Neue Zürcher Zeitung - 17.07.2019

(Grace) #1

Mittwoch, 17. Juli 2019 INTERNATIONAL


Frankreic hs Luftwaffe reicht künftig bis ins Weltall

Ein rund 200 Personenumfassendes Kommando sol l ab September französische Satelliten schützen


Emmanuel Macron


hat die Gründung eines


Weltraumkommandos


angekündigt.Frankreich


will damit seinePosition unter


den wichtigenWeltraum­


nationen verteidigen.


NINA BELZ,PARIS


Seit bald fünfeinhalbJahren ist Athena­
Fidus in der Erdumlaufbahnunterwegs.
Der Satellit unterstützt dieKommunika­
tion der französischen und der italieni­
schenArmee. InFrankreich entwickelt
und von denRaumfahrtbehörden der
beidenLänder finanziert, ist er ein Bei­
spiel für die multilaterale Zusammen­
arbeit in einem hochsensiblen Bereich



  • und zugleichSymbol für dieVerletz­
    lichkeit imRaum.FrankreichsRegie­


rung will Beweise dafür haben, dass ein
russischer Satellit mit «grossen Ohren»
Athena­Fidus ausgehorcht habe.

KeineAvantgarde


Der Zwischenfall soll sich vor rund zwei
Jahren zugetragen haben, wurde aber
erst im vergangenen Herbst publik.
Seither wird er immer wieder genannt,
wenn es um Frankreichs Dispositiv
und vor allem um dessen Gefährdung
imWeltraum geht.Künftig willFrank­
reich seine Satellitenaktiv verteidigen.
Präsident Emmanuel Macron sprach
amWochenende von einer neuen Dok­
trin und kündigte die Gründung eines
französischenWeltraumkommandos an.
Eine streitkräfteübergreifende Einheit
gibt es bereits seit 2010; nun wird sie in
die Luftwaffe integriert.Rund 200Per­
sonen sollen demKommando ab Sep­
tember unterstellt sein, das inToulouse

angesiedelt wird. DieTr uppe soll laut
demVerteidigungsministerium über die
kommendenJahre noch wachsen.
DieBedeutung derDatenübertragung
über Satelliten und der Satelliten selbst
im militärischen wie im zivilen Bereich
nimmt zu, und damit auch deren strate­
gische Bedeutung. Sie müssen vor Angrif­
fenund Spionagegeschützt werden. Mit
seinemWeltraumkommando istFrank­
reich jedoch keineswegsAvantgarde.
Kein halbesJahr ist es her, dass der ame­
rikanische Präsident die Gründung einer
Weltraumtruppebeschlossen hat.Vo r
wenigenWochen hat die Nato sich eine
Weltraumstrategie gegeben. Inzwischen
arbeiten rund 60 Staaten daran, sich das
All zunutze zu machen.Dazukommt eine
wachsende Zahl privater Akteure.
DieFranzosen, die sich neben den
USA,Russland und China zu den füh­
renden Weltraummächten zählen,
haben sich bei derneuen Doktrinvon

den USA inspirieren lassen. InParis
geht man nun aber ein bisschen weni­
ge r weit. Statt eine neueTeilstreitkraft
zu schaffen, soll die französischeWelt­
raumtruppe in die Luftwaffe integriert
und diese in «Luft­ undWeltraumstreit­
kräfte» umbenannt werden.LautJean­
Vincent Brisset, der am Institut deRela­
tions Internationales et Stratégiques zu
Verteidigungsfragen forscht, macht die
französische Armee einen Schritt, den
die Amerikaner schon vor 25Jahren ge­
macht haben. ImVergleich mit China,
Russland oder den USA seiFrankreich
damit noch immer die am wenigsten of­
fensivePartei, sagt er.
Brisset, der vieleJahre in der Luft­
waffe diente, sieht in der Ankündigung
Macrons zwareine Änderung der Dok­
trin. Er weist aber darauf hin, dass die
Grenzen zwischen passiver und offen­
siverVerteidigung sehr fliessend seien
und aufgrund der militärischen Geheim­
haltung viele Aktionen imWeltall im
Verborgenen stattfänden.

EuropäischeFührungsrolle


DieFrage stelltsich, wie viel sich durch
Macrons Ankündigung tatsächlich än­
dert. Frankreich ist Europas wich­
tigsteWeltraumnation, weil es über alle
wesentlichenFähigkeiten verfügt: Die
Franzosen entwickeln und bauen nicht
nur Satelliten zur Informationsbeschaf­
fung (abhören undlokalisieren), son­
dern auch solche, dieKommunikation
und Navigation mittels GPS sichern.
Dank der Abschussrampe inFranzö­
sisch­Guyanakönnen sie die Satelliten
vom eigenen Boden aus ins All beför­
dern.Das Budget für dieWeltraumagen­
tur CNES betrug im vergangenenJahr
2,4 Milliarden Euro; nur die USA geben
für ihreWeltraumaktivitäten noch mehr
aus, allerdings rund acht Mal so viel.
Frankreich hat schon in den vergan­
genenJahren angefangen, seine Kapa­
zitätenden neuen geopolitischenReali­
täten anzupassen. So wird derzeit etwa
das sogenannte Graves­System moder­
nisiert.Das Radarnetzwerk erlaubt den
Franzosen, einenRaum zwischen 400
und rund 10 00 Kilometer Höhe zu über­
wachen. Graves erfasst nicht nur Satelli­
ten, sondern auchWeltraumschrott, der
in den Erdumlaufbahnen zirkuliert und
selbst in kleinstemUmfang den Satel­
liten gefährlich werden kann.Ausser

Frankreich verfügen derzeit nurRuss­
land und die USA über ein solch leis­
tungsfähiges Radar.Während Frank­
reich lediglich rund 30 00 Objekte pro
Tag überwachen kann,erfasst das ame­
rikanischeSystem rund 20000.
Derzeit hatFrankreich zudem elf
Satelliten, wovon es vier exklusiv nutzt.
Kooperationen bestehen vor allem
mit europäischen Staaten, vor allem
Deutschland und Italien, sowie mit den
USA. Der Experte Brisset weist darauf
hin, dassFrankreich abhängig sei vom
internationalenDatenaustausch, etwa
bei seiner wichtigstenAuslandmission in
der Sahelzone, wo sich die Soldaten bei
ihren Operationen wesentlichauf ameri­

kanischeDaten verlassen. Bis 2022 wol­
len dieFranzosen jene Satelliten, die in
ihrem Besitz sind, durch neue, leistungs­
fähigereModelle ersetzen.

KeinGeld für Ehrgeiz


Wenn der französische Präsident nun
eine offensivereWeltraumstrategie an­
kündigt,so müssen auch die Instru­
mente dafür entwickelt werden. Ein
Bericht derVerteidigungskommission
der französischen Nationalversamm­
lung zurVerteidigung imWeltraum stellt
fest, dassFrankreich sich unbedingt bes­
ser gegen die neuen Gefahren imWelt­
raum wappnen müsse. Doch das für die
Periode 20 19 bis 2025 imVerteidigungs­
budget vorgesehene Geldreiche nicht
aus, um «wirklich ehrgeizig» zu sein.
Es erlaube gerade die Erneuerung der
vorhandenen Infrastruktur. Um offen­
siver zu agieren, brauchtFrankreichs
Weltraumkommando zunächst alsovor
allem Geld.Das hat Emmanuel Macron
am Samstag versprochen, ohnekonkret
zu werden.

Ein Astronaut testet ein von Comex und Airbus entwickeltes Servicemodul, das der europäischen Raumfahrt dienensoll. GETTY


Trump versucht Befreiungsschlag in der Asylpolitik


Die eigenmächtige Erklä rung von Transitländern zusicheren Drittstaatensteh t auf sehr wackligen Füssen


PETER WINKLER,WASHINGTON


Fast alle Massnahmen derRegierung
DonaldTr umps gegenPapierlose im
Land und Migranten an der Grenze zu
Mexiko täuschen eine harte Hand vor.
InTat undWahrheit haben sie die chro­
nischeVerstopfung der Immigrations­
gerichte weiter verstärkt und damit
dieLage verschärft.Wie dieSyracuse­
Universität inNewYorkberechnete,
waren Ende September 20 16 gut eine
halbe MillionFälle hängig. Nun liegt
die Zahl bei über 90 0000 .Parallel dazu
hat natürlich auch dieWartezeit fürVer­
handlungen vor diesen Gerichten zuge­
nommen, seit 20 16 von 627 auf 724Tage.


In der Zwickmühle


Mit seinem Aktivismus in Sachen
Migration hatTr ump also viel Staub
aufgewirbelt, aber nichts erreicht. Seine
Vorgänger waren erfolgreicher.Wegen
der Überlastung der Gerichte setzten
sie klarere Prioritäten, werindie Müh­
len derJustiz geraten sollte.Wer sich
integrierte und sich an die Gesetze
hielt, brauchtekeineAusschaffung zu
fürchten. Es genügte,sich einmal pro
Jahr bei der Immigrationsbehörde zu
melden. Die Gerichte hatten bereits
mehr als genug zu tun mit jenenFäl­
len, welche die Sicherheit, denFrie­


den oder die öffentliche Ordnung be­
drohten.
Tr ump sah darinLaschheit. Um dies
zu ändern, griff er mehrmals zum Brech­
eisen und nahm eigenmächtig Ein­
schränkungen am gesetzlich veranker­
ten Asylrecht und an denAuflagen für
die Inhaftierung von Minderjährigen
vor. Sie sind fast allesamt von Gerich­
ten blockiert worden.
Das gleiche Schicksal droht auch der
neuesten Massnahme, die am Diens­
tag in Kraft trat.Das Justizministerium
und das Ministerium für Inlandsicher­
heit erliessen gemeinsam eineRegel,
die erneut grundlegendinsamerikani­
sche Asylrecht eingreift:Personen, die
auf demLandweg an die Grenze oder
über siekommen,können in den USA
demnach grundsätzlich nur nochAsyl
beantragen, wenn sie nachweisen, dass
sie mindestens in einemTr ansitland be­
reits um Schutz nachgesucht haben und
dieser verweigert wurde.
Die Massnahme sieht gewisseAus­
nahmen vor, etwa für Opfer von Men­
schenhandel.Aber sie zielt direkt gegen
dieWelle zentralamerikanischer Migran­
ten,die in den letzten Monaten die Infra­
struktur zurAufnahme solcherPerso­
nen hoffnungslos überlasteten. Betrof­
fen sind aber auch asiatische oder afrika­
nischeAsylsuchende, die denLandweg
durch Mexiko ebenfalls vermehrt benut­

zen.Tr ump hofft, aus der Zwickmühle
zu entfliehen, in die er sich selber hin­
einmanövrierte: Die Migranten an der
Grenze und diePapierlosen im Inland
landennämlichimgleichen Flaschen­
hals, den Immigrationsgerichten.
Asylanträge abzulehnen, wenn die
Gesuchsteller sich bereits in einem
sicheren Land aufhielten, ist grundsätz­
lich erlaubt. Die entscheidendeFrage
dabei ist, ob einLand als sicher gelten
kann. Schaut man sich in den Zahlen­
bergen derWeltbank deninternatio­
nalenVergleich der Mordraten an, so
wird zwar deutlich, dass Mexiko und
noch mehr Guatemalahohe Mordraten
haben– verglichen mit Europa oder
den USA. Aber imVergleich mit Bra­
silien,Kolumbien oder Südafrika ver­
blassen die mexikanischen Zahlen, und
jene Guatemalas finden sich plötzlich in
guter Gesellschaft.
Das Problem mitTr umps neuestem
Erlass ist also nicht unbedingt, dass er
Mexiko und allenfalls sogar Guatemala
als sichereTr ansitländer für die Migran­
ten aus Honduras und El Salvador be­
trachtet, sondern dass erkeinenRück­
halt in den betroffenenLändern hat.
Weder Mexiko noch Guatemala haben
einem Abkommen über sichere Dritt­
staaten zugestimmt. Ein solches schloss
Washington bisher nur mit seinem nörd­
lichen Nachbarn Kanada ab. Es scheint

aber, als wäre ein solches Abkommen
gemäss dem geltendenRechtVoraus­
setzung für eine Asylpolitik mit siche­
ren Drittstaaten. Eine einseitige Erklä­
rung des amerikanischen Präsidenten
würde sicher nicht genügen.

KeinVertrag, nur ein Dekret


Deshalb dringtTr ump auf solche Ab­
kommen, wenn auch bis jetzt vergebens.
Mexiko weigert sich seit langem, einen
Vertrag zu unterzeichnen, solange er
nichtTeil einer regionalen Strategie
ist. Der Präsident Guatemalas,Jimmy
Morales, sagte am Sonntag kurzfristig
einen Besuch imWeissen Haus ab, an
dem über ein solchesAbkommen hätte
verhandelt werden sollen. Am Abend
des gleichenTages untersagte ihm das
Verfassungsgericht desLandes für alle
Fälle, einen solchenVertrag zu unter­
zeichnen, worauf Moraleserwiderte, das
habe er auch nicht vorgehabt.
Es werden sicher auch in den USA
Gerichte sein, die Tr umps neueste
Massnahme zu prüfenhaben. Die Bür­
gerrechtsorganisation American Civil
Liberties Union bestätigte am Diens­
tag, dass sie Klage erheben werde. Mit
Blick auf die bisherige Erfolgsbilanz
der Immigrationsdekrete aus derKüche
Tr umps vor derJustiz kann die Organi­
sation zuversichtlich sein.

Frankreich ist
Europas wichtigste
Weltraumnation,
weil es über
alle wesentlichen
Fähigkeiten verfügt.

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