Frankfurter Allgemeine Woche - 19.07.2019

(nextflipdebug5) #1

E


skommt nicht häufig vor, dass ein Pio-
nier von seiner Entdeckung im Alter
nicht mehr so recht überzeugt ist. Die
Zweifel von Thomas Crocker aber wurden mit zu-
nehmendem Abstand zu den sechziger Jahren, als
er den Handel mit Emissionszertifikaten theore-
tisch begründete, immer größer. Inspiriert vom spä-
teren Nobelpreisträger Ronald Coas war Crocker
damals überzeugt, dass sich Umweltprobleme mit
handelbaren Nutzungsrechten am effizientesten lö-
sen ließen. Der Staat brauche nichts weiter zu tun,
als eine Gesamtmenge an Zertifikaten zu bestim-
men. Den Rest regele dann der Markt über den
Preis. Das galt damals als richtungsweisende Ab-
kehr von der Lehrmeinung, dass einzig eine Steuer
Umweltsünder davon abhält, zum Nulltarif Schad-
stoffe in die Luft zu blasen.
Heute hat der Emissionshandel längst den
Weg von der Theorie in die Praxis gefunden. In Neu-
seeland etwa, aber auch in Europa müssen Industrie-
betriebe und Kraftwerksbetreiber seit 2005 für jede
ausgestoßene Tonne des Treibhausgases CO 2 ein Zer-
tifikat vorweisen. Die Gesamtmenge sinkt von Jahr
zu Jahr. 45 Prozent der EU-weiten Emissionen wer-

den damit abgedeckt. Das System gilt als erfolg-
reich. Zumindest ist die Minderung des CO 2 -Aussto-
ßes in Energiewirtschaft und Industrie anders als in
den übrigen Sektoren wie Verkehr und Gebäude ge-
lungen. Mehr denn je kam in der Klimadebatte des-
halb die Frage auf, warum nicht einfach den Emissi-
onshandel ausweiten – am besten sogar weltweit.
Crocker dagegen sieht mit einigem Abstand
wesentliche Annahmen der coaseschen Lehre ver-
letzt. Allen voran mit den Eigentumsrechten sei es
in vielen Staaten der Welt so eine Sache. Für regio-
nale Umweltprobleme vor Ort mag sein Modell gut
geeignet sein. Für ein globales Phänomen wie den
Klimawandel sei aber vielleicht doch eine Steuer
auf CO 2 besser: Ein paar Cent mehr je Liter Heizöl,
und schon rechnet sich die elektrische Wärmepum-
pe auf mittlere Frist im Vergleich zur Ölheizung.
Allein ist der Ökonom mit seiner Ansicht
nicht. Seit Wochen tobt ein Richtungsstreit über
die Neuordnung der deutschen Klimapolitik. Und
eine neue Steuer auf fossile Heiz- und Brennstoffe
findet allseits die meisten Befürworter – von Um-
weltschützern bis zu Wirtschaftsverbänden wie
dem BDI. Nichts ginge schneller als eine Steuer ein-
zuführen; mit fairer Rückausschüttung der Einnah-
men an den Bürger, wohlgemerkt.

Richtige Höhe ungewiss
Verfechter des Handels mit Emissionsrechten wa-
ren dagegen lange in der Defensive. Stets müssen
sie sich die Frage anhören, wie der schwankende
Marktpreis für Zertifikate Unternehmen eigentlich
langfristig verlässlich zu Investitionen in klima-
freundliche Technologien animieren soll – von der
Anwendung des Systems auf Autofahrer und Hei-
zungsbesitzer ganz zu schweigen. Sollen sie etwa
Zertifikate kaufen müssen?
Doch das jüngste Gutachten der „Wirtschafts-
weisen“, der wichtigsten ökonomischen Berater der
Bundesregierung, hat das Lager der Steuer-Sympa-
thisanten nicht gerade gestärkt. Ja, als Übergangslö-
sung ginge das, schreiben die fünf Ökonomen. Spä-
testens im Jahr 2030 verspreche aber ein EU-weiter,
alles umfassender Emissionshandel die größte Effi-
zienz – schon deshalb, da niemand die richtige
Höhe der Steuer präzise bestimmen könne.
Auf dem Weg dahin ließe sich alternativ zur
Steuer ein separates System für die übrigen Sektoren
einrichten, bei dem Importeure von Öl und Gas
Emissionsrechte erwerben und den Preis an den Ver-
braucher weitergeben; auch hier, indem die Erlöse
aus der Zertifikateversteigerung an die Bevölkerung
zurückgegeben werden. Die Bundesregierung steht
damit am Scheideweg. Sie will den CO 2 -Ausstoß per
Bepreisung eindämmen. Wie das am besten gelin-
gen soll, gleicht indes einer Glaubensfrage.

NiklasZáboji


CO 2 -Abgabe oder Zertifikatehandel?
Der Streit über die Klimapolitik geht in
die heiße Phase.

Steuern mit

Steuern?

Wirtschaft


Albtraum der
Klimaaktivisten:
Braunkohlekraft-
werk nahe Köln

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FRANKFURTERALLGEMEINE WOCHE 30/2019

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