Berliner Zeitung - 22.07.2019

(Brent) #1
Berliner Zeitung·Nummer 167·Montag, 22. Juli 2019–Seite 18
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Sport


D

asTrainingslagervonRB
LeipziginTirolendeteso
locker und entspannt,
wie man dasvomstreb-
samenBundesligadrittenbislanggar
nicht gewohnt war.Nach dem 3:
(0:1)im Testgegen GalatasarayIstan-
bul im InnsbruckerTivoli gab Leip-
zigs neuerTrainer Julian Nagels-
mann seinenSpielern, seinemTrai-
nerstab und auch sich selbst einen
Abendfrei. Sosahmaneinigepromi-
nente RB-Angestellte inklusivedes
CheftrainersamFreitagabenddurch
denWintersportortschlendernoder
angeregt plauderndvordem Team-
hotel vonGegner Galatasaray.Weil
im Gegensatz zu denGala-Anhän-
gern–imStadion waren es6000 –
nuretwa100RB-Fansmitgereistwa-
ren, konnten sie das auchweitge-
hend unbehelligt tun.So hatte die
Szene etwasGelöstes,Natürliches,
was im Profifußball auf diesemNi-
veaurarist.
In den fünfTrainingstagen zuvor
und dem intensivenTest gegen den
türkischen Meister hatte sich die
Mannschaft das kurze Innehalten
redlich verdient. Eine Woche lang
waren über denTrainingsplatz un-
terhalb derSeefelder Olympia-Ski-
sprungschanzedie lautstarken An-
weisungenvonNagelsmanngehallt.
Eswarzuhören,zusehenundförm-
lich zu greifen gewesen, wie der
jüngste Trainer derBundesliga und
derChampionsLeaguedieLeipziger


voranbringen möchte.„Extrem in-
tensiv“, „giftig“, „aktiv“ sind seine
dazupassendenVokabeln.
DerMann,derandiesemDiens-
tag immer noch junge 32Jahrealt
wird, wirkt selbst hoch energetisch
undhatgenugdavon,seineEnergie
auf anderezuü bertragen.Nagel-
smannistschnellimKopf,ungedul-
dig, wie er selbst sagt,redet viel und
schnell und steht ständig unter
Strom.Hyperaktivwürdemandasbei
Kindernwohlnennen.ImTrainingist
er laut, fordertständig noch mehr
Tempoein,gibtdenAngreifernnach
Balleroberung nur fünf Sekunden
ZeitbiszumAbschluss.SeineSpieler
überforderterb ewusst, damitvon
zehn Informationen zumindest fünf
hängenbleiben. „Die übrigen fünf
wiederholenwirdannimmerwieder,
biswirbei60,70,80,90,100Proz ent
sind“,sagter.

KomplexerchirurgischerEingriff
DieZahlder EinheitenmitBallhater
erhöht, Athletiktraining kommt zu
zwei Einheiten amTagnoch hinzu.
Ebenso wie intensives Videostu-
dium.JedeSpielphasezerlegtNagel-
smann inweiterePhasen und gibt
seinenSpielerndiesezumSelbststu-
dium mit an dieHand. Auch die
Spieler,die wegen der U21-Europa-
meisterschaft erst an diesemSonn-
tag zumTeam stoßen, hatNagels-
mann schon mitVideosequenzen
eingedeckt.Mitseinen teils neuen

Methoden, seinem offenen, selbst-
bewusstem, jugendlichenAuftreten
undmitinhaltlicherTiefebringtder
MannmitdenbreitenSchulternund
dembreitenGangnocheinmaleine
höhereSchlagzahl und frischen
WindbeiRBLeipzigein.Unddasist
als NachfolgervonRalf Rangnick
keineinfachesUnterfangen.
DerLeipzigerWunschtrainer,für
denRangnickeigenseineSaisonauf
die Trainerbank zurückgekehrtwar,
nutztedieGelegenheitauch,umim
abgeschiedenen noblenTeamhotel
im Seefelder Nachbaror tMösern
seine Ideen zur Erweiterung der
LeipzigerSpielidee näher zu erläu-
tern. Dasist ein durchaus heikles
Thema bei Rasenballsport, weil
diese Emanzipation Nagelsmanns
Vor-VorgängerRalphHasenhüttlvor

guteinemJahrnochzumVerhängnis
gewordenwar.HasenhüttlsIdeevon
mehr Ballbesitzspiel ging aufgrund
dererstmaligeninternationalenTeil-
nahme zulasten der defensivenSta-
bilität,wasRalfRangnickinderver-
gangenen Spielzeit höchstpersön-
lich wieder korrigierte.Das gelang
jedochnurinderBundesliga;inder
EuroLeaguescheiterteLeipzigkläg-
lich.
Nunversucht sichJulian Nagels-
mann an dem gleichenSpagat aus
Dreifach-BelastungmitEinzugindie
K.-o.-Rundeder ChampionsLeague
sowie der Implementierung von
mehrVariabilität und Kreativität im
Offensivspiel, ohne RB dabei seiner
größtenStärken –Defensivstabilität,
UmschaltspielundGegenpressing–
zu berauben.Einkomplexer chirur-

gischer Eingriff in dasInnenleben
der Leipziger.Doch Nagelsmann
kann sehr schlüssig erklären, wie er
sichdie Modifizierungvorstellt.
SeinLeitsatzdabeilautet:„Meine
IdeevomSpielmitdemBallverstärkt
die Idee bei gegnerischemBallbe-
sitz.“Heißtübersetzt:Ballbesitzspiel
soll unter demTrainer-Jungstar nie
Selbstzwecksein,sonderndientim-
mernurderVorbereitungeineropti-
malen Gegenpressing-Situation.
Ballbesitz als Gegenpressing-Ver-
stärkersozusagen.Nichtviel Ballbe-
sitz zählt für ihn, sondernqualitativ
hochwertiger.„Warumich den Ball
haben will, hat dreiGründe“, führt
Nagels-mann aus: „eine höhere
Wahrscheinlichkeit für Torab-
schlüsse,das besserePersonal-Ver-
hältnisfürsGegenpressingunddem
Gegner das Gefühl zu geben, er
könne kontern, obwohl er gar nicht
konternkann“.

Vertrauender Spielergewonnen
Wenn er imTraining einTeam von
hinten herausspielen lässt, gibt er
ganz konkrete Anweisungen, wel-
cher Innenverteidiger vonhinten
nachschieben soll, um dasGefüge
kompakt zu halten und wie sich die
Stürmer zu bewegen haben, um ge-
fährlich vordasTorzuk ommen.So
will Nagelsmann bereits im Angriff
die bestmöglichePositi onierung al-
lerSpielererreichen,umoptimalauf
die Situation nachAbschluss oder

bei Ballverlustreagierenzu können.
Dasfügtder RangnickschenPres-
sing-Gegenpressing-Ideetatsächlich
neueFacetten hinzu.
ImTestgegenG alatasaraywarei-
niges davon schon zu sehen.Zwar
geriet RB durchStellungsfehler in
der neuen Dreier-/Fünferketten-
FormationinRückstand,dochdieIs-
tanbuler brachen zu Beginn der
zweitenHälfteunterdemDruckzu-
samm enundkassiertendreiTore in
drei Minuten (Halstenberg, 56.,
Poulsen,58., Augustin,59.).MitPres-
sing,Anlaufverhalten,Balleroberun-
gen, Umschaltverhalten undSpiel-
vortragwar der Trainer bereits zu-
frieden.„DasUmswitchenzwischen
aktivemAnlaufen und der nötigen
Ruhe be iBallbes itz ist die hohe
Kunst, daranwerden wir weiter ar-
beiten“, sagte Nagelsmann. „Aber
wenn man nach 0:1 noch zurück-
kommt,istdasgutfürdasSelbstver-
trauen und die Überzeugung im Li-
gaalltag.“Undgutfür das Vertrauen
derSpielerinseineInhalte.Dochdie
Kabine ha terehbereits auf seine
Seite ge zogen. KapitänW illiOrban
sagte:„Mit dem, was wir alsMann-
schaft draufhaben plus Julian
Nagelsmann–darauskannwasGu-
tes entstehen.“Dernächste Schritt
„wärenach Platz drei vorige Saison
undPlatzzwei vorzweiJahrenderan
die Spitze“. Höher können dieEr-
wartungen an den juvenilen Chef-
coachnichtsein.

Julian Nagelsmann legtwert auf hohesTempo, auchwenn es nur darum geht, die Eckfahnenstange imTraining auszutauschen. DPA/WOITAS


UNION SPIELT UNENTSCHIEDEN

Test:Der 1. FC Union hat in
der Vorbereitung auf die
neue Saison einen kleinen
Dämpfer hinnehmen müs-
sen. DerAufsteiger kam im
Duell beim Zweitligisten Erz-
gebirgeAue zu einem 1:
(1:0).

Trost:Im fünftenTestspiel
blieb Union erstmals ohne
Sieg.Aue startet aber bereits
in derkommendenWoche
(28. Juli) bei Greuther Fürth
in die Zweitligasaison und ist
in derVorbereitung schon
entsprechendweiter.

Tor:Zugang AnthonyUjah
(17.) traf für die Eisernen,
Christoph Daferner (85.)
glich kurzvorSchluss aus.
Am kommenden Sonnabend
steht derTest gege nden
Bundesligarivalen VfLWolfs-
burg an.

DasWunderderWüstenfüchse


AlgeriensFußballergewinnendenAfrika-CupundlenkendamitkurzzeitigvondenpolitischenProblemenab,diedasLandderzeitbeherrschen


F


ranckRibérytanztemitAlgerien-
Fahne umher und sang ausvol-
lem Hals.Später posierte er in der
Kabine mit den neuen Afrikameis-
ternundhieltdengoldenenPokalim
Arm. DerlangjährigeBayern-Profi,
der mit einer Algerierinverheiratet
ist, war derStargast auf einerFuß-
ball-Party,die vonKairoaus das
ganzeLand erfasste.Die politische
ZerrissenheitwarfüreinenMoment
verg essen.
„Das ist unglaublich!Dieser Sieg
ist für alle Algerier“, sagteTorhüter
Rais M'Bolhi nach dem 1:0 (1:0) im
Finale des Afrika-Cups in Ägypten
gegen denSenegal. Im Moment des
Triumpheshattensichdie„Fennecs“


(Wüstenfüchse) wie an der Schnur
gezogen zumDankesgebet auf die
Knie geworfen−zuH ause wurden
sie vonZehntausenden auf Händen
getragen.

ErsterTitelseit29Jahren
Nach der Ankunft in Algier wartete
amrotenTeppichderPremierminis-
ter NoureddineBedoui, später ging
esvier StundenlangimoffenenBus
querdurchdieHauptstadtzumPlatz
des1. Mai−esw arein15-Kilometer-
Meer aus Fahnen und bengalischen
Feuern,immerwiederderRuf:„One,
two,three ,vival'Algerie!“
Im Zentrum stand besonders
TrainerDjamelBelmadi.„Erhatjeg-

Straßen Algiers für einen
Regierungswechsel. Die-
sesMalbeendetensieihre
Proteste unter der bren-
nendenSonne früher als
gewohnt undversammel-
ten sich inFanzonen und
Cafés oder vorimprovi-
siertenLeinwänden.
Nach dem frühen Füh-
rungstor durch Baghdad
Bounedjah (2.) brandete erstmals
lauter Jubel auf. Doch nach dem
Fernschuss des Angreifers,den der
unglückliche Schalker Verteidiger
Salif Sané bei einemRettungsver-
such zu einer unhaltbarenBogen-
lampe abfälschte,begann zunächst

liche Elogen verdient“,
sagte Premier-League-Star
Riyad Mahrez vo nMan-
chesterCity,dermitRibéry
ein Selfie schoss: „Erhat
dieseMannschaftneuauf-
gebaut.“DerCoach gab
das Lob an seineSpieler
zurück. Ohne sie „bin ich
nichts“, sagte der 43-Jäh-
rige,der Algerien den ers-
ten Titel seit 29 Jahren beschert
hatte.„Es istfantastisch, was die
Jungsgeleistethaben.“
DerErfolglenktevonderseit Mo-
natenschwierigenSituationimLand
ab.Seit Februar demonstrieren die
Menschen jeden Freitag auf den

dasgroßeZitterngegendieSenega-
lesen mit ihrem diesmal unauffälli-
gen StarspielerSadio Mané vomFC
Liverpool.

Eskalierte Feiern
Mitdem Schlusspfiff gab es bei den
FennecsundvorallemdenFanskein
Halten mehr.Dabei verlief die Party
überraschendundwohltuendfried-
lich.Hupkonzerte,GesängeundPy-
rotechnik prägten dieFeierlichkei-
ten, die befürchteten Krawalle blie-
benweitgehendaus.
Wiedie französische Nachrich-
tenagentur AFP berichtete,kam es
nur auf der PariserPrachtmeile
Champs-Élysées zu kleineren Zu-

samm enstöß en zw ischen Fans und
derPolizei. VordemEndspielwaren
geradeinFrankreichdieSicherhe its-
vorkehrungen verschärft worden.
Nach den Erfolgen der algerischen
MannschaftimViertel-undimHalb-
finalewarenbeieskaliertenFeiernin
Frankreich insgesamt mehr als 350
Menschen festgenommen worden,
eineFraustarb.
BesondersinParisundMarseille,
wo am Freitag mehr als 25000Fans
feierten, leben größereMinderhei-
ten algerischerHerkunft.Vor allem
beiFußballturnierenistesinderVer-
gangenheit immer wieder zuSpan-
nungen mitGewaltausbrüchen ge-
kommen.(sid)

Pokalfreuden:
Riyad Mahrez

AFP/DESOUKI

VonUllrich Kroemer,Seefeld

BewussteÜberforderung


WieJulianNagelsmannRBLeipzig,


UnionserstenBundesligagegner,aufein


anderesNiveaucoachenwill

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