Berliner Zeitung - 22.07.2019

(Brent) #1
Berliner Zeitung·Nummer 167·Montag, 22. Juli 2019–Seite 9*
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Berlin


U-Bahn-Surfer:NeuesVideozeigtverstörendeAktionenSeite


GörlitzerPark:ImbisswagensollengegenDealerhelfenSeite


NACHRICHTEN


Randalierer stoppt
historische U-Bahn-Fahrt

EinRandaliererhatamSonntageine
ScheibeauseinemhistorischenZug
derLinieU5herausgetreten.Darauf-
hinwurdendieSonderfahrtenun-
terbrochen,teiltedieBVGmit.Ein
historischerZugvomzuDDR-Zeiten
üblichenTypEIIIwaramSonntag
zwischendenBahnhöfenBiesdorf
SüdundHönowgefahren.Anlass
warlaut BVGein„kleinesJubiläum“.
Am16. Juli1994 verkehrtenzumletz-
tenMalzweiZügedieserBauartzwi-
schenAlexanderplatzundHönow.
Vor30J ahrenwarderletzteundöst-
lichsteStreckenab schnittderheuti-
genU5zwischenElster werdaerPlatz
undHönoweröffnetworden.(dpa)

Langjähriger SED-Vize
Helmut Müller gestorben

WenigeWochennachseinem89.Ge-
burtstagistHelmutMüller–von
1971bis Ende1989 Vizevo rsitzender
derBerlinerSED–ine inemRüders-
dorferKrankenhausgestorben.Das
teiltederzurEulenspiegel-Gruppe
gehörendeVerlagEditionOstmit.
Müller,dersichkurznachdemMau-
erfallindenRuhestandzurückgezo-
genhatte,starbdemnachamFrei-
tag.NachVerlagsangabenwarMül-
lernachdemEndederDDRalsAutor
aktiv.DasLandgerichtBerlinhatte
Müller,derauch MitglieddesSED-
Zentralkomiteeswar,1993wegen
AnstiftungzurWahlfälschungzuei-
nemJahrFreiheitsstrafeaufBewäh-
rungverurt eilt.(dpa)

E-Scooter nicht erlaubt
auf demTempelhoferFeld

Elektro-T retrollersindaufdemTem-
pelhoferFeldnichtgestattet.Darauf
hatder Betreiber GrünBerlinGmbH
hingewiesen.DasGesetzzumErhalt
desTempelhoferFeldesverbiete
KraftfahrzeugeaufdemGelände.
EndgültigmussdieseAnsageaber
nichtsein:Manwollesichmitder
zuständigenSenatsverwaltungfür
Verkehrabstimmen,umzuklären,
obfürE-TretrollereineAusnahme
vondemVerbotfürKraftfahrzeuge
aufdemTempelhoferFeldgefunden
werdenkönne.(dpa)

Kurzzeitig Ausnahmezustand
wegen Gewitters

Wegenstarker GewitteristdieFeuer-
wehramspätenSonnabendzu
56Einsätzenausgerückt.Esseienei-
nigeBäumeumgestürzt,berichtete
einSprecheram Sonntag.Vereinzelt
lagenAbsperrungenundTeilevon
BaustellenaufderStraße.Ab22U hr
gingendenAngabenzufolgever-
mehrtNotrufebeiderFeuerwehrein,
woraufhindieseehervorsorglichden
Ausnahmezustandausrief.(dpa)

Blitze während eines Gewittersunweit
des Allianz-Hochhauses DPA

BerlinziehtimmermehrMillionärean


DieZahlderSuperreichenstiegseit2016um53Prozent.Steuerprüferschauenbeiihnennurseltenvorbei


VonAnnika Leister

A

rm,aber sexy? FürBerlins
Bevölkerungkönntedieser
Slogan bald passé sein.
Denndie Zahlder Reichen
inder Hauptstadtsteigt–ind enver-
gangenendreiJahrenum53Proz ent.
749 Einkommensmillionäredoku-
mentierte die Finanzverwaltung
zumStichtag1.Januar2019.Beider
letztenErhebungimJahr2016waren
es noch 489.Dasgeht aus der Ant-
wortder Senatsverwaltung fürFi-
nanzenaufeineAnfragedesLinken-
AbgeordnetenSebastian Schlüssel-
burghervor,dieder BerlinerZeitung
exklusivvorliegt.
Offenbleibt,obdieneuenMillio-
närezugezogen oder inBerlin reich
geworden sind. Klar aber ist:Siesu-
chen ihrenWohnsitz in den klassi-
schenVillengegenden–und immer
häufiger auch in einemBezirk, der
eigentlicheineHochburgderlinken,
alternativenundkreativenSzeneist:
Friedrichshain-Kreuzberg. In drei
JahrenistdieZahlder Einkommens-
millionäredortvonelfauf51gestie-
gen–dasbedeuteteinenAnstiegvon
364Proz entunddamitdenhöchsten
Aufwuchs in Berlin. In absoluten
Zahlen schafft es Friedrichshain-
Kreuzbergsov ondenbisherletzten
RängenaufPlatzfünfderbeliebtes-
tenBerlinerBezirkeunterReichen.
DievorderenPlätzebelegen die-
selben Stadtteile wie bereits 2016.
Auch bei ihnen ist dieZahl der Rei-
chenzumTeilstar kangestiegen:Auf
PlatzeinskommtZehlendorfmit
Einkommensmillionären (im Ver-
gleich zu 2016 einPlus von53Pro-
zent), gefolgtvonWilmersdorfmit
106 (Plusvon33P roze nt), Charlot-
tenburgmit 103 (Plusvon63P ro-
zent)und Mittemit75Einkommens-
millionären(Plusvon27P roze nt).
Als Einkommensmillionär gilt,
werEinkünfteausnichtselbstständi-
gerTätigkeit,Kapitalvermögen,Ver-
mietung oderVerpachtung hat, die
im Laufe eines Kalenderjahres
500000 Euro überstei gen. DieDefi-

nition stammt noch aus D-Mark-
Zeiten und wurde trotz derEuro-
Einführungbeibehalten.
Mankannin BerlinalsogutGeld
verdienen –und muss zugleichwe-
nig Sorgen haben, dass dasFinanz-
amtandieTürklopft.Dennobwohl
die Zahl der Reichen in derStadt
starkgestiegenist,sankdieZahlder
bei ihnen durchgeführtenSteuer-
prüfungen zuletzt wieder:Wurden
2017bei67Außenprüfungenzumin-
dest 14Proz ent derEinkommens-
millionäregeprüft, führten dieFi-
nanzämter2018insgesamtnurnoch
51 Außenprüfungen durch–und
kontrollierten damit nurzehn Pro-
zent der Menschen an derEinkom-

mensspitze. Wurden in Friedrichs-
hain-Kreuzberg2017 noch vierAu-
ßenprüfungenvorg enommen, gab
es2018keineeinzigeimBezirk.
DenLinken ist das zu wenig.
„Zwar stehtBerlin mit einerPrüf-
quotevonzehnProz entbesserdaals
andereBundesländer“, sagtSebas-
tianSchlüsselburg,rechtspolitischer
Sprecher der Linken, derBerliner
Zeitung. „Dennoch entgehen uns
Jahrfür JahrmehrereMillionenEuro
anSteuereinnahmen.“VordemHin-
tergrund des Anstiegs bei denEin-
kommensmillionären plädiert
Schlüsselburgdafür,die „Prüfquote
wieder deutlich zu erhöhen“.Der
jetzigeZustandbedeuteeineerheb-

liche Ungerechtigkeit jenen gegen-
über,denen dieSteuer Monat für
Monat „aufHeller und Pfennig“ di-
rektvomLohnabgezogenwürde.
Wassichder FiskusdurchNicht-
Prüfung der Einkommensmillio-
näreentgehen lässt, hat derBun-
desrechnungshof errechnet: Er
gehtvondurchschnittlichenMehr-
einnahmenvon135000 Euroaus–
produrchgeführterPrüfung.Einen
besonders krassenErfolg verbuch-
ten die Berliner Prüfer 2018 im
PrenzlauerBerg :BeinurelfPrüfun-
gen in dem PankowerStadtteil
konnten sieNachforderungenvon
insgesamt21,4MillionenEuroein-
treiben.

BLZ/HECHER; QUELLE: AGH

Steuerpflichtigemit besonderen Einkünften
(über 500 000 Euro),
Anzahl nach FinanzämterninB erlin,2019;
in Klammern:Veränderung zu 2016

Insgesamt in Berlin 2019
(inklusiveKörperschaften):
749 (+ 53 %)

*keine konkrete Zahlvon2016 vorhanden

Pankow-
Weissensee

Marzahn-
Hellersdorf

PrenzlauerBerg


Lichtenberg


Friedrichshain-
Kreuzberg

Mitte-Tiergarten


Wedding
Reinickendorf

Spandau


Zehlendorf


Wilmersdorf


Charlottenburg


103
(+63 %)

106
(+33 %)

174
(+53 %)

44
(+47 %)
8
(–11 %)

26
(+136 %)

17
(+55 %)

75
(+27 %)

51
(+364 %)

5
(0 %)

35
(+52 %)

24
(+14%)

<
(-)

11
(-)*

11
(+22%)
10
(+67%)

Steglitz Treptow-Köpenick


Neukölln


Schöneberg Tempelhof


6
(-)*

„Rentner und normale Arbeitnehmer


werden jährlich überprüft,


Einkommensmillionärekönnen


ihreAngaben mehroder weniger


nach Gutdünken machen.


Dasmuss sich ändern.“


Dieter Ondracek,Deutsche Steuergewerkschaft

Warumsichder Fiskusdie Gelder
entgehen lässt? „Weil bundesweit
dasPersonalfehlt“,sagtDieterOnd-
racek vonder DeutschenSteuerge-
werk schaft, derInteressenvertre-
tungfürdasPersonalderSteuerver-
waltungen,derBerlinerZeitung.
DashatdramatischeFolgen:Laut
Bundesfinanzministerium ging die
Zahlder BetriebsprüfungenbeiEin-
kommensmillionären deutschland-
weitvon1838im Jahr2010auf 1170
imJahr2017zurück–eindeutliches
Minusvon36P roze nt.Fastimselben
Umfang (34 Proz ent) sanken die
durch Prüfungen erzieltenSteuer-
mehreinnahmen–von 404 Millio-
nen Euro 2010 auf 266Millionen

Euro2017.Steuerprüferwarnenmit
BlickaufdieseZahlenseitJahrenda-
vor,dassDeutsc hlandzueinerSteu-
eroasefürWohlhabendeverkommt.
AuchdieDeutsc heSteuergewerk-
schaftplädiertfüreineregelmäßige
Prüfung der Einkommensmillio-
näre. Beinormalen Arbeitnehmern
undRentnernwürdendie Steueran-
gaben jährlich geprüft, dieEinkom-
mensmillionäreaber könnten ihre
Papieremehr oder weniger „nach
Gutdünken“ ausfüllen, soOndracek
–undsichinSicherhe itwähnen,da
sieoftgarnichtkontrolliertwürden.
„Aus Steuergerechtigkeitsgründen
müsste es auch bei denEinkom-
mensmillionären eineregelmäßige
Prüfung geben“, so Ondracek. Er
empfiehlt alsTurnus ei ne Prüfung
alledrei Jahre.Wenndas Personalgar
zu knapp sei, zumindest alle fünf
Jahre.„Undwenndabeinur
raussp ringen–dasist Geld,dasdem
Fiskus gehörtundnichtdemjenigen,
derfalscheAngabenmacht.“
DieBerliner Linke will dasProb-
lem bundesweit angehen und wird
mitden KoalitionspartnernSPDund
Grünen gleich nach der Sommer-
pause imAbgeordnetenhaus einen
AntragaufStarteinerBundesratsini-
tiativeeinbringen.Zielistdie Einfüh-
rung eines „Mindestprüfungsinter-
valls“für Steuerpflichtigemitbeson-
deren EinkünfteninderaufBundes-
ebene geregeltenAbgabenordnung.
ImAntragheißtes:„Alsangemessen
giltein IntervallvondreiJahren.“
Fraglich ist, ob die anderenBun-
desländermitziehenwerden.Sebas-
tian Schlüsselburgsagt, er hoffe,
dass nicht nur dierot-rot-grünen
Länder denGesetzentwurfmittra-
gen,„SteuergerechtigkeitundInves-
titi onen in Schulen, Krankenhäuser
unddensozialenWohnungsbauge-
henschließlichunsallean“.

Annika Leister
hat noch eineWocheZeit
für ihre Steuererklärung.

Schätzefür


kleinesGeld


E


twasNeuesauszuprobieren,ist
immereineguteIdee.AmSonn-
abendhabeichmichzumerstenMal
hintereinenFlohmarkttischgesetzt.
EineFreundinhatteallesorganisiert,
sonst hätte ich den Schritt nie ge-
wagt.Dochsogingesvonselbstund
ab 9.30Uhrblickten wir gespannt
hinterunseremTischam Marheine-
keplatz in dieWelt. Voruns einst
Nützliches und jetzt für uns Über-
flüssiges: Kleidung, Schuhe,Ge-
schirr,einpaarBücher,Malsachen.
Bevo rdie letzteKaffeetasse aus-
gepacktwar,kamenschondieersten
Käufer:ältereMänner,offenbarver-
sierteHändler,diesichaufdierecht
alte Gitarremeiner Freundin stürz-
ten.Sieverkauftesiefür20Euro,ein
Preis,den ihr einMusikhändler ge-
nannthatte.DerMann,derdenZu-
schlag erhielt, zogzufrieden ab.
Nach den Profis kam die zweite
GardeSchnäppchenjäger:Siegriffen
sich meine fast neuenTurnschuhe
unddieLederhandtasche.Obs iesie
wirklich selbst benutzen würden,
schienmirzweifelhaft.
UmzehnUhrbegannderVerkauf
offiziell.TürkischeEhepaaresuchten
nachgünstigerKleidung,meinealte
Schultertasche wechselte gemein-
sam mit einemPaar Sandalen den
Haushalt. Jetzt kamen die,die wirk-
lichetwasbrauchten.Fürdieeseine
große Hilfe ist, dassDinge auf dem
Flohmarktwesentlichweniger kos-
ten,alsonicht20,sondernzweiEuro,
nicht50,sondernfünfEuro.


SehnsuchtinderLuft

AbhalbzwölfschlendertedieGruppe
Besucher vorbei, zu denen meine
Freundinundichwohlselbstzählen
würden:Menschen, die nach einem
späten Frühstück auf eine Überra-
schung hofften; die gernetwas fän-
den,vondemsieanschließendsagen
könnten: „Schau, ich habe auf dem
Marheineke-Flohmarktdiesentollen
Rucksackfür1,50Eurogekauft.“
Später kam ein junges Mädchen
mit einerUkulele zumStand. Bevor
sie weiterging, fragte ich sie,obs ie
das Instrument auf demMarktge-
kauft habe.Sie schüttelte denKopf,
nein, sie seiMusikerin. Diejunge
FrausprachEnglisch,undichbatsie,
etwas für uns zu singen.Sielegte
gleich mit einer südamerikanischen
Ballade in undefinierbarerSprache
los.IhreStimme warrauund weich
zugleich, derFlohmarkt eine dank-
bareKulisse.Alle Passanten blieben
stehen,undauchdieHändlerkamen
näher.Sehnsucht und ganz viel
LiebewehtendurchdieLuft.Wares
das,wonachallesuchten?
DerTag verg ing wie imFlug.Wir
waren guteVerkäuferinnen, obwohl
meine marktschreierischeStrategie
ganz und gar nicht zu der meiner
Freundin passte.Soe rgänzten wir
uns vielleicht gerade.Wir hörten, es
seien viele Touristen unterwegs,
doch sie fielen nicht auf. Kreuzberg
war voller Exoten, die mitVollbart
und Stöckelschuhen shoppen gin-
gen.Gekauftwurdeab15Uhrkaum
noch etwas.Man wollte nichts su-
chen,manwolltegefundenwerden.
Um 16 Uhrpackten wir zusammen
und gaben unsereEinkünfte in der
nächstenPizzeriaaus–ume inigeEr-
kenntnisse und einen wunderbaren
Tagreicher.


Stadtbild


MechthildHennekeent-
decktdenMarheinekeplatz
auseinerneuenPerspektive.

Keine Chance
Aufkleber für
:Berlin
testetneue Schilder

Seite 11
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