Die Welt Kompakt - 22.07.2019

(avery) #1
mit seinem Debüt „Japón“ – er
hatte Völkerrecht studiert, und
anstatt eine Filmschule zu besu-
chen, war er ins Kino gegangen,
wo er die Grundlagen für sein ei-
genes künstlerisches Schaffen er-
lernte.
Sein Talent, Filme filmisch, al-
so mittels Bild und Ton zu erzäh-
len, beeindruckt heute wie da-
mals. Die steinige, karge Berg-
landschaft in „Japón“ weist den
Menschen einen fragilen Platz im
Universum zu, den die Dorfbe-
wohner mit Mezcal und Humor
zu festigen versuchen. Dem le-
bensmüden Städter reichen diese
kleinen Freuden nicht. Der na-
menlose hombre „pilgert“ zu Fuß
an diesen Ort in den Bergen, der
ihm seit seiner Kindheit viel be-
deutet, um sich dort mit einer
Pistole zu erschießen. Am Ende
des kontemplativen Films wird
der schwermütige Mann um die
Fünfzig von einer alten Frau um
die Achtzig erlöst. Ihr Name
komme von ,Ascención’ (wenn
Christus zu den Engeln auf-
steigt), nicht von ,Asunción’
(Mariä Himmelfahrt), erläutert
sie selbst im Film.
Ascen wird ihm den gemeinsa-
men Sex schenken, nach dem er
auf einmal verlangt und der seine
Lebensgeister wieder zu erwe-
cken vermag. Ein tragischer Un-
fall beendet die Zweisamkeit. As-
cen wird sterben und ihr Tod
wird ihn lehren, dass er seinen
Platz auf Erden zu schätzen

D


ie „Glorreichen Drei“
aus Mexiko – Alfonso
Cuarón, Guillermo
del Toro, Alejandro
González Iñárritu – haben fünf
der letzten sechs Regie-Oscars
gewonnen. Dabei gibt es einen
weiteren großen zeitgenössi-
schen mexikanischen Regisseur,
den unsichtbaren vierten: Carlos
Reygadas, der Filme aus zwi-
schenmenschlichen Begegnun-
gen und Beobachtungen entwi-
ckelt, die er während seiner aus-
gedehnten Location-Suchen
macht. Diese realen Ereignisse
vermischt er mit komplexen phi-
losophischen Fragen und gibt sie
filmisch als sinnliche Erfahrung
wieder. „Denn auf diese Weise
konstruieren wir Realität“,er-
klärt Carlos Reygadas in einer öf-
fentlichen Meisterklasse, die ich
gemeinsam mit Studierenden der
Deutschen Film- und Fernseh-
akademie Berlin im Kino Arsenal
moderieren durfte.
Ihm gehe es nicht um das sto-
rytelling, aus dem eh nur infotain-
ment entstehen könne. Reygadas
will stattdessen alle Teile unserer
menschlichen Existenz nebenei-
nander stellen und diese dem Zu-
schauenden so präsentieren, wie
sie in der Gegenwart erlebt wer-
den. „Es geht alles um die Dar-
bietung. Wie man Momente,
Menschen und Situationen prä-
sentiert. Alles ist konzeptuell
und politisch.“ 2002 überzeugte
der 31-jährige Reygadas gleich

weiß. Jede Einstellung in diesem
Werk ist besonders und eigensin-
nig. Die virtuosen und verspiel-
ten 360-Grad-Schwenks verraten
viel über die unbändige Lust des
Filmemachers, die Welt mit dem
Kamerauge zu erkunden und mit
mystischer Aura aufzuladen.
Dass das punktuelle Aufbrechen
der filmischen Illusion – der
Dorfrichter blickt in einem Inter-
view direkt in die Kamera, Bauar-
beiter beschweren sich in einer
Szene über das schlechte Cate-
ring bei den Dreharbeiten – sich
gut in diesen Film einfügt, zeigt,
wie stark er im Dokumentari-
schen grundiert ist. Hier gibt es
kein gebautes Filmset, das sich
durch einen Schwenk ins Off of-
fenbaren könnte.
Schon in seinem 1999 entstan-
denen Kurzfilm „Max Humain“
sucht die Hauptfigur den Freitod,
sehnt sich vergeblich nach dem
Schutz des Mutterschoßes zu-
rück und dem kindlichen, un-
schuldigen, ungebrochenen Erle-
ben von Welt. Ein Topos, der in
Reygadas’ filmischem Werk im-
mer wieder auftaucht und den
man durchaus als regressiv kriti-
sieren könnte. Den durchgehend
männlichen Protagonisten seiner
Filme bleibt wohl auch deshalb
nur im besten Fall die Melancho-
lie, um das Leben zu ertragen. In
einer der letzten Szenen von
„Post Tenebras Lux“ (2012) —
mein persönlicher Favorit in sei-
nem bisherigen Werk — erinnert

sich ein Sterbender an die beglü-
ckende Intensität der Gefühle als
Kind, die er im Verlauf seines Le-
bens verlor.
Der Film kreist um die Frus-
tration des wohlhabenden Juan,
der mit seiner Familie von der
Millionenmetropole Mexiko City
aufs Land gezogen ist, um dort
ein neues Leben zu beginnen.
Sein verwinkeltes und mit Ter-
rassen durchzogenes Holzhaus
ist umgeben von einer paradiesi-
schen Landschaft. Doch offenbar
findet Juan auch hier keine Ruhe,
kein sinnvolles Ventil für seine
Lebensenergie. Immer wieder
bricht sich Frust in aggressiven
Schüben Bahn. Erst quält er Hun-
de, dann sich selbst mit übermä-
ßigem Pornokonsum. Von einer
Gruppe anonymer Alkoholiker —
die skurrile Codenamen wie R2-
D2 oder The Seven tragen und
sich in einem alten Schuppen
treffen — will er sich nicht helfen
lassen. Statt sich selbst zu thera-
pieren, setzt er zum Leidwesen
seiner Frau Natalia lieber auf
Linderung durch Ersatzhandlun-
gen. Natalia wird von Juan mas-
siv unter Druck gesetzt, mit ihm
all seine Sexphantasien in die Tat
umzusetzen.
Schonungslos und präzise
wird in diesem Film die toxische
Männlichkeit von Juan erkundet:
sein Desinteresse für die Emotio-
nen seiner Natalia, die sexuelle
Objektivierung seiner Ehefrau,
sein Narzissmus und das Sich-

PHIL BURGERS

Der Regisseur Carlos Reygadas

CARLOS REYGADAS

KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,22.JULI2019 SEITE 20


Ein Mann ist,


was ein Mann


sein muss


Del Toro, Iñárritu,


Cuarón:


Mexikanische


Regisseure holen


Oscars in Serie.


Doch da ist noch


ein vierter: Carlos


Reygadas. Warum


man ihn kennen


muss. Von Nicolas


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РЕЛИЗ

sentiert. Alles ist konzeptuell

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sentiert. Alles ist konzeptuell
und politisch.“ 2002 überzeugte
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und politisch.“ 2002 überzeugte
der 31-jährige Reygadas gleichder 31-jährige Reygadas gleichРЕЛИЗ

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schauenden so präsentieren, wie

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sie in der Gegenwart erlebt wer-

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den. „Es geht alles um die Dar-

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bietung. Wie man Momente,

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Menschen und Situationen prä-
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menschlichen Existenz nebenei-

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nander stellen und diese dem Zu-
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sie in der Gegenwart erlebt wer-

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