Handelsblatt - 22.07.2019

(sharon) #1
Strommarkt in Deutschland
Gebiete der Übertragungsnetzbetreiber und Anteilseigner der Unternehmen

HANDELSBLATT Quellen: Unternehmen, Bundesnetzagentur, Markus Unternehmensdatenbank

Bayern


BerlinBerlin


Sachsen


Thüringen


Sachsen-
Anhalt

Hamburg


Mecklemburg-
Vorpommern

Schleswig-
Holstein

Niedersachsen


Bremen


Nordrhein-Westfalen


Hessen


Rheinland-
Pfalz

Saarland


Baden-
Württemberg

50 Hertz


Tennet


Amprion


Transnet BW


M 31 Beteiligungs-
gesellschaft

RWE


EnBW


Niederlande


KfW Förderbank


Elia


Amprion


74,9 %


25,1 %


100 %


100 %


20 %


80 %


50 Hertz


Transnet
BW

Tennet


Jürgen Flauger, Klaus Stratmann Berlin


W


enn Peter Altmaier über den
Ausbau der Stromnetze
spricht, wird er deutlich. „Wir
brauchen mehr Stromnetze,
und zwar zügig“, wiederholt
der Bundeswirtschaftsminister gebetsmühlenartig.
„Wir wollen zum einen die Kapazitätsreserven in
den bestehenden Netzen mit modernen Technolo-
gien heben und zum anderen dafür sorgen, dass
die Stromnetze schneller ausgebaut werden“, so
lautet sein Mantra.
Der CDU-Politiker hat den Ausbau der Netze zum
vordringlichen Ziel erklärt. Auf der Habenseite
kann er eine Novellierung des Netzausbaube-
schleunigungsgesetzes verbuchen; außerdem ha-
ben seine Beamten und er in vielen Gesprächen
versucht, bei strittigen Projekten den Interessen-
ausgleich zwischen Netzbetreibern, Ländern, Bun-
desnetzagentur und Gegnern herzustellen.
Doch Fortschritte beim Netzausbau könnten an
neuen Hürden scheitern: Der Ehrgeiz eines maß-
geblichen Players, die Energiewende in Deutsch-
land voranzutreiben, scheint deutlich gebremst zu
sein. Die Rede ist vom Übertragungsnetzbetreiber
Tennet TSO mit Sitz in Bayreuth.
Interne Unterlagen, die dem Handelsblatt vorlie-
gen, verdeutlichen, dass die niederländische Mut-
tergesellschaft Tennet Holding B.V. aus Arnheim
die deutsche Tochter in einer groß angelegten Um-
strukturierung unter Kuratel stellen will. In Mitar-
beiterkreisen wird von einer „feindlichen Übernah-
me“ gesprochen. Der Einfluss deutscher Manager
werde systematisch beschnitten, in der Holding
hätten die Niederländer das Sagen. Tatsächlich ist
dort von vier Vorstandsposten nur einer mit einem
Deutschen besetzt. Das steht im Missverhältnis zur
wirtschaftlichen Realität: Mehr als 70 Prozent trägt
die deutsche Tochter zum Ergebnis bei.
Nach Informationen des Handelsblatts aus dem
Umfeld des Unternehmens ist geplant, künftig we-
sentliche Funktionen im niederländischen Arn-
heim zu konzentrieren. Ab einer bestimmten Hie-
rarchieebene wird künftig von deutschen Mana-
gern verlangt, ein bis zwei Wochen pro Monat in
Arnheim zu arbeiten. Damit solle erreicht werden,
dass Deutsche an den Positionen nicht mehr inte-
ressiert sind. Es geht darum, deutsches Personal
„abzuschütteln“.

Sog aus den Niederlanden


Entscheidend ist aus Sicht der Kritiker, dass die Fi-
nanzbereiche künftig ausschließlich von Niederlän-
dern aus Arnheim heraus geleitet werden. Ziel der
Umstrukturierungen sei es, künftig alle bislang län-
derspezifisch aufgebauten Strukturen übergreifend
zu organisieren, „sodass der deutsche Teil vollstän-
dig in die Niederlande integriert ist“. Es sei abseh-
bar, dass von 22 Geschäftsbereichen künftig nur
noch fünf von Deutschen geleitet würden.
In einem offenen Brief an die Belegschaft und an
Otto Jager, den Geschäftsführer der deutschen
Tochter und CFO der Holding, kritisiert der deut-
sche Betriebsrat, man sei mit den Umstrukturie-
rungsplänen „absolut nicht einverstanden“. Man
habe „die Befürchtung, dass Arbeitsplätze in er-
heblichem Umfang in Deutschland verloren gehen
und die Arbeitsbedingungen zum Nachteil der Be-
schäftigten verändert werden“, heißt es darin.
Was nach schnöder Umstrukturierung klingt, hat
eine politische Dimension. Im Kern geht es um die
Frage, wer die erforderlichen Investitionen
stemmt, damit der Netzausbau vorankommt.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Eigentümer-
struktur bei einem Übertragungsnetzbetreiber zum
Politikum wird: 2018 hatte der staatliche chinesi-
sche Netzbetreiber State Grid Corporation of China
(SGCC) gleich zweimal versucht, sich einen 20-Pro-
zent-Anteil an dem Übertragungsnetzbetreiber
50Hertz zu sichern. Das Wirtschaftsministerium
hatte alles darangesetzt, den Einstieg zu verhin-
dern. Beim ersten Versuch wurde der belgische
Mehrheitseigner Elia überzeugt, seinen 60-Prozent-
Anteil zu erhöhen. Beim zweiten Anlauf der Chine-
sen gelang dies nicht mehr. Schließlich übernahm
die bundeseigene KfW den Anteil.

Im Netz

gefangen

Der niederländische Netzbetreiber Tennet legt seine deutsche


Tochter an die Leine. Die Folgen für die Energiewende könnten


gravierend sein. Die Regierung beobachtet den Fall genau.


Wirtschaft

& Politik

MONTAG, 22. JULI 2019, NR. 138


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