Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1
wie von Bolsonaro im Wahlkampf ver-
kündet, etwa das Pariser Klimaschutz-
abkommen verlassen. „Was wir unter-
schrieben haben, werden wir auch ein-
halten“, erklärt Bolsonaro kategorisch.
In dem 60-minütigen Gespräch mit
den Auslandskorrespondenten kom-
men die Themen Wirtschaftspolitik
und Reformen in Bolsonaros Diskurs
kaum vor. Dabei hat seine Regierung
in den letzten Tagen überraschende
Erfolge zu vermelden: Sein Wirt-
schaftsminister konnte gerade eine
komplexe Rentenreform in erster Le-
sung durch den Kongress bringen. Da-
ran waren alle Regierungen Brasiliens
der letzten zwei Dekaden gescheitert.
Auch viele Oppositionspolitiker
stimmten für die Vorlage, die verhin-
dern wird, dass Brasiliens Haushalts-
defizit weiter so schnell wächst. Der
Rentenreform sollen nun eine Vorla-
ge für ein neues Steuersystem sowie
zahlreiche Mikroreformen folgen. Die
Maßnahmen könnten Brasiliens sta-
gnierende Wirtschaft wieder zum
Wachsen bringen: In den vergange-
nen zwei Wochen ist der Real deut-
lich stärker geworden, die Börse hat
neue Rekorde erreicht. Das Vertrau-
en der Unternehmer ist gestiegen.
Eigentlich alles positive Vorlagen für
einen Präsidenten, der nach 200 Ta-
gen im Amt Bilanz ziehen will. Doch
Bolsonaro erwähnt die zentrale Re-
form mit keinem Wort. Dabei ist sie
entscheidend für sein politisches Über-
leben angesichts der nun fast fünfjähri-
gen Rezession mit folgender Stagnati-
on und 13 Millionen Arbeitslosen.

Kritik an den Vorgängern


Bolsonaro tritt auf, als sei er weiter-
hin im Wahlkampf. Er schimpft auf
seine Vorgänger, „alle schwach, anti-
patriotisch und korrupt“. Er dagegen
greife durch: Die Mordraten seien
dieses Jahr um 20 Prozent gesunken


  • was tatsächlich stimmt. Das liege
    daran, dass die Knast- und Drogen-
    mafia unter ihm erstmals grundsätz-
    lich bekämpft würde.
    Er wehrt sich gegen den Vorwurf,
    dass Brasilianer hungern müssten,
    wie gerade der brasilianische Kon-
    gresspräsident kritisiert hat. „Viele er-
    nähren sich falsch, aber niemand
    hungert in Brasilien“, sagt Bolsonaro.
    Doch die Ernährungs- und Landwirt-
    schaftsorganisation der Vereinten Na-
    tionen (FAO) hat gerade festgestellt,
    dass fünf Millionen Menschen in Bra-
    silien unterernährt sind. Viel wichti-
    ger als Sozialhilfe sei ein besseres Bil-
    dungssystem. „Noch nie ist die


Bildung in Brasilien so schlecht gewe-


sen wie in den letzten 30 Jahren“, er-
klärte der Präsident, der nach sieben
Monaten im Amt kein Bildungskon-
zept vorweisen kann und den zustän-
digen Minister wegen offensichtlicher
Unfähigkeit austauschen musste.
Ansonsten gibt sich Bolsonaro als
Freund der Medien, die er und seine
Vertrauten allerdings immer wieder
als Lügenpresse attackieren. „Ich bin
ein Freund der freien Presse. Anders
als meine Vorgänger, welche die Me-
dien gängeln wollten“, erklärt er. Die
sozialen Medien könnten ruhig lügen
und manipulieren – das sei kein Pro-
blem. „Das Volk kann heute viel bes-
ser unterscheiden, was Lügen sind
und was die Wahrheit ist.“ Locker
wird Bolsonaro erst wieder, als er
über seine tiefe Bewunderung für
Russlands Präsident Wladimir Putin
sprechen kann. „Eine Sympathie, die
auf Gegenseitigkeit beruht, wie ich
vermute.“ Er hoffe, dass Russland bei
der Lösung der Krise Venezuelas hel-
fe. Bolsonaro sieht es darüber hinaus
nicht als Nepotismus an, dass er sei-
nen eigenen Sohn zum Botschafter in
Washington ernennen will.

Iran-Krise


USA setzen Europa unter Druck


Die Besetzung eines


britischen Tankers verschärft


die Spannungen mit dem Iran.


Washington drängt auf eine


internationale See-Patrouille.


Mathias Brüggmann,
Kerstin Leitel, Annett Meiritz Ber-
lin, London Washington

F


ür Donald Trump bestätigt der
jüngste Zwischenfall am Persi-
schen Golf „das, was ich schon
immer über den Iran sage: Er macht
Ärger, nichts als Ärger“. Kurz bevor
der US-Präsident am Freitag das Wei-
ße Haus für einen Ausflug verließ,
schürte die Festsetzung eines briti-
schen Öltankers in der Straße von
Hormus Ängste vor einer Eskalation.
Erst im Juni war bekannt geworden,
dass Trump nach dem Abschuss ei-
ner US-Überwachungsdrohne durch
den Iran einen Militärschlag geneh-
migt hatte. In letzter Minute zog Wa-
shington zurück.
Trump erneuerte jetzt die Ansage,
Provokationen aus Teheran vergelten
zu wollen. „Wir hoffen für sie, dass
sie nichts Dummes tun“, sagte er.
„Denn dann werden sie einen Preis
zahlen, wie ihn nie jemand bezahlt
hat.“ Das US-Verteidigungsministeri-
um will schneller als ursprünglich ge-
plant weitere 500 Soldaten und meh-
rere F-22-Tarnkappenflieger in die Re-
gion entsenden.
Auf der anderen Seite des Atlantiks
fielen die Reaktionen sachlicher, aber
nicht weniger besorgt aus. Die Nato
verurteilte die „destabilisierenden
Aktivitäten des Irans“, die Bundesre-
gierung sprach von einem „nicht zu
rechtfertigenden Eingriff in die zivile
Schifffahrt“. Der britische Außenmi-
nister Jeremy Hunt nannte das Vorge-
hen einen „klaren Bruch der interna-
tional geltenden Gesetze“.
Der Vorfall verkompliziert die oh-
nehin angespannte Gemengelage.
Die US-Regierung könnte angesichts
immer neuer Affronts der iranischen
Revolutionsgarden unter Zugzwang

geraten, doch noch militärisch zu
reagieren. Und die europäischen
Partner, die um eine Strategie der
Deeskalation ringen, sind im Kräfte-
messen zwischen Washington und
Teheran zunehmend getrieben. Die
USA verschärfen beinahe im Wo-
chentakt ihre Sanktionen, und der
Iran droht damit, die Straße von Hor-
mus zu schließen, sollten Teherans
Ölexporte weiter blockiert werden.

Was bezweckt Teheran?


Mit der Besetzung des britischen
Tankers will der Iran beweisen, wie
leicht er die internationale Schifffahrt
sabotieren kann – und dass man sich
nichts gefallen lassen möchte. Der
jüngste Vorfall ist offenbar eine direk-
te Reaktion auf ein Ereignis vor zwei
Wochen: Damals war der unter
Panamas Flagge laufende iranische
Supertanker „Grace I“ von der briti-
schen Flotte vor Gibraltar festgesetzt
worden. Über das Wochenende zeig-
ten iranische Fernsehsender stolz,
wie vier Schnellboote der Revoluti-
onsgarden den unter britischer Flag-
ge fahrenden schwedischen Tanker
„Stena Impero“ umkreisen und wie
sich maskierte Männer von einem
Hubschrauber abseilen. Iranische Be-
hörden warfen der Besatzung vor,
die Sicherheit auf See gefährdet zu
haben, indem das Boot auf der fal-
schen Seite in die sensible Meerenge
eingefahren sei. Zudem habe es ein
iranisches Fischerboot gerammt, der
Besatzung nicht geholfen und Ölreste
in den Persischen Golf geleitet. Die 23
Seeleute von den Philippinen, aus In-
dien, Russland und Lettland bleiben
laut Medienberichten vorerst für Be-
fragungen an Bord. Die Reederei hat
angegeben, sich nicht falsch verhal-
ten zu haben.
Großbritannien kündigte an, man
werde „überlegt, aber deutlich“ rea-
gieren. Gleichwohl betonte Außenmi-
nister Hunt, London wolle den Kon-
flikt auf diplomatischem Weg lösen.
Ähnlich äußerte sich Bundesaußen-
minister Heiko Maas (SPD). „Es geht
darum, Krieg zu verhindern“, sagte
er der „Bild am Sonntag“. Zwar stüt-
zen gemäßigte Politiker in der US-Re-
gierung dieses Ziel. „Wir suchen kei-
nen Krieg mit dem Iran“, sagte der
designierte Verteidigungsminister
Mark Esper vor dem US-Senat. Doch
dort endet der Konsens auch schon.
Washington drängt darauf, die Straße

von Hormus und den Persischen Golf
mit vereinten Kräften vor Sabotage-
akten zu schützen. Am Freitag be-
kräftigte Trump diese Forderung in
einem Telefonat mit dem französi-
schen Präsidenten Emmanuel Ma-
cron. Der Chef des Nahost-Zentral-
kommandos im Pentagon, Kenneth
McKenzie, drängte auf eine „aggressi-
ve“ internationale Kooperation gegen
den Iran. Bislang haben lediglich die
USA und Großbritannien ihre Mari-
nepatrouillen in der Region etwas
erhöht, was aus Sicht Washingtons
aber nicht ausreicht.
Womöglich bringt der jüngste Zwi-
schenfall Bewegung in die Debatte. In
London werden Rufe nach stärkeren
Maßnahmen zum Schutz britischer
Schiffe lauter. Man hätte mit einem
Racheakt des Irans rechnen müssen,
kritisierte der konservative Politiker
Iain Duncan Smith. Am Montag soll
das britische Parlament über das wei-
tere Vorgehen informiert werden. Al-
lerdings werden Entscheidungen
durch die Suche nach einem Nachfol-
ger für Theresa May erschwert. Am
Dienstag dürfte eine Abstimmung
den Weg für Boris Johnson als Pre-
mierminister frei machen.

Neue Sanktionen drohen


Dass Washington von seinen Forde-
rungen abrückt, ist kaum zu erwar-
ten, vielmehr scheinen die Hardliner
in Trumps Regierung gestärkt. So leg-
te US-Sicherheitsberater John Bolton
nahe, die USA würden auch die letz-
ten Ausnahmeregelungen für den
Iran aushebeln wollen. Bislang ist
dem Iran ein ziviles Nuklearpro-
gramm erlaubt, mit Unterstützung je-
ner Länder, die das Atomabkommen
von 2015 unterzeichnet haben. Die
einseitige Aufhebung seitens der USA
könnte Großbritannien, Frankreich,
Deutschland, Russland und China zu-
sätzlich unter Druck setzen: Sie
müssten sich entscheiden, ob sie ih-
ren Zusagen nachkommen oder neue
Sanktionen aus Washington riskieren
wollen. Auch in Teheran stehen alle
Zeichen auf Härte. Iran warf Bolton
vor, die Aktion gegen die „Grace I“
eingefädelt zu haben, um eine Kon-
frontation zu provozieren. Irans Par-
lament lobte das Vorgehen der Revo-
lutionsgarden gegen die „Stena Impe-
ro“. Im Widerstand gegen die USA
rückt die weltliche und die geistliche
Führung des Landes zusammen.

Die Straße von
Hormus und der
dort festgesetzte
schwedische Tanker
„Stena Bulk“:
Die US-Regierung
könnte unter
Zugzwang geraten,
doch noch militärisch
zu reagieren.

AP, dpa

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MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138

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