Frankfurter Allgemeine Woche - 19.07.2019

(nextflipdebug5) #1
Es gibt Gebäude, an denen endlos lang und mit explo-
dierenden Kosten herumgebaut wird, und am Ende
sind sie doch nichts Richtiges – wie die neue BND-Zen-
trale in Berlin und wahrscheinlich auch der schon jetzt
zu kleine Großflughafen BER. Und es gibt Projekte mit
Happy End. Zu ihnen gehört die James-Simon-Gale-
rie, der neue Eingangsbau der Berliner
Museumsinsel. „Die teuerste Garderobe
Berlins“ nennt sie der Volksmund. Und
die schönste, muss man ergänzen. Dafür
ist weder der Bund als Bauherr noch die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Auf-
traggeber verantwortlich. Es ist allein das
Verdienst des Architekten David Chip-
perfield und seines Teilhabers Alexander
Schwarz. Dabei hatten es beide nicht
leicht mit dem Auftrag, weder im techni-
schen noch im architektonischen Sinn.
„So nicht, Mr. Chipperfield!“ war der Ar-
tikel überschrieben, mit dem die F.A.Z.
2006 den ersten Entwurf für die Galerie
verwarf. Dann erwies sich der Baugrund
als noch breiiger als befürchtet; die Tief-
baufirma ging pleite, die Kosten stiegen
von gut siebzig auf 134 Millionen Euro,
die Eröffnung wurde um drei, dann um
weitere zwei Jahre verschoben.
Dass nach all den Querelen jetzt
eine schlanke, weithin leuchtende Pfeiler-
halle sich über dem Kupfergraben er-
hebt, dass eine breite Freitreppe wie eine
Himmelsleiter in die Kassenhalle und auf die Terrasse
desGebäudes führt, das all die profanen Aufgaben, de-
nen es dient, geschickt hinter seinen weißen Mauern
verbirgt – dass die Besucher also, statt sich wie bisher
irgendwie zu den Museen durchzuschlagen, im gro-
ßen Stil auf der Museumsinsel willkommen geheißen
werden: das alles ist Grund genug, sich über den glück-
lichen Ausgang des Projekts zu freuen. Und über die
Hommage an James Simon, den großen jüdisch-deut-
schen Sammler und Mäzen, sowieso.

Pessimist


Die Chinesen machen es vor. Sie bauen die Neue Sei-
denstraße, die von Asien über Afrika oder Russland
bis nach Europa reicht und hierzulande in Hamburg
und Duisburg endet. Als jüngste Anlaufpunkte haben
sich die Brückenbauer aus dem Reich der Mitte die Ka-
ribik auserkoren. Sie schaffen Seeverbindungen, bau-
en Eisenbahnstrecken und Straßen rund
um den Globus. Sie schaffen Wandel
durch Handel, den sie, das ist ihr neues-
ter Clou, auch militärisch absichern wol-
len. So sieht Kolonialismus im 21. Jahr-
hundert aus. China ist auf der Überhol-
spur. Hierzulande wäre man schon froh,
käme man problemlos von einem Bun-
desland zum anderen oder wenigstens
über den nächsten Fluss. Bei rund
140 000 Brücken insgesamt, davon
39 000 an Bundesfernstraßen, sollte das
kein Problem sein, denkt man.
Nur befindet sich jede zweite Brü-
cke in mäßigem Zustand, ein Achtel der
Brücken an Fernstraßen bekommt die
Note „ungenügend“. Deutschlands größ-
ten Strom zu überqueren wird da zum
Beispiel schwierig. Die Rheinbrücke bei
Leverkusen ist für Lkw unpassierbar, die
beiden Brücken bei Koblenz sind nur
einspurig befahrbar, die Schiersteiner
Brücke bei Mainz gab im Februar 2015
nach. Über ein Tempolimit muss sich
niemand Gedanken machen, das stellt
sich von ganz allein ein. Das Wort vom Brückentag be-
kommt eine neue Bedeutung: Das sind die Tage, die
man im Stau vor der Brücke verbringt. Alles kein ech-
tes Problem, sagte Verkehrsminister Andreas Scheuer,
als im vergangenen Jahr nach dem Einsturz der Auto-
bahnbrücke bei Genua die Diskussion wieder auf-
flammte. Was bei uns als marode gelte, werde in ande-
ren Ländern als „in gutem Zustand“ eingestuft. Von
diesem Zustand gibt es reichlich. Von der neuen Sei-
denstraße kann man derweil sagen: läuft.

Ein Tempel für


James Simon


Optimist


Ein paar Brücken


für Vater Rhein


VonAndreas Kilb Von Michael Hanfeld


Fotos dpa, Illustration Thomas Fuchs


Das Leben ist eine Baustelle, und Deutschland ist es auch.


In Berlin freut man sich darüber, dass endlich mal etwas fertig wird.


Und der Rest des Landes? Steht im Stau.


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FRANKFURTER ALLGEMEINE WOCHE 30/2019

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