Wirtschaftsprüfer
Zwang
zur Größe
B
ei den Wirtschaftsprüfern
sind die Roboter auf dem
Vormarsch. In nur sieben
Jahren, so meint die Mehrheit in
der jüngsten Umfrage des Marktfor-
schers Lünendonk, werden mehr
Tätigkeiten bei der Prüfung mittels
Maschinen als durch Menschen aus-
geführt. Diese Prognose ist nicht
unrealistisch, die Technologie wird
die Branche nachhaltig verändern.
Die Arbeit der Prüfer ist zum gro-
ßen Teil dafür prädestiniert, von ei-
nem Robotersystem übernommen
zu werden. Die Abrechnungsprü-
fung in Unternehmen, die Zuord-
nung von Belegen – all das sind
Standardprozesse, die von einer in-
telligenten Maschine schneller und
wohl auch mit weniger Fehlern er-
ledigt werden. Die Qualität der Prü-
fung wird steigen – auch deswegen,
weil die Prüfer dank Robotik nicht
mehr nur auf Basis von Stichproben
arbeiten müssen, sondern eine voll-
ständige Prüfung möglich ist.
Doch um zu diesem Punkt zu ge-
langen, müssen die Unternehmen
kräftig investieren. Und zwar in
zwei Richtungen: erstens in Tech-
nik, also in Hardware und Algorith-
men. Zweitens in Personal: Zweifel-
los wird die Digitalisierung bei den
Wirtschaftsprüfern Jobs kosten, das
Gleiche gilt für Steuerberater, deren
Geschäft den gleichen Veränderun-
gen unterliegt. Auf der anderen Sei-
te entstehen neue Jobs in der Steue-
rung der Roboterarbeit und der
Analyse ihrer Ergebnisse.
Wie viel Personal die Dienstleis-
ter dafür letztlich noch brauchen,
ist offen. Klar aber ist, dass die Fir-
men ihren noch verbleibenden Prü-
fern völlig neue Qualifikationen ver-
schaffen müssen. Das kostet Geld
und muss zügig mit der zunehmen-
den Digitalisierung erfolgen.
Diese Herausforderungen werden
nicht alle Prüfer aus eigener Kraft
meistern können, denn der Kapital-
bedarf für Investitionen ist hoch. Es
ist absehbar, dass kleinere Anbieter
bei größeren unterschlüpfen wer-
den. Die Branche konsolidiert sich
schon seit Jahren, neben den Big
Four sind auch auf den Plätzen der
Wille und der Zwang zur Größe zu
beobachten. Die Digitalisierung
wird dies nochmals befeuern.
Der Kapitalbedarf für die
Digitalisierung wird eine
Übernahmewelle in der Branche
auslösen, erwartet Bert Fröndhoff.
„Ich glaube fest daran, dass Europa einen
Weg finden muss, die Europäer davon
zu überzeugen, langfristig in Aktien
zu investieren.“
Larry Fink, der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters
Blackrock, meint, dass die Europäische Zentralbank Aktien
ankaufen sollte, um die Konjunktur anzukurbeln.
Worte des Tages
Der Autor ist
Teamleiter Industrie.
Sie erreichen ihn unter
W
er vermittelt seinen Aktionären
am ehesten, dass er den Heraus-
forderungen im Abschwung ge-
wachsen ist? Gute Unterneh-
mensbilanzen sind wichtig, doch
sie spiegeln „nur“ die Vergangenheit wider. Die Bör-
se verlangt mehr, denn sie spekuliert auf die Zu-
kunft. Den Investoren viele lukrative Ideen aufzuzei-
gen, ohne dabei der Versuchung zu erliegen, zu viel
zu versprechen, ist Aufgabe der Konzernchefs. Hier
die geeignete Ansprache zu finden ist eine Gratwan-
derung. Sie gelingt nicht immer, wie jüngst SAP bei
der Präsentation seiner Quartalsergebnisse erfahren
musste. Der Aktienkurs brach um sieben Prozent
ein, und das Unternehmen verlor gut zehn Milliar-
den Euro an Wert. Mit einer besseren Kommunikati-
on hätte sich SAP wohl viel Leid ersparen können.
Dabei versteht sich SAP-Chef Bill McDermott wie
wohl kein anderer Dax-Chef aufs Begeistern. Nie ist et-
was nur gut oder groß. Viel lieber spricht der Ameri-
kaner, so wie im April im Handelsblatt, von der Neu -
erfindung des Kerngeschäfts, um so den Börsenwert
bis 2023 auf 300 Milliarden Dollar mal eben fast zu
verdoppeln. Solange das Geschäft und die Aktien-
märkte laufen, kaufen Aktionäre solche Superlative
den Konzernen gerne ab. Erst recht, wenn SAP die Er-
wartungen anhebt, wie es im vergangenen Jahr gleich
dreimal der Fall gewesen ist. Doch wehe, wenn es
knirscht wie jetzt. Das Geschäft mit Software und
Cloud-Diensten wuchs langsamer als erwartet, der
Konzernumbau samt Abfindungen und Vorruhe-
standsprogrammen verhagelte die Bilanz im ersten
Halbjahr. Doch der gelernte und exzellente Vertriebler
blieb seinem Optimismus treu. Die enttäuschenden
Quartalszahlen versah McDermott mit der Einschät-
zung: „Wir sind voll in der Spur.“ Damit verunsicherte
er die Aktionäre mehr, als dass er sie beruhigte.
Noch unglücklicher erscheint die Kommunikation
bei Volkswagen – und das schon seit Jahren. Dabei
musste der größte Autobauer bislang gar nicht davor
warnen, dass die Gewinne aufgrund des Dieselskan-
dals geringer ausfallen könnten als erwartet. Der
Trick: VW stellte schon 2018 seine Prognose unter
den Vorbehalt „ohne Sondereinflüsse“. Darunter
verstehen die Wolfsburger unter anderem die „Die-
selthematik“ – ein konzerneigener, aber irreführen-
der Begriff. Gemeint ist der maßgeblich von VW ver-
ursachte Abgasskandal. VW klammert also den Skan-
dal und alle möglichen Folgen aus – und kommt so
um Hiobsbotschaften herum. Doch zu glauben, An-
leger erfreut solch eine Kommunikation, wäre naiv.
Seit dem Frühjahr 2015 hat VW 40 Prozent an Wert
verloren. Wie sehr das Vertrauen gesunken ist, zeigt
die Bewertung: Anleger bezahlen den gesamten Kon-
zern und heruntergerechnet jede Aktie nur noch mit
dem fünfeinhalbfachen Jahresnettogewinn.
Noch billiger ist nur eine Aktie im Dax – auch sie
leidet unter erheblichem Vertrauensverlust: Luft-
hansa. Seit Jahren hofft Konzernchef Carsten Spohr
auf bessere Zeiten und darauf, dass die Ticketpreise
endlich steigen. Doch gerade deshalb bietet die Bi-
lanz jedes Mal viel Enttäuschungspotenzial – eben
weil die Preise nicht steigen. Aktionäre halten nichts
von Durchhalteparolen à la: „Wir erleben gerade die
finale Phase vor der Konsolidierung“, wie Spohr sie
bei der Präsentation des operativen Verlusts im ers-
ten Quartal lieferte. Anstatt auf diese finale Phase zu
spekulieren, warten Anleger auf Ideen und Visionen,
wie sich mit Flügen mehr Geld verdienen lässt.
Besser wären Realismus und Fachkenntnis. Prota-
gonist dafür ist Markus Braun vom Zahlungsdienst-
leister Wirecard. Auf Blitzlichter der Fotografen rea-
giert der Österreicher üblicherweise mit stoischer
Ruhe. Anstatt in Euphorie zu verfallen, wie es die ra-
santen Ertragssteigerungen durchaus rechtfertigen
würden, besinnt sich der studierte Physiker auf sei-
ne Stärken: Technik, Zahlen und Liebe zum Detail.
Niemand kann Wirecard vorwerfen, die Aktie steige
aufgrund eines überbordenden Optimismus des Vor-
stands – im Gegenteil: Das Management verfasst die
Prognosen stets so konservativ, dass genug Potenzial
für positive Überraschungen bleibt.
Ein Meister der Kommunikation ist Kasper Ror sted.
Erfolg ist dem Adidas-Chef nicht genug. Da zeigt der
Däne durchaus eine Seelenverwandtschaft mit dem
Amerikaner McDermott. Doch Rorsted präsentiert sich
den Finanzmärkten vielschichtiger. Er verkauft Adidas
nicht nur als ultimative Erfolgsgeschichte, sondern
auch als Unternehmen mit Problemen, wie jüngst im
Zusammenhang mit den falsch geplanten Lieferketten
im globalen Handel. Davor waren es zu komplizierte
Geschäftsprozesse. Es geht also keineswegs darum,
Schwierigkeiten einfach wegzuwischen, sondern da-
rum, sie offensiv zu skizzieren und zu entlarven.
Visionen, kombiniert mit kluger Fehleranalyse,
schaffen das Bild eines ehrgeizigen Unternehmens,
das besser werden kann – und deshalb Kursfantasie
beflügelt. Das gilt erst recht in geopolitisch wie kon-
junkturell schwierigen Zeiten. Von solchen Firmen
und Chefs braucht der deutsche Kurszettel mehr.
Dann würde der Dax auch nicht mehr den anderen
Börsen hinterherhinken.
Leitartikel
Der richtige Ton will
gelernt sein
Euphorie zu
verbreiten
bewahrt
Konzerne nicht
vor Kursstürzen.
Realismus ist
die bessere
Strategie, sagt
Ulf Sommer.
Mit einer
besseren
Kommunikation
hätte sich SAP
wohl viel Leid
ersparen
können.
Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen
& Märkte. Sie erreichen ihn unter:
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Meinung
& Analyse
MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138
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