Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Grenze hat das Team im Duty-free
Whiskey und Wein gekauft. Man
sitzt zusammen, raucht Zigaretten
und denkt über den Tag nach. Auf
CNN sehen sie die einschlagenden
Bomben, die Israel als Racheakt auf
Gaza abfeuert.
Der Krieg ist plötzlich ganz nah.
Morgen wollen sie einen neuen Ver-
such starten. Aber auch daraus wird
nichts. Die Situation ist zu gefähr-
lich. Dr. Khalil bricht die Mission ab.
Er löst das Team vorübergehend auf.
Ohne Einreise keine Rettung.
Drei Tage später schickt er eine
Whatsapp-Nachricht. Man solle so
schnell wie möglich zur Grenze nach
Gaza kommen. Dort erscheint Dr.
Khalil mit einem weißen Minivan
und einem deutlich kleineren Team.
Als sie die Grenze in Erez passie-
ren, jubeln alle. Es fehlen noch Ge-
nehmigungen für die Ausreise, ein
Minister macht Dr. Khalil Probleme.
Aber sie sind hier. Das Team fährt
direkt mit Minibussen und ein paar
lokalen Helfern zum Zoo. Die Fahrt
dauert fast eine Stunde – in einem
Gebiet nicht mal so groß wie das
Bundesland Bremen –, und sie führt
am Strand entlang. Der Fahrer er-
zählt, dass niemand ins Meer kön-
ne, weil es kontaminiert sei, genau
wie das Leitungswasser. Bis 2020, so
warnte ein UN-Bericht im Juli 2017,
könnte die Gegend hier „unbewohn-
bar“ werden. Die Gesundheitsversor-
gung, das Bildungssystem und das
öffentliche Leben im Gazastreifen
funktionierten bereits nicht mehr
ausreichend, hieß es in dem Bericht.
Der Zoo selbst ist eigentlich nur
ein Haus mit einem von Palmen ge-
säumten Garten. In dem Garten rei-
hen sich in Hufeisenform Käfige an-
einander. In den Käfigen sitzen die
Tiere. Fast alle wurden illegal durch
unterirdische Tunnel von Ägypten
in den Gazastreifen geschmuggelt.
Bei dem Versuch, eine Giraffe durch
den niedrigen Tunnel zu quetschen,
brachen sie ihr das Genick. Einige
Tiere starben auch durch Raketen-
angriffe aus Israel. In der Mitte des
Zoos stehen Kinderkarussells, von
denen die Farbe abblättert. Auf
Parkbänken sitzen verschleierte
Frauen und picknicken.

Von außen betrachtet, ist der Zoo
ein friedlicher Ort. Kinderlachen,
bunt angemalte Schilder, eine klei-
ne Oase fast in diesem sonst so
armen und von Krieg und Hass ge-
beutelten Gebiet. Ein Zoo im Gaza-
streifen ist eine kleine Sensation.
Wer aber in die Käfige guckt, ver-
steht, warum Dr. Khalil die Tiere
evakuieren möchte. Eine Hyäne

lokaler Helfer weiß, dass einer der
Führer eine Pressekonferenz in
einem Hotel abhält. Vor der Tür zum
Hotelsaal fängt Dr. Khalil den Ha-
mas-Führer ab, er redet Arabisch, er
weiß, es geht jetzt um den wichtigen
ersten Eindruck. Der Hamas-Führer
schaut Dr. Khalil an wie einen Geis-
teskranken und verweist ihn an sei-
nen Büroleiter. Der hört lange zu. Dr.
Khalil zeigt ihm Bilder von seinen
drei Töchtern. Am Ende sagt der Bü-
roleiter, er werde sich für die Mis-
sion starkmachen.
Abends versammelt Dr. Khalil das
Team und sagt: „Es geht bald los.
Morgen. Wir werden gegen die Zeit
arbeiten, weil wir losmüssen, bevor
die Grenzen schließen.“ Am nächs-
ten Morgen fährt das Team von Dr.
Khalil in den Zoo. Alle Tiere brau-
chen einen Chip, damit sie aus-
reisen dürfen. Zudem müssen die
Betäubungsspritzen vorbereitet
werden. Ein paar Tiere müssen
sediert werden, damit man sie in die
Käfige bekommt. Die großen Löwen,
die Hyäne, der Wolf und die Paviane.
Dr. Khalil selbst fährt zum Treffen
mit der Hamas und kommt wenig
später erleichtert zurück. Zum letz-
ten Mal, so hieß es, darf Dr. Khalil
Tiere woanders hinbringen. Doch es
gab auch Ärger. Die Organisation von
Dr. Khalil, so sahen es die Hamas-
Leute, stellt sich als Retter dar und
den Zoo als Katastrophe. Sie ärgerten
sich über den Hashtag #savegazaani-
mals, den Vier Pfoten erfunden hat.
Die Hamas-Leute sagten Dr. Kha-
lil, die Menschen in Gaza würden
aber ihr Mögliches tun. Und gerade
sie, die so wenig hätten, brauchten
eigentlich einen Zoo. Zudem seien
sie keine Menschen zweiter Klasse.
Sie fänden es besser, wenn Dr. Kha-
lil und seine Organisation das
nächste Mal vor Ort helfen, die
Situation zu verbessern, statt die
Tiere zu evakuieren. Sie boten an,
Dr. Khalil dafür Land zur Verfügung
zu stellen. Dr. Khalil versprach, dass
er daran arbeiten werde.
Aber dieses Mal, das konnte er
deutlich machen, werde er die Tiere
noch mitnehmen müssen.
Zurück im Zoo, beginnt dann
das Chaos. Der Affe wirft ihm den

liegt schwer atmend und halb tot in
einem Käfig, kaum größer als eine
Umkleidekabine. Ein älterer Löwe
schaut apathisch durch Eisengitter.
Pelikane laufen durch Müllhaufen.
Ein paar der getöteten Tiere wurden
ausgestopft und ausgestellt. Anfang
des Jahres erfroren vier Löwenbabys
im Zoo. Man kann sagen: Die Stan-
dards in Gaza sind alles andere als
optimal. Einmal ließ ein Zoodirek-
tor zwei Esel mit Streifen bemalen,
damit sie aussahen wie Zebras.

A


ls Dr. Khalil vor zwei Jah-
ren Tiere aus dem Vergnü-
gungspark „Magic World“
nahe Aleppo aus Syrien
evakuierte, waren die meis-
ten Menschen bereits ge-
flohen. In Gaza ist es anders. Dr.
Khalil wird die Tiere mitnehmen,
aber die Menschen bleiben. „Ein Zoo
in Gaza“, sagt Dr. Khalil, „ist ein Ge-
fängnis in einem Gefängnis.“
Einen Tag später rennt Khalil
durch die Empfangshalle des Hotels,
raucht und denkt nach. Er kommt
zu dem Entschluss: Er muss mit je-
mandem von der Hamas reden, ein

EIN PAAR ZOOBEWOHNER MÜSSEN SEDIERT WERDEN, DAMIT MAN SIE IN DIE KÄFIGE BEKOMMT:


DIE GROSSEN LÖWEN, DIE HYÄNE, DER WOLF UND DIE PAVIANE


Betretene
Mienen: Dr. Khalil
und Assistentin
Marion Lombard
erfahren, dass
der erste
Rettungsversuch
abgebrochen
werden muss

1.8.2019 61

4

Free download pdf