Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1

D


er rote Pelz reicht nicht allein, ein
bisschen Fuchs muss man schon
sein. Nehmen wir also einen Mo-
ment lang an, auch wenn der Ver-
stand sich heftig sträubt, die SPD
wäre Fuchs – und nicht Dackel an
der Leine der CDU. Sie wäre also eine kraft-
volle, selbstbewusste, hellwache Partei.
Und die erlebt, was die SPD in diesen
Wochen erfahren hat. Ursula von der
Leyen, die abgewirtschaftete Verteidi-
gungsministerin, avanciert zur Präsiden-
tin der EU-Kommission, gegen den Willen
der Sozialdemokraten. Annegret Kramp-
Karrenbauer, die abgewirtschaftete CDU-
Vorsitzende, folgt ihr nach an die Spitze der
Bundeswehr, unter harscher Kritik der SPD.
Die Sozialdemokraten müssen beide
Manöver als Provokationen verstehen. Es
ist, als regierte die CDU allein. Ungerührt.
Aber nicht ungestraft, antwortet der
Fuchs in unserer kleinen Denkübung. Hat
die Causa VDL das Verhältnis in der Koali-
tion angespannt, so bringt es der AKK-
Coup zum Reißen. Die SPD verlässt die
GroKo. Sofort. Noch vor den Landtagswah-
len im Osten. Alles neu am 1. September.
Die Partei drückt das Kreuz durch, mo-
bilisiert alle Kräfte – und geht nicht mehr
als Dackel in diese Wahlen. Denn sie hat
Angela Merkels Kanzlerschaft beendet.

Es ist ja keineswegs so, auch wenn das
viele Medien suggerieren, dass VDL von
nationaler Euphorie nach Brüssel getragen
worden wäre. Die Kritik der SPD am fla-
granten Bruch des Demokratieprinzips
wurde von vielen geteilt – und fast der
Hälfte der Europa-Parlamentarier. AKKs
Selbsteinberufung, düster illuminiert von
Wortbruch, ist extrem unpopulär.
Die Sozialdemokraten könnten mit hei-
ligen Prinzipien argumentieren: Demo-
kratie in Europa und Eignung in Spitzen-
ämtern. Frühere Verteidigungsminister
der SPD sind Vorbilder: Helmut Schmidt,
Georg Leber, Hans Apel, Peter Struck.
Die CDU würde vom Bruch der Koalition
in ungünstigster Lage erwischt. Die Erb-
folge für die kränkelnde Kanzlerin ist un-
klar. AKK ist keine Frau der Merkelschen
Mitte mehr, sondern hat sich nach rechts
manövriert, bei einer Verteidigung Donald
Trumps etwa. Das wird im neuen Amt
noch ausgeprägter. Der Ruf nach höheren
Rüstungsausgaben und öffentlichen
Gelöbnissen isoliert sie weiter. Eine Ver-
teidigungsministerin ist eben qua Amt
ungeeignet für die integrativen Aufgaben
einer Partei- und Regierungschefin. Bei der
Kanzlerfrage des Forsa-Instituts rauschte
AKK dramatisch ab. Nur 17 Prozent würden
sie zur Kanzlerin wählen, 29 Olaf Scholz.
Aber, aber, aber. Die SPD ist nun mal
weder kraftvoll noch hellwach. Sie ist die
„Partei des donnernden Sowohl-als-auch“,
wie Willy Brandt formuliert hat. Dem kal-
ten Angriff der provisorischen Parteifüh-
rung auf von der Leyens Nominierung
folgte die warme Gratulation zu ihrer
Wahl. „Mir tut die Bundeswehr leid“, gifte-
te Johannes Kahrs gegen AKK, während der
brandenburgische Regierungschef Diet-
mar Woidke befand, sie werde „eine gute
Verteidigungsministerin werden“. Manche
vereinen das Unvereinbare sogar in einer
Person. Sigmar Gabriel sah in VDL zu-
nächst einen „Grund, die Regierung zu
verlassen“, um dann zu urteilen, sie kön-
ne „eine gute Kommissionspräsidentin
werden“. Unübertrefflich ist indes sein
Geburtstagsgruß an Merkel: „Sie hat als
deutsche Bundeskanzlerin unserem Land
Gutes und gutgetan.“ Wenn der frühere Par-
teichef im Nachhinein froh ist, dass keiner
seiner Kanzlerkandidaten gewonnen hat,
dann weiß man auch gleich, was von künf-
tigen zu halten ist. Kein Fuchs. Nirgends.
Sie haben sich im Dilemma eingerich-
tet. Können nicht aufhören, weil sie den
Kollaps fürchten. Aber sie kollabieren, weil
sie nicht aufhören können. 2

Die Neuwahl der Parteiführung würde
nicht in den Dezember vertrödelt, sondern
auf Ende August vorgezogen. Siegen wür-
den die Füchse unter den Dackeln. Das
könnte sich auszahlen. Zunächst im Osten,
später bei den Neuwahlen im Bund.
Was Mumm bewirken kann, hat Gerhard
Schröder 2005 bewiesen. Er setzte in bona-
partistischer Manier vorgezogene Wahlen
durch und hätte, in schier aussichtsloser
Lage, um ein Haar gewonnen.

FUCHS ODER DACKEL


Die SPD hätte in diesen Tagen die GroKo platzen


lassen können – vor den Wahlen im Osten.


Die Personalmanöver der CDU boten Anlass genug


16 1.8.

KOLUMNE


JÖRGES


Hans-Ulrich Jörges
Der stern-Kolumnist schreibt
jede Woche an dieser Stelle

ZWISCHENRUF AUS BERLIN


ILLUSTRATION: JAN STÖWE/STERN
Free download pdf