Der Stern - 01.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Andrea Ritter wird
keine Freundin der
mallorquinischen
Hausmannskost mehr,
trotz diverser Pambolis und Sobrasadas
während der Recherche. Fotograf
Tomeu Coll ist selbst in einem der
Hinterland-Dörfer großgeworden

Wagenburg stehen die Baracken in
dem kargen Gelände – wer sich
nähert, wird von den Familienclans,
die dort das Sagen haben, sofort ent-
deckt. Und befragt. Nach Son Banya
fahre nur, wer Drogen kaufen wolle,
heißt es. Und weil es rings um die
Siedlung viele Häuser und Stallun-
gen gibt, die schon seit Jahren leer
stehen, befürchtet man, dass sich
immer mehr zwielichtige Gestalten
dort niederlassen.
Bei den letzten Wahlen hat in Casa
Blanca und einem benachbarten
Dorf die neu formierte rechtsextre-
me Partei „Vox“ gewonnen – zwar

mit nur wenigen Stimmen Vor-
sprung zur sozialistischen PSOE,
aber dennoch: Es sorgte für Schlag-
zeilen in der Lokalpresse.
„Es ist nicht leicht, die Dorf-
gemeinschaft aufrechtzuerhalten“,
sagt Tomeu Garau bei einem café in
der Bar „Casa Blanca“. Er ist im Ort
aufgewachsen und leitet den Nach-
barschaftsverein. „Viele beklagen
sich darüber – aber kümmern tun
sich auch nur wenige.“ Früher war
die gesamte Region fruchtbares
Ackerland, mit Kühen und Feldern,
auf denen prächtige Auberginen,
Gurken, Tomaten, Paprika, Kürbisse
oder Zwiebeln wuchsen. „Palmas
Gemüsegarten“, sagt er. Die Lebens-
mittel wurden von hier aus abtrans-
portiert, so ist das Dorf entstanden:

Das weiße Steinhaus – auf Spanisch
„la casa blanca“, das auch heute noch
eine Bar ist, war eine Herberge und
ein Treffpunkt für die Bauern auf
dem huckeligen Weg in die zehn
Kilometer entfernte Stadt.
„Mit den Windmühlen wurde das
Grundwasser für den Gemüseanbau
abgepumpt, so lange, bis das ehema-
lige Sumpfgebiet immer trockener
wurde“, erzählt Tomeu Garau. Der
1960 eröffnete Flughafen brachte
neue Arbeitsplätze. Und er verän-
derte das Dorf. Früher kam zum
Beispiel jedes Jahr der berühmte
mallorquinische Schauspieler Xesc

Forteza aus Palma zum Theaterspie-
len nach Casa Blanca. „Aber immer
wenn ein Flugzeug vorüberflog,
mussten die Schauspieler ihr Stück
unterbrechen und aufhören zu re-
den.“ Irgendwann kamen sie dann
nicht mehr.
Das Dorf hat eine Schule, zwei
Bushaltestellen und eine Kirche. Im
Januar feiern sie dort auf dem klei-
nen gepflasterten Platz ein Volksfest
nach Art der katalanischen „Corre-
focs“ – mit Teufelsmasken, Lager-
feuer und gegrillter „Sobrasada“,
einer orange-roten inseltypischen
Wurst mit Paprika. Eigentlich kön-
ne man gut leben in Casa Blanca,
sagt Tomeu Garau.
Das Leben im Dorf folgt dem
Rhythmus der Arbeitszeiten und

konzentriert sich in den Bars: Früh-
morgens treffen sich all jene zum
café, die vor Schichtbeginn noch ein
wenig plaudern und unter sich sein
wollen. Bei Cristina Roca, die vor
Kurzem die Bar „Casa Blanca“ über-
nommen hat, gibt es „Pambolis“ –
belegte Brote – und Mittagessen.
Es sei viel Arbeit, sagt sie, aber es
lohne sich, diesen Ort für die Ge-
meinschaft aufrechtzuerhalten.

D


raußen vor der Bar hängt ein
Schild, das auch auf Deutsch
die „typisch mallorquinische
Bauernvesper“ aus „Omas
Küche“ anpreist. Cristina Rocas
Vorgänger hatte es dort aufgehängt,
als man noch hoffte, so die zahlrei-
chen Radfahrtouristen zur Einkehr
bewegen zu können – vergeblich.
„Wenn sie bei uns vorbeikommen,
sind sie entweder gerade erst gestar-
tet oder schon wieder kurz vorm
Ziel“, erklärt Cristina Roca achselzu-
ckend. „Wir sind hier zwar mitten-
drin, doch immer am Rand.“ Dafür
kenne sie aber immerhin alle ihre
Kunden persönlich.
Im Fernseher, der an der Wand
hängt, verblutet gerade ein Stier,
was aber niemanden stört, weil die
Übertragung der Kämpfe für die
meisten Gäste einfach dazugehört.
In der Kühltruhe warten die Bierglä-
ser auf ihren Einsatz. Am frühen
Abend sitzen vor allem jüngere
Leute neben der Bar und genießen
den leichten Luftzug zwischen
den Häusern. „Tomar el fresco“ heißt
es, wenn man nach der Tageshitze
noch mal vors Haus geht, um mit
den Nachbarn die Abendluft zu
genießen. Man schaut zu, wer mit
welchem Auto wohin fährt, wer
noch Heu für seine Tiere holt und
wer doch lieber ins „Cam Na Pareta“
geht, die andere Bar im Dorf – denn
auch wenn alle sich kennen, heißt
es nicht, dass alle sich mögen.
Bis in den tiefen Abend sitzen sie
beisammen. Dann fahren sie nach
Hause in ihre Dörfer, die wie eine
Insel auf der Insel liegen – ganz
nah am Tourismus, aber völlig für
sich. 2

JEDER ANREISENDE TOURIST SIEHT, ABER KAUM EINER BESUCHT


Antonia Pou
im Dorfladen,
dem „Magatzem“
(l.). Mit den
Windmühlen (M.)
wurde einst
Wasser für die
Felder abge-
pumpt. Tomeu
Garau (r.) ist im
Ort aufgewach-
sen, er engagiert
sich für das
Zusammenleben

1.8.2019 97
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