Berlinerin mit warmen,
wuchtigen, fast schon sakralen Beats.
Zusammen klingt das manchmal
wie Portishead, manchmal wie bei
Kanye West. Und immer wie fürein-
ander geschaffen. 22222

HIP-HOP


Wen sieht Lloyd Cole
vor sich, wenn er
sich selbst im Traum
erscheint? Den
lässigen Gauloises-
Popper aus den Acht-
zigern? Den grummeligen „Ich war
mal eine große Nummer“-Dandy der
späteren Jahrzehnte? Ein Stück auf
seinem neuen Album heißt „Night
Sweats“, Nachtschweiß, und vielleicht
hat er sich im Schlaf so gesehen,
wie er auf dem Coverbild dreinblickt.
Da ist etwas verrutscht bei Cole, das
wird beim Hören allzu bald deutlich.
Die einst sanften Gitarren sind weit-
gehend ersetzt worden durch Synthe-
sizer, die sich über die meist zu langen
Songs wie eine zähe Soße ergießen.
Zu viel selbst gefummelt, leider nicht

lässig, sondern fast hilflos. (^22222)
POP
Die Kamera fährt
hinab auf eine Kreu-
zung in Kinshasa,
dort zeigt sie Männer,
die gegen den Ver-
kehrslärm anspielen:
„We are Kokoko!“ heißt der kurze Film,
mit dem die Musiker aus der Haupt-
stadt des Kongo sich auf Youtube vor-
stellen. Weil das Geld knapp ist, suchen
sie nach Instrumenten auf dem Schrott-
platz, und von dort nehmen sie nicht
nur mit, was für einen Rhythmus taugt.
Sie löten auch allerlei Gerätschaften
zusammen, um damit elektronische
Klänge zu produzieren. Dabei kommt
Musik heraus, die uns an Starkstrom
denken lässt: Das Debütalbum „Fongola“
ist ein halsbrecherischer Ritt zwischen
Afrobeat und psychedelischen
Sounds. 22222
AFROBEAT
FOTO: CHRISTIAN SINIBALDI/GUARDIAN/EYEVINE/PICTURE PRESS
Tetteh spielte in verschiedenen Bands.
„Ich war vom Jazz so besessen, dass ich
dachte, alle andere Musik sei Mist“, erzählt
sie. Bands wie die Talking Heads und
deren Ableger Tom Tom Club ließen sie
allmählich umdenken. Vor fünf Jahren
tat sie sich mit sechs anderen Frauen zur
Band Nérija zusammen, die bekannteste:
die Saxofonistin Nubya Garcia.
Eine erste EP, erschienen 2016 und gleich
preisgekrönt, zeigte schon an, dass im Jazz
von Nérija vieles möglich ist. Das erste
Album nun schlägt einen Bogen vom Hip-
Hop zu Afrobeats, es steckt voll Soul und
Funk. Mal spielt Tetteh eine Surf-Gitarre,
mal lassen die vier Bläserinnen an die
Spielweisen von John Coltrane oder Pha-
raoh Sanders denken. Ist das noch Jazz?,
fragen da die Puristen. Aber ganz gewiss ist
es das. Alf Burchardt
M
etal oder Jazz – Shirley Tetteh
aus Homerton im Osten von
London wollte auf ihrer Gitar-
re Musik spielen, die sie mit
Energie aufladen würde. Die
Saiten hart und schnell anzu-
schlagen, musste sie bald aber feststellen,
war eine zu schwere Aufgabe. „Jazz fühlte
sich für meine Finger natürlicher an“, sagt
die 28-Jährige. Zum Ende ihrer Teenager-
zeit verhalf die neue Leidenschaft ihr auch
zu einem neuen Selbstbewusstsein: Tetteh
trat aus der Kirche aus und akzeptierte
freudig die Tatsache, dass sie lesbisch ist.
Um Musikhochschulen wollte sie einen
Bogen machen. „Ich habe da reingeschnup-
pert und gemerkt: Es würde mich umbrin-
gen.“ Stattdessen ging Tetteh zu den
Sessions, zu denen die Tomorrow’s Warri-
ors luden, ein Verein, der besonders Künst-
ler mit afrikanischem Hintergrund fördert.
Auch Musiker wie Shabaka Hutchings und
Theon Cross, die von London aus dem Jazz
neues Leben einblasen, lernten sich dort
kennen.
Auch die Frauen der Band Nérija zeigen: Die britische
Metropole ist zurzeit die Hauptstadt des Jazz
London swingt wieder
Der Jazz auf „Blume“ geht
fast überallhin, und wir gehen
da gern mit 22222
Das Publikum
wegblasen?
Für Nérija ist
das kein Problem.
Links an der
Gitarre: Shirley
Tet te h
104 1.8.2019
KULTUR
MUSIK

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