Die Welt Kompakt - 22.07.2019

(avery) #1
sie dann das Asylsystem. Dabei
würden auch die europäischen
Staaten von mehr legaler Migrati-
on profitieren. Gerade im Niedrig-
lohnsektor besteht ein großer Be-
darf an Arbeitskräften. Es wäre ei-
ne nachhaltige Politik, Abkommen
mit den Herkunftsstaaten zu
schließen, um mehr Arbeitsmigra-
tion zu ermöglichen.

Länder wie Italien verfolgen der-
zeit eine sehr restriktive Politik.
Halten Sie es für vorstellbar,
dass Innenminister Matteo Sal-
vini den Arbeitsmarkt für Ein-
wanderer aus Westafrika öffnet?
Ich plädiere nicht dafür, den Ar-
beitsmarkt komplett für ausländi-
sche Arbeiter zu öffnen. Die von
mir vorgeschlagenen Abkommen
sollten immer die ökonomischen
Bedürfnisse der
Aufnahmeländer
berücksichtigen.
So ausgestaltet
wären sie eine
Win-win-Situati-
on. Schon heute
gibt es in Italien
Gegenden, die sehr stark abhängig
von Gastarbeitern sind. Viele von
ihnen arbeiten bislang aber illegal.
Warum versorgen wir sie nicht mit
Dokumenten und schaffen legale
Wege der Migration?

Die IOM fordert, die staatlichen
Rettungsmissionen im Mittel-
meer wieder aufzunehmen. Was
sagen Sie Menschen, die fürch-
ten, dass dadurch ein Pull-Faktor
geschaffen wird?
Wir haben keine Belege dafür, dass
koordinierte Such- und Rettungs-
aktionen einen Pull-Faktor dar-
stellen. Wenn die europäischen
Staaten humanitär handeln wol-
len, müssen sie sich darum küm-
mern, Menschenleben zu retten.
Das allein ist aber natürlich nicht
nachhaltig. Wenn wir die Instru-
mente nutzen, die ich genannt ha-
be – Rettung Schutzbedürftiger,
Schaffung legaler Migrationswege
und Sicherung der Grenzen –, wer-
den wir erleben, dass sowohl die
Zahl der Menschen, die das Mittel-
meer überqueren, zurückgeht als
auch die Zahl derjenigen, die dabei
ihr Leben verlieren.

Die Innenminister der EU-Staa-
ten haben sich in der vergange-
nen Woche in Helsinki getroffen.
Eine gemeinsame Migrationspo-
litik ist noch immer nicht in
Sicht. Wer sollte jetzt die Initia-
tive ergreifen?
Ich glaube, dass die Initiative nur
von den Nationalstaaten ausgehen
kann. Brüssel kann dafür sorgen, die
Migrationspolitik der einzelnen
EU-Staaten besser abzustimmen.
Letztlich ist es aber Aufgabe der Na-
tionalstaaten zu entscheiden, wie
sie mit Immigration und Asyl umge-
hen. Dort kennt man die Bedürfnis-
se des Arbeitsmarkts, aber auch die
soziale Situation. Es wäre in der Tat
wwwünschenswert, wenn einzelneünschenswert, wenn einzelne
Staaten jetzt Initiative ergreifen
wwwürden. Es geht darum, eine Migra-ürden. Es geht darum, eine Migra-
tionspolitik zu entwickeln, die na-
tionale Interessen und humanitäre
Bedürfnisse in Einklang bringt.

Migrant in einem
Haftzentrum in
Libyens Haupt-
stadt Tripolis, das
zuvor Ziel eines
Luftangriffs war

können wir nur einen Teil der Mig-
ranten erreichen. Wir haben kei-
nen Zugang zu allen Haftzentren,
manche Regionen können wir auf-
grund des politischen Konflikts
nicht betreten. Die europäischen
Staaten sollten viel stärker darauf
hinwirken, die Situation in Libyen
zu verbessern. Die Befriedung des
Landes ist der Schlüssel, um Mi-
gration besser zu steuern.

Selbst wenn sich die Lage in Liby-
en verbessert, werden sich Men-
schen auf den Weg über das Mit-
telmeer nach Europa machen
und dabei ihr Leben riskieren.
Schon heute brechen Menschen
nicht nur aus Libyen auf, sondern
zum Beispiel auch aus dem ver-
gleichsweise sicheren Marokko.
Was kann die EU dagegen tun?
Wir müssen auf europäischer Seite
verstärkt daran arbeiten, legale
Migrationswege zu schaffen. Was
wir im Moment erleben, ist die
teuerste Variante, Migration zu
steuern – sowohl was die Zahl an
Menschenleben, aber auch die fi-
nanziellen Kosten betrifft. Die
Migranten zahlen oft horrende
Summen an Schlepper, um nach
Europa zu kommen. Dort belasten

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,22.JULI2019 POLITIK 5


K


arl Lauterbach trug sein
Erkennungszeichen
nicht. Sein Hemdkragen
war geöffnet, als er am vergan-
genen Donnerstag mit
Nina Scheer vor Journalisten in
Berlin saß und beide ihre ge-
meinsame Kan-didatur für den
SPD-Bundesvorsitz
begründeten.

VON KRISTIAN FRIGELJ

Der Sozialdemokrat ist recht
oft in Talkshows zu sehen und
dürfte einem größeren Publi-
kum wegen seiner umgebunde-
nen Fliegen aufgefallen sein.
Der Gesundheitspolitiker aus
Nordrhein-Westfalen ist mo-
mentan einer der bekanntesten
Kandidaten, die bisher öffent-
lich den Anspruch auf einen
Führungsposten angemeldet
haben. Andere, wie etwa seine
Co-Bewerberin Scheer, Bundes-
tagsabgeordnete aus Schleswig-
Holstein, sind selbst in ihrer ei-
genen Partei eher unauffällig.
Es ist die Stunde der Außen-
seiter aus der zweiten Reihe
oder noch weiter hinten. Die
Unbekannten drängen nach
vorn und vermitteln den Ein-
druck, dass in der Existenzkrise
jede und jeder eine echte Chan-
ce haben könnte, dass der Re-
gionalproporz, wer aus wel-
chem Landesverband kommt,
nicht mehr entscheidend ist.
„Ich glaube schon, dass die Par-
tei offen ist, andere Kandidaten
zu wählen als die üblichen Ver-
dächtigen, wenn es eine über-
zeugende Begründung dafür
gibt. Dann sind die Chancen
nicht so schlecht“, sagt Lauter-
bach WELT.
Das liegt auch daran, dass
sich nach dem Rückzug von
Partei- und Fraktionschefin An-
drea Nahles kein idealer Nach-
folger aufdrängt. Schon Nahles
war umstritten und teilweise
unbeliebt. Bundesfinanzminis-
ter Olaf Scholz und Bundesar-
beitsminister Hubertus Heil ha-
ben frühzeitig abgesagt. Ein er-
folgreicher Kommunalpolitiker,
jemand mit Boden- und Bürger-
nähe sollte es sein, lautete eine
zuletzt oft geäußerte Vorstel-
lung in der SPD. Doch kein
Oberbürgermeister, kein Bür-
germeister reagierte bisher auf
diese Rufe.
Es gibt zwar noch Schwerge-
wichte auf Bundes- und Lan-
desebene in der Partei. Doch sie
halten sich zurück, weil sie ihre
Chancen noch ausloten – und
weil es bisher so war, dass man
als verbrannt galt, wenn man
sich zu früh meldete. Womög-
lich wollen sie lauter aus der
Partei gerufen werden. Es kann
auch sein, dass sich bestimmte
Personen, auf die man wegen
ihrer aktuellen Ämter leichter

käme, nicht gegenseitig scha-
den wollen, wie etwa General-
sekretär Lars Klingbeil sowie
Niedersachsens Ministerpräsi-
dent und SPD-Landeschef Ste-
phan Weil. Beide gehören dem-
selben Landesverband an. Weil
hat zuletzt betont, er habe „kei-
ne Ambitionen“, und Klingbeil
sagte, er mache sich Gedanken.
Andere halten sich das ähn-
lich offen. Bundesfamilienmi-
nisterin Franziska Giffey aus
Berlin, die noch eine laufende
Prüfung von Plagiatsvorwürfen
bei ihrer Doktorarbeit belastet,
sagte, sie wolle die Fragen
„überdenken“. Und Juso-Chef
Kevin Kühnert kann sich eine
Kandidatur zumindest „vorstel-
len“. Bundesaußenminister
Heiko Maas, Bundesumweltmi-
nisterin Svenja Schulze und die
sozialdemokratische Vizepräsi-
dentin des EU-Parlaments, Ka-
tarina Barley, haben sich noch
nicht erklärt. Die Bewerbungs-
frist läuft bis zum 1. September.

Solange Amtsträger und
Schwergewichte zögern, versu-
chen sich die Außenseiter zu
profilieren. Als Erste verkünde-
ten der Staatsminister im Aus-
wärtigen Amt, Michael Roth
aus Hessen, und Nordrhein-
Westfalens frühere Familienmi-
nisterin Christina Kampmann
Anfang Juli ihre Kandidatur als
Duo. Einige Tage später melde-
te sich das Gespann Lauterbach
und Scheer. Ein ehemaliger
Bundestagsabgeordneter, der
79-jährige Hans Wallow, hat
seine Absicht zur Kandidatur
verkündet, ebenso wie die frü-

here Bundespräsidentschafts-
kandidatin Gesine Schwan. Die
76-Jährige könnte sich ein Duo
mit Kühnert vorstellen.
Inhaltliche Unterschiede
zwischen den Bewerbern sind
bisher kaum zu erkennen. Die
beiden Duos etwa wollen die
SPD stärker nach links rücken,
lehnen die große Koalition mit
der Union ab und wollen Hartz
IV abschaffen. Ansonsten tre-
ten sie moderat auf. „Ich bin
weit davon entfernt, Revolutio-
näres zu fordern. Ich habe kei-
ne grundsätzliche Kapitalis-
muskritik vorzutragen und
auch keine Enteignungsvor-
schläge für Großunterneh-
men“, sagt etwa Lauterbach.
„Ich komme aus einer Arbeiter-
familie, wo man Wohlstand
schätzen gelernt hat, insbeson-
dere wenn man ihn früher nicht
hatte.“
Das andere Doppel Kamp-
mann und Roth wirkt vom Auf-
treten her ähnlich, wenngleich
die beiden die großen Fragen
der Zeit stärker diskutieren
wollen. „Es bewegt offenbar
viele Menschen, was im kapita-
listischen System falsch läuft.
Offensichtlich haben wir alle
miteinander diese Ängste in der
Bevölkerung unterschätzt“,
sagt Kampmann WELT. Beide
Duos sprechen sich gegen die
große Koalition aus, wobei Lau-
terbach und Scheer einen vor-
zeitigen Ausstieg fordern. „Es
macht keinen Sinn, wenn man
bis zum Ende der Legislaturpe-
riode wartet“, sagt Lauterbach.
Es seien „nicht mehr genug
Schnittmengen an Werten und
Grundpositionen“ mit der Uni-
on vorhanden. Lauterbach ist
davon überzeugt, dass inhaltli-
che Unterschiede bei den Vor-
stellungsrunden in den Regio-
nalkonferenzen und an der Ba-
sis noch deutlicher werden. Die
Hoffnung auf eine Chance der
Unbekannten nährt aktuell Rolf
Mützenich aus Nordrhein-
Westfalen, der nach Nahles’
Rückzug unerwartet den Vor-
sitz der SPD-Bundestagsfrakti-
on kommissarisch übernom-
men hatte.
Wie unberechenbar es in der
SPD geworden ist, zeigte sich
im vergangenen Jahr, als die
Fraktion im Landtag Nord-
rhein-Westfalen den Vorsitz
wählte. Die damalige Fraktions-
und Parteispitze hatte ein Per-
sonaltableau ausgearbeitet –
doch dann setzte sich Außen-
seiter Thomas Kutschaty durch.
Der Ex-Landesjustizminister
hält sich nun auch eine Option
beim Wettbewerb um den SPD-
Parteivorsitz offen. Großen He-
rausforderungen dürfe man
nicht hinterherlaufen, sagt er.
„Man darf aber auch nicht da-
vor weglaufen.“

Die Stunde der Außenseiter


Bei der SPD drängen im Kampf um den Vorsitz unbekannte Kandidaten
nach vorn. Für Sozialdemokraten aus der zweiten Reihe steigen die Chancen

,,


Ich glaube


schon, dass die


Partei offen ist,


andere


Kandidaten zu


wählen als die


üblichen


Verdächtigen,


wenn es eine


überzeugende


Begründung


dafür gibt


Karl Lauterbach (SPD),
Kandidat für den SPD-Vorsitz

РЕЛИЗ


Migranten zahlen oft horrende

РЕЛИЗ


Migranten zahlen oft horrende
Summen an Schlepper, um nach
РЕЛИЗ


Summen an Schlepper, um nach

ПОДГОТОВИЛА

wir im Moment erleben, ist die

ПОДГОТОВИЛА

wir im Moment erleben, ist die
teuerste Variante, Migration zu

ПОДГОТОВИЛА

teuerste Variante, Migration zu
steuern – sowohl was die Zahl an

ПОДГОТОВИЛА

steuern – sowohl was die Zahl an
Menschenleben, aber auch die fi-

ПОДГОТОВИЛА

Menschenleben, aber auch die fi-
nanziellen Kosten betrifft. Die
ПОДГОТОВИЛА

nanziellen Kosten betrifft. Die
Migranten zahlen oft horrendeMigranten zahlen oft horrendeПОДГОТОВИЛА

ГРУППА

verstärkt daran arbeiten, legale

ГРУППА

verstärkt daran arbeiten, legale
Migrationswege zu schaffen. Was
ГРУППА

Migrationswege zu schaffen. Was
wir im Moment erleben, ist diewir im Moment erleben, ist dieГРУППА

"What's News"

teuerste Variante, Migration zu

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teuerste Variante, Migration zu
steuern – sowohl was die Zahl an

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steuern – sowohl was die Zahl an
Menschenleben, aber auch die fi-

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Menschenleben, aber auch die fi-
nanziellen Kosten betrifft. Die
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Migranten zahlen oft horrendeMigranten zahlen oft horrende"What's News"
Summen an Schlepper, um nachSummen an Schlepper, um nach"What's News"
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steuern – sowohl was die Zahl an

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Menschenleben, aber auch die fi-

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Migranten zahlen oft horrende

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