Berliner Zeitung - 22.07.2019

(Brent) #1

Report


Berliner Zeitung·Nummer 167·Montag, 22. Juli 2019 (^3) ·························································································································································································································································································
gen.Polaukestrahlteineunerschüt-
terlicheHeiterkeitaus,undmancher
störtsichdaran.„Eristsoeinsonni-
ger Typ“, sagt einer,der sich in der
KöpenickerPolitik auskennt. „Man
hatdas Gefühl,ergibtdamitfastan.“
Es gibt aber auch Leute,die das
anderssehen,obwohlsieselbstunter
der SED-Diktatur zu leiden hatten.
„DassersichindieKonfrontationbe-
gibt,istetwas,dasmanihmhochan-
rechnenkann“,sagtMatthiasLydike,
der Sohn des inzwischenverstorbe-
nen Pfarrers Klaus-DieterLydike aus
Altglienicke,der zu denSystemgeg-
nernzählte.Nachder Wendebauteer
inseinerGemeindeeinenGesprächs-
kreis auf.Polauke war oft dort.Der
Pfarrer und der ehemaligeNomen-
klaturkader freundeten sich an. Für
seinen Sohn ist das heute noch ein
„WunderderWende“.
Polauke ist ein Kümmerer.Einer,
der sich einmischt.DerdieLeute in
der Nachbarschaft anspricht,wenn
ihrHundaufdenGehwegmacht.
An einemSonnabendmorgen im
FrühjahrbahntsichPolauke,breites
Grinsen, straffer Schritt, seinenWeg
durch dieMenge,die sich in der
Halle des Berliner TSCversammelt
hat. Polauke ist Ehrenpräsident, er
schüttelt Händerechts und links.
DasSportgelände liegt hinter dem
VolksparkFriedrichshain, Polauke
war13 JahrelangPräsidentdesVer-
eins,der zu DDR-Zeiten einElite-
Club war.Nach der Wende stand er
vordem Bankrott, und Polauke
suchteneueAufgaben.
Er hat denVerein fast im Allein-
ganggerettet,dasbestätigtderjunge
Geschäftsführer Christoph Kräh-
nert,„mit vielEngagement, mit sei-
nem Netzwer kund seinemTalent,
mitMenschenzuarbeiten.“Nurfalle
es ihm schwer,kürzerzutreten, mal
anderemachen zu lassen. „Man
kannimmerzuihmkommen,wenn
manRatbraucht,abererhatdieTen-
denz,dassesimmereineSchippezu
vielist.“
In der Sporthalle hat gerade ein
Jugend-Volleyballturnier begonnen,
PolauketrittvorundsagtinsMikro-
fon: „Herzlich willkommen, schön,
dassSiedas ind.“AlsdieGrußworte
gesprochensind,setztersichmitein
paar anderenHerren oben in den
Clubraum.EsgibtRotkäppchensekt
und belegteBrötchen. Dieanderen
greifenzu,Polaukeredet;esgehtum
Sport, Politik und um die DDR.„Ich
trauer enichtnach“,sagter,„aberich
verg essenicht,woichherkomme.“
Nach einerWeile enden dieGe-
spräche,Polauke bricht auf.Im Ge-
hen springt seinGedankenkarussell
wiederan.Hätteermerkenmüssen,
dass die DDRvordem Ende steht?
Hättemanesaufhaltenkönnen?
Polauke stand nach derWende
vordemNichts,wieviele Menschen,
die im Osten ihr eArbeit verloren,
undmanchesindaufderStreckege-
blieben.Fast nichts ist darüber be-
kannt,wieesfürdieKaderaus Partei
undStasiweiterging.„Esgibtmeines
WissenskeineForschungdazu“,sagt
Stefan Wolle,der wissenschaftliche
Leiter desBerliner DDR-Museums.
„Man weißsogutwiegarnichtsüber
denweiteren WegdieserLeute.“
Wolle weiß nur vonEinzelfällen;
viele ehemaligeStasileute seien bei
Versicherungen untergekommen,
andereheuerten alsTaxifahrer oder
bei Detekteien an. „Es ist jedenfalls
nicht bekannt, dass sie zuhauf ge-
scheitertsind,diemeistensindganz
gut auf die Füße gefallen“, sagt er.
„Siesindbesseruntergekommenals
vieleandereBevölkerungsgruppen.“
Polaukesagt:„NatürlichwardieKar-
rierezuE nde.Wir warenvernutzt.“
Viele der Ost-Bezirksbürgermeister
hättenbereitskurzvorder Rentege-
standen.Einer,sagter ,arbeiteteda-
nach bei einerSicherheitsfirma, ein
anderer im Abgeordnetenhaus an
derEinlasskontrolle.
Für Polauke ist es gut gelaufen.
Zuletzt war er in einerGebäudema-
nagement-Firma alsProkurist tätig,
er musste sich nie groß um seine
Aufträgebemühen.
DerKontakt zumUnternehmen
TrocklandhatsichzumBeispielüber
eine Immobilie in der Herzberg-
straße in Lichtenbergergeben, die
derFirmengruppegehört–darinsaß
früher das Kombinat Großhandel
und Waren, Polauke war dorteine
WeileParteisekretär.„DasLebenholt
einenimmerein“,sagter.Nunsetzte
er sich beimSenat dafür ein, dass
Trockland Teile davon alsFlücht-
lingsheimvermieten kann.Er und
Trockland hätten also etwasGutes
getan, betont er,weil er weiß, dass
dieFirmaind erKritiksteht.
Imverg angenenJahr,alsderpoli-
tischeWiderstand gegen dasTrock-
land-Vorhaben am Checkpoint
Charlie wuchs,schrieb erBriefe an
Berliner Abgeordnete.Auf der Web-
siteder Firmaisterals„SeniorBera-
ter“aufgelistet,nebendemfrüheren
US-BotschafterJohnKornblum.
IN DER CAUSA JACHTHAFEN WAR ER
ALS VERMITTLER ERFOLGREICH,
auchwennernichtamZielist. Noch
liegtaufdemHafeneineBausperre,
die muss noch aufgehobenwerden.
Polauke begleitet denInvestor zu
Terminen im Stadtplanungsaus-
schuss oder gerade erst mit dem
BaustadtratvonTreptow-Köpenick.
„EristhinterdenKulissensehrum-
triebig“,sagteinMitgliedderBVV.
„ErhateingutesWissen,wieKom-
munalpolitikfunktioniertundwer
wieticktinderVerwaltung.“
Musikscheppertherüber,alsPo-
laukedurchdenEingangdesTrepto-
werParks in RichtungSowjetisches
Ehrenmal flaniert.Er lässt denTri-
umphbogenhintersich,ringsumist
esvoll,lautundbuntwieimVergnü-
gungspark. Es ist derTagdes Sieges
gegen den Faschismus,Tausende
Russen sind hier,umzuf eiern. Po-
laukewarauchamVortagda,amTag
der Befreiung. Er nennt es eine
„selbstgesetzte Pflichtveranstal-
tung“. Polauke kommt bis heute je-
desJahr.AmVortagwarallesstill;er
hattedasMahnmalfastfürsich.
DiealtenFeiertage,diegroßeEr-
zählungvomAntifaschismus,alldas
bedeutetihmetwas,undwennman
eine Weile mit ihm unterwegs ist,
merkt man, wie ernst es ihm damit
ist.Polaukesagt:„DiesekleineDDR.
Für was die alles herhalten muss.“
Etwa, wenn es um die Enteignung
großerWohnungskonzernegeht.Da
sagt es sich so einfach:Ja,wollt ihr
denn Verhältnisse wie in der DDR.
Polauke kann das nicht leiden.„Wir
habenhiergelebt,40Jahrelang.“
Wenn er wieder anfängt,vonder
Vergangenheitzureden,sagenman-
che seiner alten Freunde: „Günter,
nunlassgutsein.DaswillkeineSau
mehr hören.“ Er antwortet ihnen
dann: „Nein. Ihrverdrängt eher,
dennihrdenktauchdarübernach.“
IndiesemHerbstsollteeralsZeit-
zeuge auftreten. DieVolkshoch-
schule hatte Vorträge geplantund
eine historische Grenzwanderung
mit Frank Bielka, der zurWendezeit
BürgermeisterinNeuköllnwar.Alles
standschonfest,abernunwurdeal-
lesabgesagt.
CorneliaFlader,Bildungsstadträ-
tininTreptow-Köpenick,CDU,hatte
interveniert.Flader,dieauchinOst-
Berlin aufwuchs,sagt, es wärewie
ein Hohn für die Opfer der DDR,
wennmaneinenwiePolaukeauftre-
ten lässt. „Erwar ein Repräsentant
des damaligenStaates.Wir werden
ihnnichtaufeineBühneheben.“
POLAUKE LÄSST ZURÜCKWEISUN-
GENERSTAUNLICH NAH ANSICH
HERAN.„Soetwashatesniegegeben
inalldenJahren“,sagter.Erhathart
daran zu kauen, wenn jemand sich
weigert, mit ihm zu sprechen. Im
Schattendes Sowjetischen Ehren-
mals hält er inne; die gewaltigen
Kriegerstatuen verzwerg en den
Menschen.Polauke kann nicht an-
ders,als immer wieder mit seiner
Geschichtenachvornzudrängen,in
Vorträgen, Schulen, in denMedien,
auch, weil er dasGefühl hat, etwas
richtigstell enzumüssen.
Erwarderjenige,and emder Be-
trug haften blieb,seine Unterschrift
war auf dem fingiertenWahlproto-
koll.Die,dieinderSEDverantwort-
lich waren, schweigen bis heute.
Egon Krenz, damalsPolitbüro-Mit-
glied und „Vorsitzender derWahl-
komm ission“, wies jüngst in einem
Interview mit dem Spiegel jede
Schuld vonsich, er habevorab„vor
Dummheitengewarnt“.Polaukehat
dasgelesen,ersagt:„Dabinichfast
ausdemSessel gekippt.“
EinigeWochenvorderWahl
fragteihnderKreissekretär:„Bistdu
schon eingewiesen?“Wenig später
wurdeerinsRoteRathauszitiert.Da
drückte man ihm einenZettel mit
ZahlenindieHand.ErginginsRat-
hausTreptowzurück,gabdenZettel
seinemStellvertreterundsagte:„Das
istdas ,waskommensoll.“
Polaukehatdasschonofterzählt,
er wir desn icht leid, dieGeschichte
arbeitetinihm.„ErringtmitdenDin-
gen“,sagtBernwardRechel,Ex-CDU-
Politiker,derzu PolaukesAmtszeitin
der Bezirksversammlung saß. „Er
wirdnicht damit fertig, dass die,die
ihn damals unterDruck gesetzt ha-
ben,bisheutenichtdazustehen.“
In der Stasi-Unterlagenbehörde
gibteseinenHefterzur PersonGün-
ter Polauke.Esi st nicht viel, 85Sei-
ten, Berichte,Protokolle.Polauke
lässt sich am 24.Juni 1967 vonder
Stasiverpflichten.Dawarer18Jahre
altund Grenzsoldat.Währendseines
Studiumswirdere rneutzum Spitzel.
AlsIM„Student“sollerBrieffreund-
schaftennachWestdeutschlandauf-
bauen. Er schreibt GrüßezuO stern
undzu Weihnachten;undvonallem
bekommtdieStasieine Kopie.
Unklarist,obdieAktevollständig
ist und unterwelchen Umstän den
Polauke auch persönlicheInforma-
tionen andererweitergab .Das MfS
beschreibtdenjungenIMals:zuver-
lässig, offen, ehrlich und hilfsbereit.
Sprichtman heute mit Freunden
undWegbegleitern, beschreiben die
ihn als: zuverlässig, offen, ehrlich
undhilfsbereit.Erhatsichnichtver-
ändert, das ist dasIrritierende .Po-
laukeselbersagt:„Ichwolltenieman-
denvernichten.“Aberersagtauch,er
werdenie behaupten, niemandem
geschadet zu haben, denn letztlich
weiß er nicht, ob er nicht doch ein
Bruchstück lieferte,das jemandem
zumVerhängniswurde.
Es gibt in Deutschlandein Recht
aufResozialisierung,selbstfürMör-
der.AberwasistmitPolauke?Alser
vor20JahrenindieSPDeintrat,gab
es noch viele,die gegen seine Auf-
nahme protestierten. Dasist lange
her.Ein SPD-Kommunalpolitiker
aus Treptow-Köpenicksagt, dass er
inderParteijetztnichtmehralskon-
troverse Person gilt. Polauke sei ein
„engagiertes Mitglied“ und „durch-
aus angesehen,auch als Ratgeber.
SeineMeinungwirdgehört.“
AlsBezirksbürgermeisterhatteer
esmitdenProblemendesAlltagszu
tun, ein Gehwegschaden hier,ein
Wohnungsproblem da. Er hat zum
TeilnochdieAdressenimKopf.
VonderStraßehernähertersich
dem ehemaligemWachturm Schle-
sischerBusch,derTurmstehtaufder
GrenzevonKreuzbergundTreptow.
DerBeton ist jetzt bunt vorGraffiti.
Polauke sagt, er sei Sozialist, bis
heute,wennauchein„realistischer“.
Er beschäftigtsich mit Themenwie
soziale Gerechtigkeit und Woh-
nungsnot.Wiepasstdasmitseinem
EinsatzfürFirmenwieTrocklandzu-
sammen?EinemUnternehmen,das
Immobilienzu Renditeobjektenfür
internationale Investoren macht?
Polauke sieht keinen Widerspruch.
Ersagt,erhättesichamCheckpoint
Charlie ein Begegnungszentrum für
Jugendliche aus aller Welt ge-
wünscht.Daswar zwar nie geplant.
AberimmerhinhabeesnuneinKon-
zeptfürdiesenOrtgegeben,sagter:
„Sozialen Wohnraum halte ich an
derStellenichtfürzwingend.“
IneinemBesprechungsraumweit
im Westen der Stadt sitzt Frank
Bielka,71Jahrealt,erkenntPolauke
seit der Wendezeit, er war Bezirks-
bürgermeistervonNeukölln, SPD.
Sietrafensich1990aufderMassan-
tebrücke,die Rudowund Johannis-
thal verbindet, da schüttelten sie
sich die Hände.Bielka sagt, er
merkte ,dass Polauke sich unwohl
fühlte:„Derwolltedasnicht.“Weder
die Öffnung derGrenzenochdie
Bundesrepublik.
Auch be iBielk aging es vonder
Politik in dieImmobilienwirtschaft,
derzeit hat er einenBeraterposten
beimBBUVerbandBerlin-Branden-
burgischerWohnungsunternehmen.
Polaukeundersindengbefreundet,
Bielkaschätztihn,auchwennsiege-
radeindererstenZeitvielgestritten
haben, vorallem über die DDR.
„Wissen Sie, wasmir imponiert?
DassersichseinerGeschichtesoof-
fengestellthat“,sagter.„DieserMut
hatmichbeeindruckt.“
BielkahättebeiderGrenzwande-
rungderVHSdabeiseinsollen,aber
diewurde ja abgesagt. Ihnstörtdas
nicht. „Opaerzählt vomKrieg“,sagt
er ir onisch.„Mir si nd solcheVeran-
staltungeneherlästiginletzterZeit.“
Polauke läuft jetzt alleine ander
ehemaligenGrenzeentlang.Erbiegt
vomGörlit zerParkabinRichtung
Landwehrkanal in einestille Sied-
lung. „Ich werdemichnie verleug-
nen“, sagt er .„Aber derMensch hat
dasRechtaufVeränder ung.“Ersagt,
dieGespräche strengenihnnunan.
ErwürdegernmitderVergangenheit
abschließen, kannsich inzwischen
vorstellen,dassih mdasgelingt.Viel-
leichtjetzt. Oder bald. Spätestens,
wennda sJubiläumsjahrrumist.
Gabriela Kellerschriebim
August 2018 erstmals über
Schmöckwitz und die Insel.
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER
Report
Berliner Zeitung·Nummer 167·Montag, 22. Juli 2019 (^3) ·························································································································································································································································································
JACHTHAFEN SCHMÖCKWITZ
Der Fall:Der Eklat um dieverschwun-
dene Insel im Becken des Schmöckwitzer
Jachthafens ist seit knapp einem Jahr
Dauerthema im BezirkTreptow-Köpenick.
Im August 2018 machte ein Bericht der
Berliner Zeitung publik, dass der Besitzer
Nico Thiele die kleine Insel hatte abbag-
gern lassen, ohne nötigeGenehmigungen
zu beantragen.
Die Begründung:Thielegaban, dass
eine Laube auf der Insel ins Rutschenge-
raten sei,weswegen diegesamte Insel ins
Hafenbecken zu schlitterngedroht habe.
Auch seikeineschützenswerteNatur zer-
störtworde n, da die Inselvorwiegend aus
einergekenterten Schute und Schutt be-
standen habe.
Die Kritiker:Das Umwelt- und Natur-
schutzamt dagegengeht davonaus, dass
Thiele an der Stelle Platz für neue Boots-
stegeschaffenwollte; Fotos zeigen eine
dicht bewachsene Insel mit Schilf, Sträu-
chernund ei nem Baum. Doch auch das
Bezirksamt sahin derA ffäre nicht gut
aus: HinweisevonBürgern auf dierechts-
widrigen Arbeiten waren ignoriertworde n,
in einem Fall leitete das Umweltamt sogar
die Mail eines Bürgers an den Investor
weiter.
Die Nachforschungen:Ein Sonderaus-
schuss soll klären,werwann was wusste
–und weshalb überWochen niemand ein-
schritt. Ergebnissewerden in denkom-
mendenWochen erwartet.
Der Schmöckwitzer Jachthafen –
nun inselfrei. PRIVAT

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