Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1
spontan gemeldeten unerwünschten
Arzneimittelwirkungen in der Leber“
und es komme immer wieder zum
Stopp von Produkten in den Mitglied-
staaten „aufgrund von Sicherheitsbe-
denken“. Daher sei „die Nutzen-Risi-
ko-Bewertung der oralen Anwendung
als negativ anzusehen“.
Bayer hält auf Nachfrage dagegen,
dass sich diese Bewertung nicht auf
Kombinationspräparate wie Iberogast
bezogen habe: „Aus wissenschaftli-
chen Erkenntnissen ist kein dosisab-
hängiger Mechanismus bekannt, aus
dem sich eine toxische Wirkung von
Iberogast auf die Leber ableiten lässt.“
Selbst zunehmende Meldungen
über unerwünschte Nebenwirkungen
zwangen Bayer nicht zum Umdenken.
Von 2008 bis heute sind allein in
Deutschland 57 Berichte mit 115 Ver-
dachtsmeldungen beim BfArM zu Ibe-
rogast eingegangen. Das sind Meldun-
gen von Ärzten oder Patienten, die
Nebenwirkungen mit Iberogast in Ver-
bindung bringen. Ein Ursachenzusam-
menhang ist damit nicht belegt.
Aber selbst als 2016 das „American
Journal of Gastroenterology“ einen
Artikel veröffentlichte, in dem ein Pa-
tient beschrieben wird, dessen Leber
nach der Einnahme von Iberogast ver-
sagte, reagierte Bayer nicht.
Die Schweizer Behörde Swissmedic
dagegen nahm das zum Anlass, 2018
Änderungen der Patienten- und Fach-
informationen durchzusetzen. Dort
heißt es nun: „Bei Patienten mit aktu-

ell bestehender oder anamnestisch
bekannter Lebererkrankung sowie bei
Patienten, die mit anderen Arzneimit-
teln behandelt werden, welche die Le-
ber oder die Leberwerte beeinträchti-
gen können, muss der Nutzen des Arz-
neimittels sorgfältig gegen das Risiko
von akutem Leberversagen oder einer
nachteiligen Wirkung auf die Leber-
funktionswerte abgewogen werden.“
Und: „Patienten sind anzuweisen,
die Behandlung abzusetzen und sich
an ihren Arzt zu wenden, wenn es bei
ihnen zu Anzeichen oder Symptomen
einer Leberschädigung (...) kommt.“

Für Schwangere verboten
Doch in Deutschland tat sich erst im
Juli 2018 etwas, nachdem ein zweiter
Fall eines Leberversagens mit Leber-
transplantation bekannt wurde, der
letztlich tödlich endete. Ende Septem-
ber meldete das BfArM, dass Bayer
nun Packungsbeilage und ärztliche In-
formationen anpassen werde.
Für die Politik ein Grund, sowohl
Bayer als auch die Gesetzeslage zu kri-
tisieren. „Der Streit um Iberogast en-
det im schlimmstmöglichen Szenario:
Ein Patient stirbt. Erst dann gibt Bayer
klein bei“, twitterte damals die Grü-
nen-Bundestagsabgeordnete Kordula
Schulz-Asche – und legte später einen
Gesetzentwurf vor. Danach sollten Be-
scheide des BfArM sofort vollziehbar
sein und Widersprüche den Sofort-
vollzug nicht stoppen können. Doch
das Vorhaben scheiterte im Gesetzge-
bungsverfahren. Die Ablehnung sei
unverständlich, so Schulze-Asche zum
Handelsblatt, „da sich auch etwa die
Verbraucherzentrale Bundesverband
und der Spitzenverband der Kranken-
kassen explizit für den Entwurf ausge-
sprochen hatten“.
Die Ermittlungen der Staatsanwalt-
schaft könnten Schulze-Asche nun
nachträglich recht geben – und Bayer
womöglich eine Niederlage besche-
ren, die finanziell wie rechtlich äu-
ßerst schmerzhaft wäre.
Das letzte Gefecht von Diefenbach
endete bereits in einem Desaster.
„Uns liegen keine Hinweise vor, dass
die Einnahme während der Schwan-
gerschaft bedenklich ist“, hatte Die-
fenbach im Video noch beschwichtigt.
Schwangere sollten die Einnahme vor-
her lediglich mit dem Arzt bespre-
chen. Heute heißt es in der Packungs-
beilage: „Iberogast darf von Schwan-
geren nicht eingenommen werden.“

Bayer, BASF, Syngenta


Das Ende des Booms


in der Agrochemie


Die Erlöse des


Branchenzweiten Syngenta


fallen – der endgültige Beleg


für die Probleme der


gesamten Industrie.


Siegfried Hofmann Frankfurt


F


ür die führenden Agrochemie-
Konzerne, darunter auch Bay-
er und BASF, zeichnet sich ein
schwaches Jahr 2019 ab. Das bestätig-
ten nun auch die Zahlen des Schwei-
zer Konzerns Syngenta. Der Bran-
chenzweite im Agrogeschäft, der sich
seit 2017 im Besitz des chinesischen
Chemiekonzerns Chemchina befin-
det, verbuchte im ersten Halbjahr
2019 einen Umsatzrückgang um sie-
ben Prozent auf 6,8 Milliarden Dollar.
Allein in Nordamerika sanken die Er-
löse um 14 Prozent.
Der Betriebsgewinn vor Abschrei-
bungen (Ebitda) verringerte sich um
15 Prozent auf 1,5 Milliarden Dollar.
Der Nettogewinn lag mit 800 Millio-
nen Euro um ein Drittel unter dem
Vorjahreswert. Bereinigt um negati-
ve Währungseffekte und Desinvesti-
tionen sanken die Erlöse laut Syn-
genta-Finanzchef Mark Patrick um
ein Prozent.
Vor allem die ungünstigen Wetter-
bedingungen in den USA, wo große
Überschwemmungen zu einem redu-
zierten Getreideanbau führten, ma-
chen Syngenta und der gesamten
Branche zu schaffen. Negativ wirkte
sich darüber hinaus der Handelsstreit
zwischen den USA und China aus,
der zu rückläufigen Soja-Exporten
nach China führte.
Zudem wird die Branche offenbar
auch von steigenden Rohstoffkosten
belastet. Bereits vor wenigen Tagen
hatte der BASF-Konzern seine Ge-
winnwarnung für 2019 unter ande-
rem mit einem Einbruch auf dem US-
Agro-Markt begründet.
Die schwache Marktentwicklung in
den USA dürfte auch das operative
Geschäft des Branchenführers Bayer
deutlich treffen. Der Konzern bestrei-
tet nach der Übernahme von Mon-
santo rund 45 Prozent seines Agro-
chemie-Geschäfts in Nordamerika. Er
legt seine Halbjahreszahlen in der
übernächsten Woche vor.
Überschattet wird die Situation bei
Bayer nach wie vor von der Klagewel-
le im Zusammenhang mit dem Un-
krautmittel Glyphosat, das mehr als
13 000 US-Kläger für Krebserkran-

kungen verantwortlich machen. Des-
sen ungeachtet dürfte aus der schwa-
chen Marktperformance eine zusätz-
liche Herausforderung für den
Leverkusener Konzern erwachsen,
die auch im kommenden Jahr noch
die Erträge belasten könnte. So wird
der US-Pflanzenschutzmarkt nach
Schätzung von Syngenta 2019 um et-
wa eine Milliarde Dollar schrumpfen.
Die starken Einbußen werden be-
gleitet vom wachsenden Preisdruck
im US-Saatgutbereich wie auch bei
Pflanzenschutzmitteln. Denn es ha-
ben sich höhere Vorratsbestände auf-
gebaut. „Wir gehen davon aus, dass
dieser Preisdruck über die gesamte
Saison 2019 und auch in das Jahr
2020 hinein anhalten wird“, so Pa-
trick. Auf globaler Ebene wurde das
Agrogeschäft darüber hinaus durch
eine zu trockene und damit ungünsti-
ge Witterung in Australien und Indo-
nesien sowie Finanzierungsprobleme
der osteuropäischen Landwirte be-
lastet, während sich das Geschäft in
Lateinamerika und China positiv ent-
wickelte.
Für 2019 stellt der Syngenta-CFO
ein organisches Wachstum von ei-
nem Prozent in Aussicht, während
der globale Agrochemie-Markt sta-
gnieren dürfte. Das US-Geschäft
macht etwa ein Viertel des globalen
Agrochemie-Marktes von etwa 100
Milliarden Dollar aus.

Zu hohe Erwartungen?
Gemessen an den optimistischen
Langfristerwartungen der Branche
für das Pflanzenschutz- und Saatgut-
geschäft ist diese Entwicklung enttäu-
schend. Immerhin hatte nicht zuletzt
auch die Aussicht auf ein stetiges
Marktwachstum von drei bis vier Pro-
zent die Fusionswelle der vergange-
nen Jahre angetrieben. Im laufenden
Jahr indessen wird bei den führen-
den Akteuren von einer Rückkehr
des Agrochemie-Sektors zum frühe-
ren Wachstumstrend wohl kaum et-
was zu sehen sein.
Nicht zuletzt vor diesem Hinter-
grund sorgten jüngst auch Äußerun-
gen des chinesischen Botschafters in
der Schweiz für Aufsehen. Er vertrat
in einem Interview die Ansicht, dass
die gut 40 Milliarden Dollar teure
Übernahme von Syngenta kein gutes
Geschäft für Chemchina gewesen sei
und China den Deal inzwischen be-
reue. Syngenta-Finanzchef Patrick
wies das zurück. Das sei nicht die Po-
sition der chinesischen Regierung.

Gewächshaus von
Syngenta: Für die
Branche zeichnet
sich ein schwaches
Jahr ab.

Keystone Schweiz/laif

Die Umsatz-


einbußen auf


dem US-Markt


sind auch für


das


Gesamtjahr


weitgehend


verloren.


Die Chancen,


das noch


aufzuholen,


erscheinen


eher gering.


Mark Patrick
Syngenta-Finanzchef

Quelle: Insight Health

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