Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Millionen
Euro etwa gaben
deutsche Hobby-
gärtner im Jahr
2018 für Kampf-
stoffe gegen
Schädlinge und
Unkraut aus

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Norbert Höfler und
Philipp von Ditfurth
(r.) wurden auf dem
Markt in Słubice von
Verkäufern angegriffen: Die Fotos
sollten gelöscht werden! Aber da waren
sie schon am sicheren Ort gespeichert

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FOTO: NORBERT HÖFLER


Spritzen Handschuhe, Schutzbrille
oder Schutzkleidung zu tragen.
Dabei sind die Händler eigentlich zu
all dem gesetzlich verpflichtet. So
lautet das Fazit von Jan Hellberg:
„Die Verkaufsgespräche waren zu
oberflächlich und zu ungenau. Nicht
einmal auf die richtige Entsorgung
der leeren Giftdosen und Flaschen
bei entsprechenden Sammelstellen
wurde hingewiesen.“
Noch erschreckender fallen die
Testkäufe in Onlineshops aus.
Ein Internetanbieter aus Nord-
rhein-Westfalen schickt ohne Nach-
frage das Gartenspray „Calypso“ von
Bayer. Zwar liegt dem Paket das
Merkblatt „Pflanzenschutz richtig
gemacht“ des Industrieverbands
Agrar bei, auf dem geraten wird, sich
„vor dem Einkauf vom Fachpersonal
vor Ort beraten“ zu lassen. Doch
die Wahrheit ist: Dieses Mittel ist
im heimischen Garten schlicht ver-
boten.
Über Ebay wird außerdem das
„Bayer Spinnmilben-Spray“ bestellt.
Es enthält das Neonikotinoid Imi-
dacloprid, das eigentlich im Freiland
aus dem Verkehr gezogen wurde. Es
wird dennoch geliefert.

Ein weiterer Onlineshop schickt
ohne Nachfrage „Biscaya“, ein Pro-
dukt, das 75 Milliliter Thiacloprid
enthält – ebenfalls ein Neoniko-
tinoid, das im Hobbygarten nicht
eingesetzt werden darf.
Niemand kontrolliert, niemand
berät. In den Onlineforen werden
die Gifte sogar munter weiteremp-
fohlen, so auch der Insektenver-
nichter „Bi 58“, der bei Amazon im
Zehner-Pack angeboten wird. Da
schreiben sich die Gartenfreunde:
„Der Killer! Kenne das Mittel noch
aus DDR-Zeiten. In zwei Tagen sind
alle Obstbäume blattlausfrei! Es
geht auch bei Bäumen/Sträuchern.
Bi 58 in den Wurzelbereich gießen,
dann gibt es einen Blattlausregen.“
„Gutes Nebenergebnis ist, dass
die Ameisen auf der Terrasse weni-
ger geworden sind.“
„Im Gegensatz zu den scheiß
ÖKO-Produkten sollte man lieber
dieses kaufen, denn das wirkt wirk-
lich!!!!!!!!!“
In den vergangenen Jahren trie-
ben die Naturschützer der Aurelia
Stiftung gemeinsam mit anderen
Umweltorganisationen auf EU-Ebe-
ne das Verbotsverfahren für drei
Bienenkiller-Gifte voran – und ge-
wannen. Nun fordert die Stiftung
eine ganz grundlegende Reform der
Gesetze: Die Zulassung bedenk-
licher Pflanzenschutzmittel für
Haus- und Kleingärten soll zurück-
gezogen und die Verkaufsstellen
sollen stärker kontrolliert werden.
Außerdem soll das Verkaufsper-
sonal besser geschult und der On-
linehandel mit Pflanzenschutzmit-
teln ganz verboten werden.
Es wird ein harter Kampf gegen
Hersteller und Anbieter.
Ein letzter Abend in Berlin, ein be-
sonders schöner im grünen Paradies
von Rainer Kaufmann. Er sammelt
gerade die Zutaten für das Abend-
essen ein. „Ernten ist wie Einkau-
fen“, sagt er, seine Großmutter hatte
einen Bauernhof. „Als Kind hatte
ich die Hände im Boden, bevor ich
laufen konnte.“
Kaufmann ist Gartengestalter
und Pflanzenexperte für Film-
produktionen. Zu sehen war sein
grünes Handwerk etwa in „Tatort“-

Folgen, in „Die Tribute von Panem“
und der Netflix-Serie „Dark“. Bei ihm
kommt nie Gift durch die Gartentür.
Auf 500 Quadratmetern blühen und
sprießen Gemüse und Obst. Knob-
lauch wächst in Mischkultur mit
Mieze-Schindler-Erdbeeren, so wer-
den Pilzkrankheiten ferngehalten. In
jedem Strauch hängen umgedrehte
Joghurtbecher, sie sind mit Stroh
oder Heu gefüllt und dienen so als
Unterschlupf für Ohrenkneifer, die
Läuse vertilgen. Nehmen die Schäd-
linge überhand, legt Kaufmann mit
Schmierseifenlauge los.
In seinem Erntekorb liegen Endi-
vie und Frisee, scharfer Rucola, bit-
tere Schnittzichorie, Blätter von
Bronzefenchel. Nach dem Salat wird
es Orecchiette-Nudeln mit einer
Soße aus Gartenkräutern, Knospen
und Blütenansätzen von Rosenkohl
und Grünkohl geben, dazu ein biss-
chen Tomate aus der Konserve vom
letzten Jahr, Sardellen und Pecorino.
Kaufmann schwärmt: „Die Soße
schmeckt zum Sterben.“ Und alles
ganz ohne Gift. Nein, nicht jeder
Gärtner ist ein Mörder. 2

„Glaub mir, es wirkt!“: Der Verkäufer
auf dem Markt im polnischen Słubice
holt dieses tödliche Mittel hervor
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