Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1
Montag, 22. Juli 2019 ZÜRICH UND REGION 11

E-Trottinette boomen, vi er Anbieter buhlen in Zürich


und Winterthur um Mieter – ein ÜberblickSEITE 12, 13


Heidi – das Landesmuseum zeigt, was Johanna Spyri


und die japanische Zeichentrickserie verbindet SEITE 13


Borkenkäfer tun dem Wald gut


Das gefrässige Insekt wütet in Zürcher Fichtenbestä nden – die Bäume gehören eigentlich gar nicht hierher


JAN HUDEC


Ein lautes Krachen hallt durch denWald.
Wie in Zeitlupe kippt die majestätische
Fichte nach hinten.Dann beschleunigt
sie ihrenFall, Äste knacken, während sie
durch die Kronen der kleinerenBäume
saust, bis sie mit einem dumpfen Knall
auf demWaldboden aufprallt. ZuFall
gebracht haben den 100-jährigenBaum
zwei orange gekleideteForstwarte mit
einer kreischenden Motorsäge.Doch
den Garaus gemacht hat dem 40-Meter-
Koloss ein 5 Millimeter grosses,dunkel-
braunes Krabbeltier: der Borkenkäfer.
Roland Steiner, graue Haare,Bärt-
chen, ausgerüstet mitWanderschuhen,
Tr ekkinghose und Sportshirt, schaut von
einerForststrasse aus auf das kleine, ge-
lichteteWaldstück in der Gemeinde Sta-
del im Zürcher Unterland. Zwischen
dem niedrigen Buschwerk leuchtet das
helle Holz der frischenBaumstümpfe,
ein paar letzteFichten strecken ihre kah-
len Stämme trotzig in die Höhe. Förster
Steiner sagt: «Wirkommen mitFällen
nicht mehr nach.» Denn der Borken-
käfer ist auf einemrabiaten Beutezug.
Seinen Anfang nahm das Unheil im
Januar 2018.Damals fegte der Sturm
«Burglind» über dasLand und sorgte
in denWäldern für die schwerstenVer-
wüstungenseit dem berüchtigten Sturm
«Lothar». Die entwurzeltenBäume bil-
deten ideale Brutstätten für den Bor-
kenkäfer – und dann kam auch noch
der Hitzesommer.Wärme undTr ocken-
heit führten dazu, dass sich der Schäd-
ling sprunghaft vermehren konnte.
Einerseitskonnten sich die geschwäch-
tenBäume schlechter wehren, ande-
rerseits entwickeln sich auchdie Käfer-
larven bei warmerWitterung schneller.
DasErgebnis: 20 18 wurden fastsoviele
Käfernester entdeckt wie imRekordjahr



  1. Nun würde man erwarten, dass da-
    mit der Zenit erreicht war.Doch ange-
    sichts der Situation, wie sieFörster Stei-
    ner imWald vorfindet,kommt er zum
    Schluss, dass heuer alles noch viel schlim-
    mer wird:«Ichrechne damit, dass wir in
    diesemJahr zwei- oder dreimal so viel
    Holz schlagenmüssen wie im vergange-
    nenJahr.» Besondersbetroffen sinddas
    Zürcher Unterland und dasWeinland.


Der tödlicheBuchdrucker


Steiner stapft durch denWald. Seit über
30 Jahren ist er in denWäldern um Sta-
del,Bachs, Steinmaur und Neerach als
Förster tätig. Vor einerFichte macht er
halt. Er betrachtet sorgfältig den unte-
ren Teil des Stammes.Auf Efeuranken
entdeckt er ein braunes Pulver. «Bohr-
mehl»,sagt der Experte.Ein untrüg-
liches Zeichen, dass der Borkenkäfer
dieFichte befallen hat. Bei genauerem
Hinschauen zeigt sich, dass die Rinde
mit kleinen Löchern durchsetzt ist.Stei-
ner schlägt mit seiner Hippe ein Stück
Rinde weg, darunterkommt ein Käfer-
männchen zumVorschein, das für sich
undseine dreiWeibchen eine kleine
Kammer in denBaum gefressen hat.
Diebei unsverbreitetste Unterart des
Borkenkäfers befällt fast ausschliesslich
Fichten. Die Pioniermännchen bohren
sich durch die Rinde und stossen Phe-
romoneaus,umWeibchen anzulocken.
VomDuft angezogen fühlen sich auch
weitere Männchen.Nach dem Einboh-
ren in die Rinde findet in derRammel-
kammer diePaarung statt, danach fres-
sen dieWeibchen Muttergänge in den
Stamm, entlang deren sie ihre Eier ab-
legen. Die Käferlarven tun sich dann
ebenfalls am Holz gütlich, wobei ein
Labyrinth an Gängen entsteht, das am
Ende aussieht, als wären es Zeichen
einer extraterrestrischen Schrift. So ist
der Borkenkäfer denn auch zu seinem
Namen Buchdrucker gekommen, latei-
nisch Ips typographus. Nach derVerpup-


pung bleiben dieJungkäfer noch eine
Weile unter der Rinde, bevor sie ausflie-
gen und sich einen neuenBaum suchen.
Für dieFichte ist der Befall verheerend.
Der Käfer frisst sich durch die äusserste
wasserleitende Schicht desBaumes und
zerstört diese. DieFichte kann sich nicht
mehr mit Flüssigkeit und Nährstoffen
versorgen. Sie stirbt ab.
Mit seinemAuto fährtRoland Stei-
ner denWäldern seinesForstreviers
entlang. In derFerne deutet er auf die
braunroten Kronen, die aus dem Grün
hervorragen. «Das sind alles Käfer-
nester», sagt er. Er biegt wieder in den
Wald ein und macht vor einerFichte
halt, deren Krone noch grün ist. «Auf

den ersten Blick sieht derBaum gesund
aus,doch auch er ist befallen.»In einem
Spinnennetz zwischen denWurzeln liegt
wieder braunes Bohrmehl, am Stamm
kleben Harztropfen. «DerBaum hat
versucht, sich gegen den Käfer zu ver-
teidigen», sagt Steiner. Doch er hat den
Kampf verloren und mussnun auch weg.
Ein gesunder und vitalerBaum kann
den Borkenkäferabwehren.Wenn er
angebohrt wird, stösst er Harz aus und
ertränkt den Käfer darin. Doch dieFich-
ten sind noch geschwächtvom vergan-
genenJa hr, und gerade imWeinland
und im Zürcher Unterland hat es auch
2019 wenig geregnet. Gleichzeitig ist
diePopulationsdichte der Käfer zurzeit
so hoch, dass sich auch gesundeFich-
ten nicht mehr gegen den Befall weh-
ren können. «Die Situation ist drama-
tisch», sagt Steiner. Schlimm sei das aber
nicht primär für die Natur, sondern für
dieWaldbesitzer.
Um den Schaden einzudämmen, be-
kämpfen dieWaldeigentümer den Bor-

kenkäfer. BefalleneBäume werden ge-
fällt,noch bevor sich die Käfer fer-
tig entwickelt haben und neueFich-
ten attackierenkönnen. Die gefällten
Bäume müssen umgehend aus dem
Wald transportiert werden. Siekönnen
auch entrindet werden, um die Entwick-
lung des Käfers zu stoppen.DieFrage ist
nur:Wohin mit dem ganzen Holz? Der
Markt ist geflutet mit Käferholz, nicht
nur aus der Schweiz,sondernauch aus
Österreich und Deutschland.
Voreinem Bauernhof in Bachs
türmt sich ein Stapel mitFichtenstäm-
men.«Wir müssenFlächen mieten, um
das viele Holz lagern zukönnen», sagt
Steiner. Weil sie hier kaum mehr Absatz
finden,müssenZürcherFichten mittler-
weile nach Asien exportiert werden, für
30 Franken denKubikmeter. «Da legen
dieWaldbesitzer noch drauf», sagt Stei-
ner. Im Schnitt hätten dieseKosten von
40 Franken proKubikmeter.Noch vor
zweiJahren habe man 90Franken für
das Holz bekommen. Selbst der Markt
für Holzschnitzel ist übersättigt. Der
Kanton unterstützt dieWaldeigentü-
mer deshalb bei den Massnahmen, die
sie zum Schutz desForstes treffen.

Angepflanztseit 150 Jahren


ImWald herrscht Hochbetrieb.Dort,
wo die beiden orange gekleideten
Forstwarte zuvor die grosseFichte ge-
fällt haben,rollt nun eine Maschine an,
die aussieht wie ein riesigerBagger: der
Vollernter. Mit seinem Greifarm packt
er einen der herumliegenden Stämme.
ZweiWalzen treibenden Stamm durch
die Haltevorrichtung,Äste und Rinde,
die von Klingen abgetrennt wurden, spi-
cken durch denWald.Dann blitzt eine
blau schimmernde Säge hervor, die in
Sekundenschnelle den Stamm entzweit.
Weiter unten machen sich die beiden
Forstwarte mit ihrer Säge an einem
Baum zu schaffen. Überall Äste, Reisig,
Stämme, Baumstrünke. Es sieht aus wie
auf einem Schlachtfeld.
Steiner schaut demTr eiben zu. Natür-
lich sei dasein schmerzvoller Anblick,
gerade auchfürdieWaldbesitzer.«Aber
für die Natur ist diese Borkenkäferplage
kein Problem», sagt er. Im Gegenteil. Es
sei eine Chance für denWald, sich wie-
der besser den natürlichen Gegeben-
heiten anzupassen. Denn eigentlich ist

dieFichte in den tieferenLagen der
Schweizgar nicht heimisch. Mit ihren
flachenWurzeln ist sie für dieTr ocken-
heit schlecht gerüstet.Aus wirtschaft-
lichen Gründen wurde sie in den vergan-
genen rund150 Jahren aber gezielt ange-
pflanzt. Und sokommt es, dass die auch
als «Brotbaum» bekannteFichte heute
36 Prozent des Holzvorrates in denWäl-
dern des Kantons ausmacht und damit
die mit Abstand häufigsteBaumart ist.

Staatskredit fürWaldbesitzer?


Beim Kanton geht man deshalb davon
aus, dass sich derFichtenbestand in Zu-
kunft verringern wird. Probleme werde
dieFichtevor allem auf zuAustrock-
nung neigenden Böden und inReinbe-
ständen haben, schreibt dieBaudirek-
tion auf Anfrage. Im Mischwald und
insbesondere in höheren und schatti-
genLagen habe sie indes durchaus eine
Zukunft. Klar ist aber, dass einTeil der
Fichten ersetzt werden muss. Wichtig ist
dabei aus Sicht von Kantonsforstinge-
nieurKonrad Noetzli, mit einer mög-
lichst grossenVielfalt anBaumarten zu
arbeiten. Einseitig zusammengesetzte
Wälder seien anfälliger auf Schädlinge
oderWitterungsereignisse. «Der künf-
tigeWald dürfte also vielfältiger sein als
heute.Dies hat ökologischeVorteile,ist
aber auch aus Sicht der Risikominimie-
rung sinnvoll», sagt Noetzli.
ImWald bei Stadel macht sich der
Vollernter nochimmer über dieFichten
her. Förster Steiner zeigt auf ein paar
Jungbäume, die mit Zäunen gegenWild-
schäden geschützt sind.«Der Waldbesit-
zer pflanzt nun Douglasien, die besser
mit derTr ockenheit zurechtkommen»,
sagt Steiner. Doch dieseWiederbesto-
ckung sei nicht gratis. Der grüne Kan-
tonsrat Robert Brunner und Wald
Zürich fordern deshalb einenRahmen-
kredit, mit dem dieWaldbesitzer unter-
stützt werden könnten. «DadieWald-
wirtschaft im Moment defizitär ist und
es auf absehbare Zeit bleibt, braucht es
finanzielle Anreize», sagt Brunner. Er
plant, imParlament einen entsprechen-
denVorstoss einzureichen. Bei Stei-
ner stösst er damit auf offene Ohren.
Die Zukunft des ZürcherWaldes sieht
er positiv, der Borkenkäferplage zum
Tr otz. «Solange wir mit und nicht gegen
die Natur arbeiten.»

Borkenkäferfallen über eine Fichte her.Das Weinland und das Zürcher Unterland sind besonders betroffen. ALEXANDRA WEY / KEYSTONE

Ein gesunder Baum
kann den Borkenkäfer
abwehren. Doch die
Fichten sind noch
geschwächt vom
heissen und trockenen
vergangenen Jahr.

Die EDU bleibt


im Seitenwagen


der SVP


Die Kleinpartei geht nun doch
eine Listenverbindung ein

STEFANHOTZ

«Natürlich sind wir unverändert der
Meinung,dass der Sitz von Maria Rita
Marty im Kantonsrat der EDU gehört»,
ruft EDU-Präsident Hans Egli insTele-
fon.Das bleibe einThema. Nun aber
hat diePartei beschlossen,doch weiter
mit derSVP zusammenzuspannen.Laut
Egli wäreesfalsch, wenn diese Sache die
sonst gute Zusammenarbeit blockieren
würde. Zeitweise ging es fast unchrist-
lich zu in der evangelikalen Eidgenös-
sisch-Demokratischen Union (EDU)
des Kantons Zürich. Präsident Egli war
hörbar empört, als Kantonsrätin Marty
nach ihrerWiederwahl und nurTage
nach derVereidigung zurSVP überlief.
«Befremden und Enttäuschung», wie es
in der Medienmitteilung hiess, gaben die
Stimmung wohl nur ungenügend wieder.

Zusammengeheninfragegestellt


Egli hatte die Abtrünnige ultimativ auf-
gefordert, aus dem Kantonsrat zurück-
zutreten, weil ihr Sitz der EDU zustehe.
Marty dachte nicht daran: Die Leute
hätten sie gewählt, sagte sie. ImFebruar
hatte sie die neue EDU-SektionVolkets-
wil-Dübendorf aus derTaufe gehoben.
Sie habe für diePartei gearbeitet, sagte
Marty jedem, der es hören wollte,sei
sich aber als nützliche Idiotin vorgekom-
men. Zu mehr alseiner internenPosse
avancierte der Streit, als Egli dieSVP
über den«Tages-Anzeiger» aufforderte,
Marty nicht aufzunehmen. Andernfalls
sei die geplanteListenverbindung für die
Nationalratswahl gefährdet. Ebenso die
Fraktionsgemeinschaft im Kantonsrat:
Dortkonnte die EDU nach demVerlust
des fünften Sitzeskeine eigeneFraktion
mehr bilden und schloss sich derSVP an.
Für die Nationalratswahl ist die Klein-
partei eine attraktive Partnerin. Mit
ihrem Wähleranteilvon knapp über
zweiProzent 20 15 bietetsie Stimmen
für gut einen halben Sitz in Bern.Auf-
grund ihrer leichtenVerluste imFrüh-
ling ist füreine Listenpartnerin das
Risiko überschaubar, dass ein Sitz tat-
sächlich an die EDU geht.Vor vierJah-
ren hat diese derSVPdie Eroberung des
zwölften Sitzes ermöglicht.
DieSVP-OrtsparteiVolketswil sieht
sich in einer Nebenrolle. Neumitglieder
würdenrelativ formlos aufgenommen,
sagt ihr Präsident Benjamin Fischer,
Kantonsrat und Präsident derJungen
SVP Schweiz.Erst wenn ein Amt zur
Diskussion stehe, prüfe man jemanden
näher. Marty aber sei schon seitJahren
Kantonsrätin. DieFrage einesPartei-
ausschlusses habe sich nicht gestellt, sagt
Fischer.Wenn Marty von derFraktion
ausgeschlossen worden wäre,hätte die
SVP Volketswil seiner Ansicht nach wohl
nachgezogen.Dazu habe es aberkeinen
Grund gegeben, soFischer.Auch habe in
derFraktion niemand einen solchen An-
trag gestellt, auch die EDU nicht.

Unterstützungfür Köppel


DieSVP liess sich nicht beirren und lag
richtig. Am Samstag nun hat die kanto-
nale EDU mitgeteilt,sie werde die Zu-
sammenarbeit im Kantonsrat inFrak-
tionsgemeinschaft mit derSVP konse-
quent fortsetzen, eine Listenverbindung
eingehen und den SVP-Ständerats-
kandidatenRogerKöppel unterstüt-
zen.Vom Streit mit MartykeinWort.
Erst auf Nachfrage meinte Hans Egli,
nun stünden die Nationalratswahlen im
Fokus.Allzu übel kann das Zerwürf-
nis ohnehin nicht sein. Marty und Egli
sitzen im Ratssaal weiter nebenein-
ander und haben AnfangJuli gemein-
sam eineAnfrage an denRegierungsrat
unterzeichnet–zuMassnahmen gegen
rituelle Gewalt.
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