Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1

Travelperk ist nicht das einzige üp-


pig finanzierte Start-up, das den klas-


sischen Geschäftsreisebüros seit Neu-


estem das Leben erschwert. Fast vier-


teljährlich kommt in Deutschland ein


weiterer Digital-Rivale hinzu – unter


teils exotischen Namen wie Ewings,


Rydoo oder Voya.


Dabei entwickelten sich noch in


den vergangenen Jahren Ketten wie


Carlson Wagonlit Travel (CWT), Ame-


rican Express Global Business Travel


(GBT) oder BCD Travel zu weltweit


operierenden Organisationen mit


Milliardenumsätzen. 2018 vereinte je-


der der Big Three ein Buchungsvolu-


men zwischen 25 und 32,7 Milliarden


Dollar auf sich. Inzwischen aber ver-


liert das Geschäft seinen in Jahren ge-


festigten Ruf, ein Selbstläufer zu sein.


Vormarsch der


Smartphone-Apps


Was sie unverhofft in die Defensive


bringt, ist der Vormarsch leicht zu


bedienender Smartphone-Apps, die


sich jeder Geschäftsreisende um-


standslos aufs Handy lädt. „Das Be-


treuungspaket der Geschäftsreiseket-


ten“, sagt René Vorspohl vom Ver-


band Deutsches Reisemanagement


(VDR), „entspricht oft nicht mehr


dem, was Unternehmen wünschen.“


Nur 44 Prozent der deutschen Un-


ternehmen, fand eine Studie seines


Verbands heraus, vertrauen ihre Ge-


schäftsreisen einer Agentur an. Eine


weitere Kennziffer der Misere: Von


dem Budget, das Geschäftsreisenden


zur Verfügung steht, liefen zuletzt


nicht einmal mehr 15 Prozent über


BCD Travel, First, Lufthansa City


Center und Co.


Den Rest buchten Mitarbeiter und


Unternehmen direkt – und das in


manchen Firmen zu 95 Prozent – on-


line. „Den Reisebürokaufmann, der


allein Buchungen für Unternehmen


vornimmt, wird es in fünf bis zehn


Jahren so nicht mehr geben“, erwar-


tet Inge Pirner, Vizepräsidentin des


Verbands und Travel-Managerin beim


Nürnberger Unternehmen Datev.


Dafür sorgen vor allem die Digitali-


sierer. Der am fürstlichsten Finanzier-


te von ihnen war schon vor diesem


Donnerstag die vor vier Jahren ge-


gründete IT-Firma Travelperk. Das


Start-up, das Deutschland nach Groß-


britannien seinen zweitgrößten Markt


nennt und hierzulande von Berlin aus


gelenkt wird, kann sich über Geldzu-


flüsse nicht beklagen. Insgesamt 134


Millionen Dollar haben Investoren bis


heute bereits zugeschossen.


Geld, das der von dem Israeli Avi


Meir gegründeten Firma nicht nur ei-


ne rasante Expansion erlaubt. „Wir


sind auch günstiger als alles, was wir


im Markt kennen“, brüstet sich


Deutschlandchef Eugen Triebelhorn


gegenüber dem Handelsblatt. Zu den


insgesamt 1500 Unternehmenskun-


den zählen unter anderem die Hotel-


kette Meininger, der Mobilitätsanbie-


ter Free Now (ehemals „MyTaxi“)


oder der Onlinehändler Out fittery.


Die Produktpalette hat das Zeug,


Geschäftsreiseketten wie BCD, CWT


oder Amex das Fürchten zu lehren.


Wem der Arbeitgeber die Travelperk-


App auf dem Smartphone erlaubt,


hat Zugriff auf ein riesiges Inventar.


Hotel- und Reiseplattformen wie Boo-


king und Expedia sind dort enthal-


ten, es gibt Schnittstellen zur Deut-


schen Bahn, zu Mietwagenfirmen


oder zu Meta-Suchmaschinen wie


Skyscanner oder Kayak. Selbst mit


Airbnb hat Travelperk eine Koopera-


tion geschlossen, was den Privatver-


mieter auch für Geschäftsreisende at-


traktiv machen könnte.


Flüge ausgewählter Airlines vermit-
teln die Berliner günstiger, als sie Rei-
sebüros oder Portale anbieten kön-
nen. Ende Juni gestattete Lufthansa
dem Start-up eine Direktanbindung
über eine sogenannte NDC-Schnitt-
stelle, wodurch die übliche Vermitt-
lungsgebühr von 16 Euro pro Flug
entfällt. Ein ähnliches Abkommen
besteht mit British Airways.

Digitalanbieter ersetzen
Reisebüroketten
Am meisten aber schmerzen dürfte
die Konkurrenz, dass Travelperk die
Geschäftsreisen komplett vorfinan-
ziert. Während in Deutschland 40
Prozent der Geschäftsreisenden in
Großunternehmen (über 1500 Mitar-
beiter) ihre Business-Ausflüge zu-
nächst über ihr Privatkonto zu be-
zahlen haben, geht Travelperk in
Vorkasse. Die Gesamtrechnung aller
Reiseleistungen leitet das Start-up in
der Folge an den Arbeitgeber weiter


  • und das für eine Gebühr von gera-
    de einmal zehn Euro pro Dienstreise.
    Noch nehmen es die herausgefor-
    derten Wettbewerber sportlich.
    „Neue Ideen und Herausforderun-
    gen bringen frischen Wind in den
    Markt“, bekundet Torsten Kriedt,
    Senior Vice President bei BCD Tra-
    vel, auf Anfrage. Man habe „keine
    Bedenken, Geschäftsanteile an Tra-
    velperk zu verlieren“, schließlich de-
    cke es aktuell zum Großteil ein Kun-
    densegment ab, das nicht mit einer
    Travel Management Company wie
    BCD zusammenarbeite.
    Ob er recht behält, ist fraglich. „Ge-
    rade in Großunternehmen mit einem
    professionellen Travelmanagement“,
    so Geschäftsreiseexpertin Pirner,
    „könnten Digitalanbieter und Platt-
    formbetreiber die Komplettpakete
    der Reisebüroketten ersetzen – oder
    zumindest ergänzen.“
    Mit einer solch nützlichen Idee
    läuft sich in diesen Tagen das Kölner
    Start-up Wireplus warm. Gemeinsam
    mit einem Chemiekonzern aus dem
    Rheinland testet das Anfang 2018 ge-
    gründete Unternehmen den Einsatz
    seiner „Wizy“-App, die vor allem die
    Reiseabrechnung erleichtern soll.
    Zum einen ist Wizy eine Kreditkar-
    te von Mastercard hinterlegt, zum an-
    deren verknüpft sich die App mit der
    marktführenden Reisekosten-Abrech-
    nungsmaschine Concur von SAP. Da-
    bei besitzt sie eine Besonderheit, wie
    Firmengründer Michael Offermanns
    herausstreicht: Wer mit ihr im Aus-
    land bezahlt, erhält die Mehrwert-
    steuer noch an der Kasse erstattet.
    Umständliche Rückerstattungsanträ-
    ge über die Firmenbuchhaltung sind
    mit ihr Vergangenheit.
    Mit Künstlicher Intelligenz versucht
    es dagegen das Berliner Start-up
    Comtravo. Die 2015 gegründete Fir-
    ma, die in ihrer ersten Finanzierungs-
    runde – unter anderem vom Reise-
    portal Momondo – 8,5 Millionen Euro
    einsammelte, verspricht Erstaunli-
    ches: Einfache E-Mail-Anfragen sollen
    ihre Rechner automatisch in Reisebu-
    chungen verwandeln. Bei einem Drit-
    tel der Aufträge funktioniere das
    schon, erklärten die Gründer.


Großanbieter im
Übernahmefieber
Als mächtigster Widersacher der Rei-
sebüroketten hat sich der Kölner Ho-
telvermittler HRS in Deutschland
etabliert. Statt gegen übermächtige
Konkurrenten wie Booking oder Ex-
pedia anzukämpfen, entschied Fir-
meninhaber Tobias Ragge schon vor
Jahren, sich den Bedürfnissen von
Firmen zuzuwenden. Weltweit 35 Bü-

ros ließ Ragge eröffnen, um große
Konzerne für seine Onlinedienstleis-
tungen zu begeistern. Und das mit
Erfolg: Längst sind Dax-Konzerne wie
Siemens oder Allianz mit der Bu-
chungs- und Abrechnungssoftware
der Kölner verknüpft, was ihnen das
eigene Geschäftsreisemanagement
drastisch erleichtert.
Hinzu kommt: Firmenkunden
profitieren gleichzeitig von den
günstigen Hotelraten, die HRS für
das eigene, zuletzt 209 Millionen Eu-
ro Umsatz schwere Portalgeschäft
aushandelt. 2015 (neuere Zahlen
sind bislang unveröffentlicht) ver-
diente Ragge mit seinem Schwenk in
den Geschäftsreisemarkt vor Steu-
ern fast 19 Millionen Euro – und da-
mit eine um ein Drittel höhere Mar-
ge als BCD Travel (2017).
Unterdessen grassiert unter den
mächtigen Geschäftsreiseketten das
Übernahmefieber, wohl auch, um
zumindest ein leichtes Wachstum zu
halten. So erwarb vor zwei Wochen
der Weltmarktführer American Ex-
press GBT in Deutschland die Rewe-
Tochter DER Business Travel. Erst
zwölf Monate zuvor hatte der

17 000 Mitarbeiter zählende Kon-
zern aus dem US-Bundesstaat New
Jersey nach dem britischen Wettbe-
werber Hoog Robinson Group
(HRG) gegriffen.
Auch die von Utrecht aus regierte
BCD wächst augenscheinlich nur
noch durch Zukäufe. Seit 2015 erwar-
ben die Niederländer nicht weniger
als elf Unternehmen, darunter Air
Club Travel, Get-Going und World
Travel Service.
Auf die Angreifer reagiert man dort
eher zögerlich. BCD startete mit Solu-
tion-Source einen Marktplatz, auf
dem Drittanbieter Technologien ein-
stellen können. Zudem versprechen
die Niederländer ihren Kunden, sie
auf Wunsch online vor möglichen
Störungen im Reiseverlauf zu warnen


  • ein Service, den auch CWT bewirbt.
    Der Wettbewerber aus Minneapolis
    verlässt sich dabei allerdings lieber
    auf die Dienste von Lumo, einem ex-
    ternen Start-up, das Flugverspätun-
    gen und Hotelengpässe vorhersagen
    soll. „Die großen Reisebüroketten“,
    ist sich Geschäftsreise-Managerin Pir-
    ner sicher, „sind auf den digitalen
    Zug viel zu spät aufgesprungen.“


Das


Betreuungs-


paket der


Geschäfts-


reiseketten


entspricht oft


nicht mehr


dem, was


Unternehmen


wünschen.


René Vorspohl
Verband Deutsches
Reisemanagement

 









 









  



  






 







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MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138


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