die Frau für ihn eindeutig berauscht
war. Sie war „drauf“, berichtete er, ihre
„Pupillen waren extrem geweitet,“
wie bei „einer Eule“. Dass sie aber
wehr- und hilflos gewesen sei, diesen
Schluss habe er nicht gezogen. „Es
wird von den Medien so dargestellt,
dass sie bewusstlos war und alle über
sie rübergerutscht sind. Aber das war
nicht so“, sagt er. Er habe doch „keine
Gewalt“ angewandt. Nicht er, sie habe
Sex gewollt.
Doch auch sexueller Missbrauch
von widerstandsunfähigen Perso-
nen kann eine Vergewaltigung sein,
„ohne Gewalt zu begehen“, erklärt
ihm Richter Stefan Bürgelin. Die
Schwierigkeit: „Wenn dem mutmaß-
lichen Täter nicht nachzuweisen ist,
dass er die Widerstandsunfähigkeit
des Opfers erkannt hat, kann er
nicht bestraft werden“, sagt Elisa
Hoven, Professorin für Strafrecht an
der Universität Leipzig. „Ihm fehlt
dann der Vorsatz für die Tat. Und das
ist an sich auch richtig: Wenn der Tä-
ter wirklich nicht erkennt, dass das
Opfer unter Drogen steht, sondern
glaubt, dass es tatsächlich sexuelle
Handlungen wünscht.“ Und genau
darauf wird sich ein Angeklagter
berufen.
So steht Aussage gegen Aussage.
In einem toxikologischen Gutachten
wird es darum gehen, wie Ecstasy
und Alkohol auf die junge Frau
gewirkt haben, welche Nachweise
für K.o.-Tropfen entdeckt werden. Es
gibt nur ein objektives Dokument
der Tatnacht, das Aufschluss über
ihren Zustand gibt: eine Tonaufnah-
me auf dem Smartphone von Mu-
hanad M. Er hat die junge Frau nach
zweieinhalb Stunden aus dem Ge-
büsch gezogen, half ihr, sich anzu-
ziehen, sprach mit ihr. Aber auch er
steht nun vor Gericht, weil es Hin-
weise gibt, dass auch er sich an ihr
vergangen haben soll.
„Du bist wirklich ein Engel“, ist
sie zu hören. „Du hast mir echt gehol-
fen.“ Sie klingt wie weggetreten, die
Stimme verzerrt. Sie fühle sich „ent-
ehrt“, sagt sie dann. Und kaum noch
verständlich die Frage: „Womit hat
man so etwas verdient?“
Es hängt viel von der Glaubwürdig-
keit der wichtigsten Zeugin ab. Staats-
anwalt Thorsten Krapp beschrieb
sie vor Gericht als „reflektiert“. Ihre
Schilderungen deckten sich mit An-
klageschrift und Aktenlage. Sie habe
ihre Worte „vorsichtig“ gewählt, „ohne
jeden Belastungseifer“.
Die Verteidiger hingegen zweifeln
ihre Glaubhaftigkeit an. Anwältin
Hanna Palm, die Timo P. vertritt, kon-
frontiert eine wichtige Zeugin, die
Freundin von Wilke, mit Fragen, die
für manche im Gerichtssaal Grenzen
überschreiten: Ob die junge Frau
vor dem Klubbesuch längere Zeit
keinen Sex gehabt habe? Ob sie eher
auf „ hellere“ oder „dunklere“ Typen
stehe? Welchem Typ ihr Ex-Freund
entsprach? An einem anderen Pro-
zesstag fragt eine Kollegin den
zuständigen Beamten, ob Wilke in
der Tatnacht möglicherweise Strap-
se getragen habe.
Solche Fragen zum Intimleben
empören die Anwältin Christiane
Steiert, die Sabrina Wilke vertritt.
Sie würden nichts zur Sache beitra-
gen. Ihre Mandantin werde durch
Aussagen der Verteidiger „verun-
glimpft, stigmatisiert und in ihrem
Persönlichkeitsrecht verletzt“. Man
mache sie so ein zweites Mal zum
„Opfer“.
„Mutmaßliche Opfer in den
Schmutz zu ziehen verbietet sich
grundsätzlich und schadet in dieser
aufgeheizten Stimmung nur“, sagt
der Verteidiger von Majd H., Jörg
Ritzel. So eng die Phalanx der elf
Verteidiger auf den ersten Blick
wirkt, eine gemeinsame „konfronta-
tive“ Strategie scheint es nicht zu
geben. Hart zu fragen, sagt Ritzel,
heiße nicht, jede Grenze zu über-
schreiten. Unverständnis und Hass
gegenüber den Verteidigern beglei-
ten das Verfahren ohnehin seit dem
ersten Prozesstag. Ritzel selbst wur-
de ein Brandbombenanschlag ange-
droht, nachdem er seinen Mandan-
ten zitiert hatte, der behauptete, der
Sex sei „einvernehmlich“ gewesen.
Auch seiner Familie wurden Gewalt-
taten angekündigt. Mehrere Pflicht-
verteidiger bekommen seit Prozess-
beginn fast täglich Drohmails.
Verteidiger hätten die Pflicht, Wi-
dersprüche und Lücken in Anklage
und Beweisführung zu erkennen
und dafür zu sorgen, dass Regeln
des Strafverfahrens eingehalten
würden, erklärt die Freiburger An-
waltskammer. „Verteidigung meint
nicht, dass die angeklagte Straftat
verteidigt wird.“ Je einseitiger die
Berichterstattung nach der Tat, des-
to deutlicher müsse die Verteidi-
gung auch „auf Widersprüche in den
Aussagen“ des mutmaßlichen Op-
fers hinweisen. Dazu seien manch-
mal auch schonungslose Fragen
nach dem Intimleben notwendig.
Entscheidend ist am Ende, was
sich im Gerichtssaal aufklären lässt.
Auch wenn die Tat von den jungen
Männern gemeinsam begangen
worden sein sollte, muss sie jedem
einzelnen nachgewiesen werden.
Die Verteidiger verweisen darauf,
dass die Beweislage bei einigen ihrer
Mandanten „dünn“ sei. Die Staatsan-
waltschaft hingegen ist überzeugt,
dass auch ohne Geständnisse die In-
dizien für eine Verurteilung reichen.
Derweil suchen die Ermittler nach
weiteren Tatverdächtigen. Sie gehen
von mindestens einem weiteren
Mann aus, nach dem noch gefahn-
det wird. 2
Tato r t i n
Freiburg (r.),
Angeklagte
vor Gericht:
Wie weit darf
die Verteidigung
gehen, um die
Glaubwürdigkeit
der wichtigsten
Zeugin zu
erschüttern?
1.8.2019 51