Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1

Joachim Hofer München


W


er eine Matratze
von Angela
Schramm haben
will, der muss
sich gedulden.
„Wir fertigen erst, wenn wir einen
Auftrag haben“, sagt die Chefin der
traditionsreichen Schramm Werkstät-
ten. Dafür bekämen die Verbraucher
aber ein genau auf sie zugeschnitte-
nes Produkt – und nicht nur das: „Da-
mit geben wir unseren Kunden das
Gefühl: Das ist extra für mich ge-
macht.“
Die Edel-Manufaktur aus dem pfäl-
zischen Winnweiler sei damit genau
auf dem richtigen Weg, sagt Jörg
Meurer. Der Partner der Münchener
Unternehmensberatung Keylens hat
kürzlich für eine Studie Top-Ent-
scheider aus der Luxusgüterindustrie
im deutschsprachigen Raum nach
den wichtigsten Trends befragt. Das
Ergebnis: Drei Viertel der Unterneh-
menslenker sind überzeugt, dass an
individualisierten Angeboten kein
Weg vorbeiführt. Nur wenn sie ihre
Kollektionen personalisieren, könn-
ten sie langfristig überleben.

Der größte Umbruch seit
Jahrzehnten

Doch das reicht nach Ansicht der
Führungskräfte allein nicht aus. Die
Produkte müssten stetig höheren
ökologischen und sozialen Anforde-
rungen gerecht werden, so das Er-
gebnis der Befragung. Damit noch
nicht genug: Die Manager glauben,
dass auch Gesundheitsaspekte eine
immer wichtigere Rolle spielen,
wenn eine zahlungskräftige Klientel
ihre Kaufentscheidung trifft.
Viele Edelmarken müssten ihr Ge-
schäftsmodell daher ändern oder zu-
mindest erweitern, mahnt Berater
Meurer: „Wir sehen den größten Um-
bruch der letzten Jahrzehnte.“ Mit
Protz und Prunk lasse sich zwar nach
wie vor viel Geld verdienen. Das zei-
ge nicht zuletzt das ungebrochene In-
teresse an großen und auffälligen Ge-
ländewagen.
Die Ansprüche der Kunden wür-
den jedoch steigen. „Luxus wird im-
mer vielschichtiger. Darauf müssen
sich die Anbieter einstellen“, erläu-
tert Julia Riedmeier von der Bera-

tungsgesellschaft Inlux, die Koauto-
rin der Studie.
Der Armaturenhersteller Dorn-
bracht ist gerade dabei, sich den neu-
en Gegebenheiten anzupassen. Frü-
her hat Marketingchef Sven Ullrich
edle Wasserhähne oder Duschbrau-
sen beworben. Die produziert das Fa-
milienunternehmen aus Iserlohn na-
türlich weiterhin. Es wird aber im-
mer schwieriger, sich allein damit
von der Konkurrenz abzuheben.
Inzwischen stellt der Manager da-
her am liebsten die heilsame Wir-
kung des Wassers im heimischen Bad
in der Reklame heraus. Mit Licht,

Duft und ganz speziellen Duschpro-
grammen schaffe Dornbracht „indivi-
duelle Wohlfühlerlebnisse und Mo-
mente der Achtsamkeit“, erklärt Ull-
rich. Bei dem Mittelständler steht die
Ware nicht mehr im Vordergrund.
Ullrich verkauft Erlebnisse.
Damit sei Dornbracht zahlreichen
Luxusfirmen voraus, meint Berater
Meurer: „Viele Unternehmen sind
noch immer viel zu stark allein auf
die Produkte ausgerichtet – und den-
ken eben nicht vom Kunden her.“ Bei
Dornbracht dagegen sind es inzwi-
schen wohldosierte Wassermassagen
oder Kneipp-Anwendungen für zu

Hause, die Ullrich den Kunden
schmackhaft machen möchte.
Das Bad, denkt Ullrich, sei für die
gestressten Großstädter der letzte
Rückzugsort in ihrem hektischen Le-
ben. Ein Platz, um völlig abzuschal-
ten. Ullrich: „Für viele unserer Kun-
den bedeutet sich wohlzufühlen und
gesund zu bleiben heute mehr als
materieller Besitz.“

Die großen Modemarken
ziehen nach wie vor
Mein Haus, mein Auto, meine Jacht,
ganz von gestern ist das natürlich
nicht. Anzugeben ist menschlich.
Trotzdem habe sich grundlegend et-
was geändert in jüngster Zeit, stellt
Cécile Wickmann fest. Die Unterneh-
merin hat Rebelle aufgebaut, einen
Internetshop für gebrauchte Luxus-
mode für Frauen. „Vor fünf Jahren
wurde Second Hand noch in der
Schmuddelecke wahrgenommen und
wir hatten mit vielen Vorurteilen zu
kämpfen“, erinnert sie sich.
Inzwischen sei es für viele ihrer
Kundinnen ganz normal, sich auch
einmal von Shirts, Kleidern oder
Schuhen zu trennen, um sie über Re-
belle zu verkaufen. Die Käuferinnen
wiederum fänden nichts dabei, sich
in schon einmal getragener Ware se-
hen zu lassen.
Das habe nicht zuletzt damit zu
tun, dass für viele der Nutzer inzwi-
schen Nachhaltigkeit eine größere
Rolle spiele. „Durch das Kaufen und
Verkaufen auf Rebelle lässt sich der
ökologische Fußabdruck unserer
Kundinnen immens verbessern“, be-
tont Wickmann.
Die Strahlkraft der großen Mode-
marken sei gewaltig wie eh und je,
stellt die Unternehmerin beim Blick
auf ihre Verkaufsstatistiken fest. Her-
mès, Channel und Louis Vuitton sei-
en von Anfang an bei Rebelle die be-
gehrtesten Marken gewesen und da-
ran habe sich nichts geändert.
Gleichwohl, selbst die global ange-
sagtesten Labels kämen nicht darum
herum, sich mit Nachhaltigkeit zu
beschäftigen, meint Wickmann. Das
erwarteten die Konsumenten ein-
fach. Auch diese Firmen müssten
ein Interesse daran haben, dass ihre
Ware möglichst lang und viel ge-

Luxusgüter


Die Strategien der


Edel-Manufakturen


Mittelständische Nobelmarken müssen heute ebenso


innovative wie sinnstiftende und individuelle Produkte


anbieten. Und nachhaltig soll es sein.


Ein Bett aus der Manufaktur, eine
Tasche aus zweiter Hand und das
private Spa: Vielschichtiger Luxus.

Schramm, Rebelle, Dornbracht

Leben im Luxus
Umsatz mit Luxusgütern weltweit in Milliarden Euro

76
Mrd.

271
Mrd. €

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Quelle: Bain & Company

Prognose

Der deutsche Mittelstand
MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138

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