Nachdem Dr. Amir Khalil mehrere
Grenzen überquert und Tausende
Kilometer zurückgelegt hat, schiebt
er einen Pfeil, getränkt mit Ketamin,
in ein dünnes Blasrohr. Khalil steht
vor dem Paviankäfig im Zoo Rafah
im Süden von Gaza, Schweiß bildet
Rinnsale auf seiner Stirn, er holt tief
Luft, aber die Paviane lassen sich
ums Verrecken nicht mit den Dart-
pfeilen aus seinem Betäubungsrohr
in den Hintern schießen. Flink wie
Flipperkugeln jagen sie schreiend
durchs Gehege. Für den ersten Affen
verschießt er fünf Dartpfeile, bis
er liegt. Der andere Affe, vielleicht
ahnt er nun auch endgültig, was ihm
bevorsteht, hebt einen der Betäu-
bungspfeile auf und wirft ihn zu-
rück Richtung Dr. Khalil.
„Weg vom Käfig!“, brüllt Dr. Khalil
und duckt sich vor dem Wurfge-
schoss. Erst die Raketen, dann die
Hamas, und jetzt wehrt sich auch
noch der Affe.
Amir Khalil hat eigentlich viel Er-
fahrung mit dem, was er tut. Er
arbeitet bei der Tierschutzorganisa-
tion Vier Pfoten, und es gibt kaum
einen Krieg in der arabischen Welt,
den er in den vergangenen 30 Jah-
ren nicht miterlebt hat. 2003 flog er
nach Bagdad und rettete zurückge-
lassene Tiere aus Saddam Husseins
Privatzoo, während US-Truppen die
Stadt unter Beschuss nahmen. 2011
ging er während des Bürgerkriegs
nach Tripolis und kümmerte sich
mit seinem Team um die 700 hun-
gernden Tiere im Zoo der libyschen
Hauptstadt. 2017 rettete er Löwen
und Bären aus Mossul im Irak und
13 Tiere aus dem Zoo des zerstörten
Aleppo in Syrien.
Und nun also Rafah, der älteste
Zoo im Gazastreifen. Dr. Khalil war
hier schon oft zu Besuch. Er hat Af-
fen gesehen, die im Müll spielen,
und einen Adler, der in einem so en-
gen Käfig sitzt, dass er nicht mal 4
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1.8.2019 57