Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Christian Werner
Der 39-jährige Fotograf hat über sechs
Jahre an dem Projekt gearbeitet:
„An jedem verdammten Sonntag“,
Edel Books, 192 Seiten, 19,95 Euro

Thomas Schumann, 60, spielt im defen-
siven Mittelfeld der 2. Senioren von
Komet Blankenese. Heimspiele: sonntags
9.30 Uhr. Anfällig: Sprunggelenk links

Machohaft. In der Kabine: „Ey, was hältst

du von Frauenfußball?“ – „Finde ich bei-


des gut!“ Höhöhö!


Homophob. „Besser nicht bücken nach


der Seife unter der Dusche“ – ein Höhöhö!


ist bis heute lebendig in den Kabinen am


Ammersee und in Rostock, in Saarlouis


und Görlitz.


Gewalttätig, ja auch. Die große Zahl der

Spielabbrüche, der Attacken auf Schieds-


richter, der Schlägereien abseits des Spiel-


felds, all das besorgt den Deutschen Fuß-


ball-Bund, beschäftigt die Polizei an jedem


verdammten Sonntag. Ethnische Konflik-


te entladen sich, die Zündschnur ist aller-


orten kürzer geworden. Es entlädt sich oft


auch der Frust über die eigene Unzuläng-


lichkeit. Statt nach dem dritten verlorenen


Zweikampf an die eigene Nase zu fassen,


landet die Faust schon mal auf der des an-


deren. Zwölf Spiele Sperre, übel!


Aber in dieser Männerwelt legt auch


jeder klaglos einen Zehner in den Topf, weil


Matthias, der Linksaußen, seinen Job


verloren hat und den Vereinsbeitrag nicht


bezahlen kann. Bringt der Maurer im Team


dir für ’ne Kiste Bier schnell den Carport


in Ordnung und der Steuerberater im Team


die Jahresabrechnung. Freundschaften be-


ginnen in der F-Jugend und halten länger


als die meisten Ehen, jedenfalls solange


Jobwechsel und Zeitläufte und inkompe-


tente Trainerwichte (oder ein kleiner


Sponsor, der dir einen Hunni dafür zahlt)


dich nicht von Germania im Norden des


Landes zur Teutonia im Osten treiben.


Und in dieser Männerwelt und an jedem

verdammten Sonntag quälen sich nicht


nur Fabian und Leander und Patrick und


Torsten und Wolfgang und Erich aus den


Federn, sondern auch Miroslav und Meh-


met und Suat und Ahmet. Und Branko aus


dem Kosovo und Jimmy aus Ghana. Ohne


die ein Spielbetrieb gar nicht mehr auf-


rechtzuerhalten wäre auf so vielen Plätzen.


Die mit den biodeutschen Abwehrrecken


nach dem mühsam erkämpften 2 : 1 bei der


Ersten von TUS Niedereimer ausschwitzen


und Bier trinken und Schinkenbratwurst


essen, oder die gerade nicht, und die von


ihren Sorgen erzählen und ihrem letzten


Urlaub oder auch bloß von dem vergurk-


ten Freistoß in der Zweiundsechzigsten.


Somit wird in dieser Männerwelt wie


selbstverständlich mehr an Integrations-


leistung erbracht, als es ein Bataillon von


Integrationsbeauftragten je hinbekom-


men würde.


Jeder ist danach mal dran mit dem


Trikotwaschen, und so riecht es zwar nicht


an jedem verdammten Sonntag übel im


Kreisligen reicht es in der Regel, dass du die
Fußballschuhe schnüren kannst, einiger-
maßen den Ball treffen und 90 Minuten
laufen. Ein Leben lang. Von den Herren
über die Alten Herren bis hin zu Alters-
klassen, die – wie in Hamburg – putzig
Super-Senioren heißen.
Heinzi hat halt zugelegt, ja und? Du
siehst es ja sowieso. Nach den Sommerfe-
rien, wenn die neue Saison beginnt, beim
ersten Training: Wer drei Urlaubswochen
all-inclusive wörtlich genommen hat, all-
inclusive morgens, mittags, abends am
Büfett. Du siehst auch, wer den Ehering
nicht nur zum Vorbereitungsspiel abge-
streift hat, sondern für immer, dafür aber
ein neues Tattoo mitbringt unter die
Dusche: Sabrina forever. Mal gucken, ob
Sabrina auftaucht beim nächsten Spiel.
*
Jeder verdammte Sonntag, forever. Wenn
das Spitzenspiel gegen die Zweite vom MSV
ausgerechnet auf deinen Hochzeitstag
fällt? Übel!
Wenn der verdammte Sonntag ein
verdammter verkaufsoffener ist und du
im Baumarkt rackern musst statt in der
ersten Elf? Übel!
Und wenn der Orthopäde oder der
Kardiologe oder, Gott bewahre, die Gattin
befindet, und nochmals Gott bewahre –
bevor es der schwarze Schnitter tut: Es ist
vorbei?
Ganz übel! 2

Wäschekeller von Branko/Mehmet/
Fabian, aber mindestens an einem ver-
dammten Sonntag pro Saison.
Mit im Wäschekorb müffelt dann vor
sich hin das neue XXL-Trikot von Heinzi,
der früher so schlank war. Aber Heinzi
trifft die Bude wie eh und je, man muss ihn
nur richtig anspielen. Auch das macht den
Fußball tief an der Basis so unvergleich-
lich, so demokratisch. So anders, als sagen
wir: Basketball. Du kannst klein gewach-
sen sein und groß, schlank sein wie ein Reh
oder stämmig wie ein Ochse – für die

Wenn die Ilm über die Ufer tritt,
ist der Boden beim
SSV Blau-Gelb Mellingen/Taubach
gelegentlich tief.
Mittelthüringen Nord, 1. Kreisklasse

WASSERBALL


82 1.8.2019

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