Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/STERN

A


m dritten Tage stoppte mich die
Polizei. Rechts ranfahren, bitte,
die Beamten stiegen aus, Knar-
re am Gürtel. „Schönen guten
Tag. Was haben wir denn hier?“
Ähm, ein Fahrrad. Warum
fragen Sie?
„Hamm wir so noch nicht gesehen.“
Ich war vorschriftsmäßig mit Helm

unterwegs, hatte den Rückspiegel links am


Lenker in Position gebracht, am Schutz-


blech hinten ein zugelassenes Nummern-


schild. Ich hatte nichts verkehrt gemacht,


aber trotzdem ein schlechtes Gewissen.


Die Beamten hatten mich garantiert

beim Abbiegen und anschließenden Da-


vonbrausen beobachtet und gedacht: Da


ist was faul. „Ist ein S-Pedelec“, sagte ich.


Sie schauten sich das Rad genau an.


Schwarz, schwer, mit faustdicken Pirelli-


Reifen. Tags zuvor hatte eine Kollegin in


der Redaktion ausgerufen: „Ein Batmobil!“


„Sieht man selten“, sagte der eine Poli-


zist. Dann: zweimal Nicken, zweimal


freundliches Brummen, zweimal nord-


deutsches Lächeln – und ziemlich sicher


ein Gedanke: Der Typ ist verrückt.


Nein, verrückt muss man nicht sein,


um auf dieses Rad zu steigen, das Modell


ST3 des Schweizer Herstellers Stromer,


über das die britische Zeitung „Guardian“


bemerkte, es sei ein Tesla auf zwei Rädern.


Man muss nur auf einiges vorbereitet


sein – jedenfalls auf weit mehr als nur


zwei neugierige Streifenbeamte.


Ein S-Pedelec ist ein E-Bike, das erst bei

45 km/h abgeregelt ist. S steht für Speed.


Man beschleunigt von null auf 40 in etwa


vier Sekunden, allein durchs Treten. Der


Fahrer ist kein Radler mehr, sondern Teil


des Straßenverkehrs. Radwege und Bürger-


steige sind tabu.


Wer sich hineinbegibt in den Straßen-

verkehr einer Großstadt, muss sich darin


behaupten. Denn den meisten anderen


Verkehrsteilnehmern geht es so wie den


Polizisten: Sie haben keine Ahnung, was


da vor ihnen unterwegs ist.


Autofahrer reagieren auf diese Verunsi-

cherung meist auf zwei Arten: hektisches


Gehupe oder Überholvorgang mit Durch-


treten des Gaspedals. Wruuum. Taxifahrer


Aber, ich gebe es zu, die anderen haben
es auch nicht leicht mit mir. Niemand kann
mich einschätzen. Der Fußgänger, der über
die Straße schlendert, ist erschrocken über
mein Tempo und hastet fluchend davon.
Der Rennradfahrer neben mir will es auf
ein Sprintduell ankommen lassen, bei je-
der roten Ampel aufs Neue. Ich kann ihn
verstehen, Rennradler-Ehre und so, aber es
ist aussichtslos. Ich sage nur: in vier
Sekunden auf 40! Und dann diese Blicke
durch die Autoscheiben. Selbst in Eppen-
dorf, einem Teil von Hamburg, dessen Be-
wohner als Zweitwagen oft Porsche fahren,
wirkt das Batmobil wie eine Provokation.
Was will dieser Straßenprotz hier?!

Unverschwitzt, aber voller Adrenalin


Entwickelt wurden die S-Pedelecs für Be-
rufspendler, die ihr Auto stehen lassen
wollen. Die fetten Reifen schlucken viele
Schlaglöcher und sorgen dafür, dass man
auch bei zügigem Durchqueren des Kreis-
verkehrs nicht aus der Kurve fliegt. Man
kann den Unterstützungsgrad wählen;
bei Stufe drei hilft der Elektromotor am
stärksten: Ich komme nach 16 Kilometern
weitgehend unverschwitzt an. Aber rand-
voll mit Adrenalin.
Und tatsächlich bin ich mit dem Stro-
mer schneller im Büro als mit Auto oder
U-Bahn. Doch sind es diese paar Minuten
Zeitgewinn wert, dass ich mein Leben
riskiere? Nein, die Zeiten und Straßen und
anderen Leute sind noch nicht bereit für
ein solches Gefährt. Gestern beschimpfte
mich eine Frau aus dem Fenster ihres
Volkswagens heraus. Mein Vergehen?
Ich war schlicht vor ihr hergefahren. Ich
winkte ihr freundlich zu – auch nicht un-
gefährlich bei Tempo 42,5. Ihre Reaktion:
wruuum.
Aber – ich tue doch nichts Böses, ich will
nur radeln.
Die schönste Fahrt hatte ich an einem
Sonntagmorgen zum Bäcker. Die Straßen
waren frei, der Fahrtwind schlug in mei-
ne Sommerjacke, Insekten klatschten
gegen die Gläser meiner Brille. Ich genoss
es. Bis ich an den Preis dachte: fast 7000
Euro! Um Brötchen zu holen? Nein, auch
ich bin noch nicht ganz bereit. 2

legen gern noch eins drauf und ziehen kurz
nach dem Überholen wieder in die Mitte
der Fahrbahn, sodass das Hinterteil ihres
Wagens fast mein Vorderrad berührt.
Eine Kampfansage bei Tempo 45. Ge-
schützt bin ich durch kaum mehr als einen
Helm. Wehren kann ich mich mit der elek-
trischen Hupe. Das ist in etwa so ein-
drucksvoll, als knurrte ich einen Kampf-
hund mit einem „Wau“ an.

Ein E-Bike mit viel Speed:


Das Pedelec der Firma


Stromer ist wie gemacht für


Berufspendler. Wenn nur


der Verkehr nicht wäre!


DAS


BATMOBIL


MOBILES LEBEN


Tempo 30: Auf der Fahrradstraße entlang
der Außenalster in Hamburg muss der
geschwindigkeitsberauschte Radler sich zügeln

29 Kilo Kampfgewicht: Das Modell
ST3 kostet 6990 Euro

Von Oliver Creutz


92 1.8.2019

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