Berliner Zeitung - 22.07.2019

(Brent) #1

Politik


4 ** Berliner Zeitung·Nummer 167·Montag, 22. Juli 2019 ·························································································································································································································································································


NACHRICHTEN


Kassel und Halle bieten


den Rechten die Stirn


Rund10000Menschenhabenin
Kasselam SonnabendeinemAuf-
marschderextremenRechtendie
Stirngeboten.NachAngabenderPo-
lizeigabesvereinzelteFestnahmen
vonTeilnehmernsowohlderDe-
monstrationendes„Bündnissesge-
genRechts“alsauchdesAufzugsder
KleinstparteiDieRechte.Dieser
standimZusammenhangmitdem
Mordandem KasselerRegierungs-
präsidentenWalterLübcke.Auchin
HallebeteiligtensichnachAngaben
derVeranstalterrund3000Men-
schenaneinerDemonstrationgegen
rechts.AnlassfürdieProtesteinder
StadtwareinTreffenderIdentitären
Bewe gung(IB).(AFP,dpa)


EU-Verbot von Mikroplastik


bedrohtKunstrasenplätze


BundesinnenministerHorstSeehofer
(CSU)hatsichfürdieVerschiebung
einerRichtliniederEuropäischen
Union(EU)ausgesprochen,nachder
ab2022dieVerwendungvonGummi-
Granulatnichtmehrerlaubtseinsoll.
Dieseswir dunteranderembeiKunst-
rasenplätzenimFußballverwendet.
„AlsSportministerwerbeichfürei-
nenvernünftigenAusgleichzwischen
Umweltschutzunddenberechtigten
InteressendesSports .VieleTausend
SportanlagenindeutschenKommu-
nenwärensonstvonderSchließung
bedroht“,sagteSeehoferderWeltam
Sonntag.(sid)


Kreuzfahrtschiff nimmt


111 Migranten auf


DasKreuzfahrtschiff„MarellaDisco-
very“hatvordergriechischenHalb-
inselPeloponnes 111 Migrantenauf-
genommen,dieaufdemWegnach
ItalieninSeenotgeratenwaren.Die
Menschen,darunter 33 Minderjäh-
rige,wurdenzumgriechischenHa-
fenKalamatagebracht.Dasteiltedie
griechischeKüstenwacheamSonn-
tagmit.AuswelchenStaatendieIn-
sassenstammen,bliebzunächstun-
klar.(dpa)


Wieder Massenproteste


in Hongkong


Die Demonstranten in Hongkong wollen
eine Untersuchung derPolizeigewalt. DPA


BeineuenMassenprotesteninHong-
konghabenamSonntagwieder
ZehntausendegegendieRegierung
demonstriert.DerProtestmarschwar
begleitetvonmassiven Sicherheits-
vork ehrungen.DieDemonstranten
forderteneinenförmlichenRückzug
desumstrittenenAuslieferungsgeset-
zesundeineunabhängigeUntersu-
chungskommission,diediePolizei-
gewaltbeiZusammenstößenam
RandefrühererDemonstrationenbe-
leuchtensoll.(dpa)


Hooligans greifen inPolen


Gay-Pride-Parade an


DieersteGay-Pride-Paradeinder
polnischenStadtBialystokistvon
Gewaltüberschattetworden.Eine
GruppevonHooligansattackierte
dierund800 TeilnehmerdesMar-
schesamSonnabendmitSteinen,
BöllernundFlaschen,wiediePolizei
mitteilte.Auchdie Beamten,dieden
Umzugabsicherten,wurdendem-
nachangegriffen.(AFP)


Lageam


PersischenGolf


spitztsichzu


Tankerfestgesetzt:Iranund
GroßbritannienimClinch

T


rotz der Sorgevor einer Eskala-
tion hat sich derStreit über die
FestsetzungeinesbritischenTankers
durchdenIranfestgefahren.Teheran
verteidigtedieMaßnahmeamSonn-
abend und heizte dieSpannungen
damit weiter an. Großbritannien
kündigtenacheinemTreffendesKri-
senstabs zwar an, die Regierung
wolle die Spannungenentschärfen.
GleichwohlprüfteLondonnachAn-
gaben des Verteidigungsministeri-
umseine„ReihevonOptionen“.US-
PräsidentDonaldTrump will sich
eng mit Großbritannienabstimmen
und schickt zur Abschreckung Sol-
datennachSaudi-Arabien.
Bundesaußenminister Heiko
Maas (SPD) warnte eindringlich vor
einer Eskalation.„Es geht darum,
Krieg zu verhindern“, sagte er der
BildamSonntag.MaasriefdenIran
zumEinlenkenauf:„GeradeinTehe-
ranmuss man jetzt seiner Verant-
wortung gerecht werden und nicht
weiteranderEskalationsspiraledre-
hen.“
Ungeachtet heftiger internatio-
naler Kritik an der Festsetzungder
„StenaImpero“inderMeerengevon
Hormus blieb der Iran auf Konfron-
tationskurs.AußenministerMoham-
med DschawadSarifverteidigte die
MaßnahmealsrechtmäßigeAnwen-
dunginternationalenSeerechts.Die
iranischenBehörden machtendie
Freigabe am Sonntag vonder „Ko-
operation“ der 23-köpfigenBesat-
zungabhängig.Wichtigseidabeider
ZugangzudenzurKlärung„notwen-
digenBeweisen“,erklärtederChef
derHafen-undSchifffahrtsbehörde

der iranischenProvinz Hormosgan,
Allah-MoradAfifipoor.DerIranwirft
dem britischenTanker vor, in der
StraßevonHormusmiteinemirani-
schen Fischkutter zusammengesto-
ßen zu sein und gegen „internatio-
nale Schifffahrtsregeln“ verstoßen
zuhaben.
Möglicher Ausgangspunkt der
jüngstenEskalationdesKonfliktsist
der4. Juli,alsindenGewässernder
britischenExklaveGibraltar der un-
ter derFlagge Panamas fahrende
Supertanker „Grace 1“ mit Öl aus
dem Iran an dieKette gelegt wurde.
DerVorwurf: vonder EU untersagte
LieferungenanSyrien.DasFahrver-
botgiltderzeitbiszum20.August.
Großbritanniens Außenminister
Jeremy Hunt warnteTeheran davor,
einen„gefährlichen Pfadvonillega-
lem und destabilisierendemVerhal-
ten“einzuschlagen.Erkündigteeine
„wohlbedachte,aberrobuste“Reak-
tion an. EinmilitärischesEingreifen
schlosserzunächstaus.Großbritan-
nien riet britischenHandelsschiffen
vorerst davon ab,die besonders für
den weltweiten Ölhandel wichtige
Seestraße zu passieren.Zudem be-
stellte die britischeRegierung Irans
Geschäftsträger in London ein.Der
KrisenstabderRegierunginLondon
kam zu Beratungen zusammen.
Diese hätten „den britischen
Wunsch nachDeeskalation“ bestä-
tigt, erklärte Hunt auf Twitter.Er
kündigte an, das Parlament am
Montag über „zusätzlicheMaßnah-
men“,diedasLandergreife,zui nfor-
mieren.(AFP,dpa)

Die „Stena Impero“ soll mit einem irani-
schenFischkutterkollidiertsein. DPA

AlterÄrger,neuerÄrger


VerteidigungsministerinKramp-KarrenbauerwillmehrGeldfürRüstung.DieSPDlehntdasab


VonAndreas Niesmann

I

nder großenKoalition gibt es
neuenStreitüberdieHöheder
Militärausgaben. Derkom-
missarischeSPD-Chef,Thors-
tenSchäfer-Gümbel,hateinenVor-
stoßvonCDU-ChefinundBundes-
verteidigungsministerin Annegret
Kramp-Karrenbauer zurückgewie-
sen, mehrGeld für Rüstung auszu-
geben.„Dawaren wir in derKoali-
tion und der Bundesregierung
schon malweiter“, sagte Schäfer-
Gümbel derBerliner Zeitung (Re-
daktionsnetzwerkDeutsch-
land/RND).
DieFragedes Haushaltsundder
mittelfristigenFinanzplanungseien
geklärt. Dasgelte auch für den er-
höhtenEtatder Bundeswehr.„Dem
hat die Union zugestimmt“, so der
SPD-Chef.
Schäfer-GümbelforderteKramp-
Karrenbauer auf, erst einmal ihren
Jobzum achen.„Die neueVerteidi-
gungsministerin muss nun dafür
sorgen, dass dieBundeswehr opti-
mal aufgestellt wird.Dazu gehört
eine funktionierende Ausrüstung,
dieAufklärungderBerateraffär eund
die Beschaffungsprobleme in den
Griffzubekommen“,sagteer.„Dazu
gehörtnicht,eineAufrüstungspolitik
nach den WünschenvonDonald
Trumpzubetreiben.“

Kramp-Karrenbauer hatte eine
deutlicheSteigerung der deutschen
Rüstungsausgaben gefordert. Die
Bundesrepublik habe dem Nato-
Ziel,die Militärausgabenbis2024in
Richtung zweiProz ent zu erhöhen,
eine „klareZusage gegeben“, hatte
die CDU-Vorsitzende derFrankfur-
terAllgemeinenSonntagszeitungge-
sagt. Es sei klar,dass man denWeg
dorthinauchwirklichgehenmüsse.
Auch Kanzlerin Angela Merkel
(CDU)hattesichzueinerErhöhung
derVerteidigungsausgabenbekannt,
aber keine Größenordnungen ge-
nannt.
DasThema Verteidigungsetat
sorgt seitBeginn derKoalition im-
mer wieder für Ärger zwischen
Union und SPD.Vor allem in der

Frage,wie Deutschland mit dem
Zwei-Proze nt-Ziel derNato umge-
hensoll,istdieBundesregierungge-
spalten.
Deutschlandhattesich2014beim
Nato-GipfelinWalesgemeinsammit
den anderenVerbündeten dazu be-
kannt, dass sich dieVerteidigungs-
ausgaben bis 2024 in Richtung zwei
Proz entdes Bruttoinlandsproduktes
bewegen sollen.Dies würdeMehr-
ausgaben in zweistelliger Milliar-
denhöhe bedeuten.DieUnion will
dasZielerreichen,ausSPD-Sichtge-
nügenSchritteindieRichtung.
Für das Jahr 2020 haben sich die
Koalitionärenach langemStreit auf
VerteidigungsausgabeninHöhevon
44,9 MilliardenEuro geeinigt.Das
entsprächenachderzeitigerBerech-

nung einerQuote von1,37 Proz ent
der Wirtschaftsleistung und wäre
eineSteigerungum0,2Proz ent.Laut
MittelfristplanungvonFinanzminis-
terOlafScholz(SPD)wirddieQuote
in den Folgejahren aber wieder ab-
sinken. Dies sorgt für Ärger insbe-
sondereimVerhältnis zu den USA.
US-Präsident DonaldTrump drängt
Deutschlandseitlangem,denVertei-
digungsetataufzustocken.
InderUniongibtesfürdieseHal-
tung Verständnis.Dad ie Parteiche-
finderCDUnundasVerteidigungs-
ministerium übernommen hat,
dürfte das letzteWort in der Sache
nochnichtgesprochensein.
Kramp-Karrenbauersicherteder
Bundeswehr am Sonnabend ihre
volle Unterstützung zu. Beidem
Festakt zum 75.Jahrestag des ge-
scheitertenAttentats aufAdolf Hit-
ler sagte die neueMinisterin, sie
wisse,Deutschland könne sich auf
die Soldaten verlassen. „Und ich
sage Ihnen: Siekönnen sich auf
michverlassen!“Merkelerklärtebei
demGelöbnis,manhabedieVertei-
digungsausgaben bereits gesteigert
undwerdediesnochweitertun. Das
schulde man denSoldatinnen und
SoldatenundauchdenPartnernin
den Vereinten Nationen, derNato
undderEU.„Unddasmussunsder
Einsatz fürFrieden undSicherheit
auchwertsein.“

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte beim Gelöbnis junger Rekruten im Berliner Bendler-Block: „Sie können sich auf mich verlassen.“ GETTY

DIENST IN DER BUNDESWEHR

43 775


Bewerber für die Bundeswehr
hat der MilitärischeAbschirm-
dienst zwischenJuli 2017 und
Juni2019 kontrolliert.

63
Bewerber wurdenvomMilitä-
rischen Abschirmdienstwe-
genSicherheitsbedenken
abgewiesen.

18


Rechtsextremen, drei Reichs-
bürgern, zwölf Islamisten,zwei
Linksextremen wurde der Bun-
deswehrdienstverwehrt.

SelenskyjsSieg


AusderukrainischenParlamentswahlgehenderPräsidentundseineParteigestärkthervor


VonStefan Scholl

D


erPräsidentschrittimkragenlo-
senhellblauenHemdzur Wahl-
kabine,flankiertvon Leibwächtern.
Undschon mit einemRegierungs-
chef imKopf. Nach seinemUrnen-
gang bei der Parlamentswahl am
Sonntag erklärteWolodymyrSelens-
kyj vorJournalisten, der neuePre-
mierministermüsseeinprofessionel-
lerWirtschaftsexpertesein.„Ichhätte
sehr ger neinen absolut unabhängi-
gen Menschen, der niePremiermi-
nister,ParlamentssprecheroderFüh-
rerirgendeinerParteigewesenist.“
Nachdem WahlgangkannsichSe-
lenskyj alsSieger fühlen.Nach Aus-
zählungvoneinemProz entderabge-
gebenenStimmengewinntseinePar-
tei „Diener desVolkes“ 38,4Proz ent
derStimmenundliegtdamitdeutlich
vorderPartei„Vaterland“vonJuliaTi-
moschenkomit11,2Proz entundder
„EuropäischenSolidarität“ desvor-
herigen Präsidenten PetroPoro-
schenkomit8,9Proz ent.Esfolgendie
prorussische „Oppositionsplattform
–FürdasLeben“mit8,2Proz ent,die
„RadikalePartei Oleg Ljaschkos“ mit
7,9 Proz ent und die liberalePartei

„Stimme“desPopsängersSwjatoslaw
Wakartschukmit6,1Proz ent.
Damit überwinden nur der 65
kandidierendenParteien die Fünf-
prozenthürde.Allerdings widerspre-
chen dieseErgebnissen dem„Natio-
nalen Exit Poll“, drei führenderMei-
nungsforschungsinstitute.Der sieht
„DienerdesVolkes“mit44,2Proz ent
vorne, gefolgt vonder Oppositions-
plattformmit11,4 Proz ent.Ljaschkos
„RadikalePartei“scheitertdanachan
derFünfprozenthürde.

weitereStimmauszählung genau
überwachen, umWahlfälschungen
zuverhindern.
DieWahl verlief meistenortsru-
hig,die Wahlbeteiligunglagnachei-
ner erstenHochrechnung derZen-
tralen Wahlkommissionbei49,9Pro-
zent.Bis17U hrregistriertediePoli-
zei1614 Wahlverstöße.Ind er
westukrainischen Region Wolyn
wurden in 96 Wahllokalen die
Stimmzettelknapp,ind erDonbass-
FrontstadtTorezk aber gab es fal-
schen Bombenalarminallen 14
Wahllokalen. Solche Zwischenfälle
haben beiWahlen in derUkraine
schoneinegewisseTradition.
BeiRedaktionsschluss war noch
nicht sicher,ob„Diener desVolkes“
dieabsoluteMehrheitimParlament
gewinnt. Selenskyj aber erklärte
schonkurznachderSchließungder
Wahllokale,seine Partei lade Swja-
toslaw Wakartschuks „Stimme“ zu
Koalitionsgesprächen ein. Wakart-
schuk sagte seinerseits,erw erde
gerne Premierminister.Bleibt abzu-
warten, obSieger Selenskyj,gelern-
terTV-Komiker,den PopsängerWa-
kartschuk als professionellenWirt-
schaftsexpertenakzeptierenwird.

DieParteienkonkurrierenum
Listenplatzmandate.199 weitere
Sitzewerden inDirektmandatkrei-
sen verteilt, die zumTeil heftig um-
kämpft sind.Nach einemExitpoll
des TV-Senders 1+1 gewinnenSe-
lenskyjsKandidaten in elf der 13
Hauptstadtwahlkreise.InDnjepr
und Saporoschjezeichnete sich das
gleiche Bild ab .Und Selenskyjs
Wahlkampfstab in Kiew bean-
spruchte denSieg in allen 13Wahl-
kreisen,kündigtean,manwerdedie

Ukraines Mann der Stunde: PräsidentWolodymyr Selenskyj DPA/EVGENIY MALOLETKA
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