Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Als Generalmusikdirektor konnte
der wilde Mann seine Karriere von
hier aus in eine neue Umlaufbahn
schießen und das Orchester „Mu-
sicAeterna“, das er vor Jahren aufge-
baut hatte, gleich mit. Man kann sa-
gen, dass sie ihn verehrten in Perm.
Currentzis fand eine Mäzenin, die
„ihr ganzes Geld für die utopischen
Inszenierungen des permischen
Traums ausgegeben hat“, wie er in sei-
nem Abschiedsbrief schrieb. Er fand
den Mäzen Andrei Kusjajew, einen
mittelkleinen Oligarchen aus dem
Ölgewerbe, der ihm ein Anwesen in

die Wälder des Örtchens Demid-
kowo stellte. Eine Autostunde von
Perm entfernt, 21 Einwohner. Abge-
schieden von der Welt, spielte er hier
mit seinem Samojeden, einem sibi-
rischen Schlittenhund, so plüschig
wie das Opernhaus, so weiß wie der
Schnee. Er traf engste Freunde zum
Träumen und fragte sich, wenn er in
schweren Brokatstoffen auf dem Di-
wan lag: „Was würde Mozart mir ra-
ten, wenn er hier wäre?“ Er hält sich
zwar nicht direkt für einen Mozart,
aber er denkt doch hoch von sich:
„Wenn ich dirigiere, erfüllt sich mei-

ne Bestimmung“, sinnierte er mit
sanfter Baritonstimme. Oder: „Ich
gehe ganz in der Musik auf. Ich bin
dann die Urform meiner selbst.“
Nur ein Überirdischer darf solche
Sätze sagen.
Manche tuschelten, Currentzis sei
mit einer Ballerina vom Bolschoi
verheiratet, andere hielten ihn für
homosexuell, manche für beides.
Man stieg nicht durch, Gerüchte
eben. Zu seiner russischen Familie
gehörten in jedem Fall Marina, die
„Erste Assistentin“, weißblond, und
Kaita, „Zweite Assistentin“, rote 4

Adieu, Perm
Es waren acht
glanzvolle Jahre
für die Stadt.
Nun zieht es T. C.
und „Music-
Aeterna“ in und
um die Welt

Cry, Baby!
Er reißt jedes
Orchester vom
Hocker und
treibt es mit
Körpereinsatz
zu Höchstleistung.
Die Musiker
lieben das


WAS WÜRDE MOZART AN


SEINER STELLE WOHL TUN?


1.8.2019 67
Free download pdf