Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Kilogramm
Gift pro Hektar
und Jahr setzt der
Hobbygärtner
gegen Schädlinge
und Unkraut ein –
1,5 Kilogramm
mehr als der
konventionell
wirtschaftende
Bauer

6,7


4


Metallkarren zur Selbstbedienung


bereitstehen. Später, im engen Ver-


kaufsraum, müssen sie erst einmal


anstehen. Hier gibt es den Stoff,


für den sie eigentlich nach Polen


gekommen sind: das Gift.


Glyphosat zum Beispiel. Das


Unkrautvernichtungsmittel steht


unter Verdacht, Krebs auszulösen,


was der Hersteller Bayer/Monsanto


bestreitet. Gegen den laufen aller-


dings in den USA mehr als 13 000


Klagen. In Deutschland gelten für


Glyphosat-Mischungen strenge


Vorschriften. Wer etwa das Produkt


„Garten Unkrautfrei Keeper“ zu


dicht an Wasserflächen oder der


Kanalisation versprüht, riskiert ein


Bußgeld von bis zu 50 000 Euro. Hier


bei Agrogobex ist Glyphosat in


hoher Konzentration als „Roundup


Flex 480“ offenbar ein Renner.


Hinter der Kasse stehen mehrere


Kartons mit Ein-Liter-Flaschen.


Oder Acetamiprid, ein vollsyste-


misches Insektizid. Es zählt zu


den Neonikotinoiden und gilt als


Bienenkiller. Der Wirkstoff darf in


Deutschland nicht in Obstbäume


gesprüht werden. In Słubice wird es
aber genau dafür empfohlen.
Die Beipackzettel mit den Warn-
hinweisen sind auf Polnisch. Die
Verkäufer können auch nicht helfen.
Sie verstehen gerade einmal „Apfel-
baum“ und „Unkraut“ und „Round-
up“ – und dann nicken sie und schie-
ben das Gift über den Ladentisch.
Auf dem Parkplatz packt eine
Kundin aus Dresden Rhododen-
dronsträucher in den Kofferraum
und verstaut drei Behälter mit
Glyphosat verstohlen hinter dem
Fahrersitz. Ihren Namen will sie
lieber nicht preisgeben. Sie sagt, das
Glyphosat sprühe sie in die Gara-
geneinfahrt und auf die Fußwege
rund ums Haus. „Das mache ich ein
Mal im Jahr, das reicht.“ Sie wisse,
dass das Mittel dafür verboten sei.
Warum nimmt sie nicht einfach
einen Fugenkratzer? Sie lacht ver-
legen und sagt: „Oh Gott, aus Faul-
heit vielleicht! Wir haben so viele
Flächen mit kleinen Pflastersteinen,
die müssen gut aussehen.“
Das Bundeslandwirtschaftsmi-
nisterium ließ in den Jahren 1991,

2001 und 2016 Hobbygärtner und
Pflanzenschutzexperten zum Ein-
satz der giftigen Mittel befragen.
Die Ergebnisse sind ein Schock: Die
Hälfte der Befragten verwendet
Pestizide. Die Hälfte der Giftsprit-
zer gibt zu, Unkrautvernichter – ob-
wohl verboten – auf Terrassen und
Wegen einzusetzen. Das Fachwissen
über die Mittel ist oft mäßig bis
nicht vorhanden.
An der Stadtgrenze von Słubice,
gleich hinter dem Oderdeich, ist
heute Markt. Mehr als 400 Verkaufs-
stände sind aufgebaut. Auf dem
Plakat an der Einfahrt steht: „Gegen
Unkraut, Pflanzenschutzmittel, Gift
gegen Nagetiere. Großer Bazar,
Stand L15.“ Es parken auf dem Vor-
platz Autos aus Düsseldorf und
Hamburg, selbst aus Tuttlingen in
der Nähe des Bodensees ist ein Kun-
de angereist.
Am Stand L15 werden Gartenge-
räte angeboten, Gummistiefel und
Gift in Großpackungen. Glyphosat
in Fünf-Liter-Kanistern steht ganz
vorn in der Auslage. Der Inhalt reicht,
um auf zwei Fußballfeldern jeden

Verkaufs-Hit Unkraut-Tod! Auf dem Markt im polnischen Słubice werden
Produkte verkauft, deren Gebrauch in Deutschland verboten ist


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