Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1

12 ZÜRICH UNDREGION Montag, 22. Juli 2019


Bird-Scooter werden
über Nacht eingesammelt.

Circ betreibt am Zürcher HB
eine fixeVe rleihstation.

Der grosse


Trotti-Hype


InZürichund Winterthur boomenE-Trottinette.


Mehrere Anbieter buhlendabei umMieter.


Dochwas taugendiese neuen Gefährte überhaupt?


Und bietensie wirklicheineAlternative


zuS-Bahn, Tramund Bus?Ein Überblick.


FLORIAN SCHOOP, ANDRÉ MÜLLER


Plötzlich sind sie überall: Hunderte klo-
bige E-Scooter bevölkern in Zürich
Trottoirs, Plätze oder überfüllteVelo-
ständer. Sie stechen aus der Masse her-
aus mit ihrer knalligenAufschrift, mit
leuchtendenRädern oder roten Ka-
beln.DerTrend hält seit Monaten in vie-
len europäischen Städten Einzug. Doch
was taugen die Leih-Trott inette über-
haupt?Wie fahren sie sich? Und welche
Anbieter gibt es in Zürich undWinter-
thur? Die NZZ hat sich einen Überblick
verschafft.


Anbieter 1:Bird


Im Herbst letztenJahres ist das ame-
rikanische Milliarden-Startup Bird in
Zürich angekommen. Derzeit stehen
in der Stadt 400 dieser schwarz-weis-
sen Tretroller mit dem markantenroten
Kabelherum, in Winterthur sind es 100.
EineFahrt kostet 45Rappen pro Mi-
nute, das Entsperren des Geräts1Fran-
ken.Damit ist derAnbieter der teuerste
in den beiden Städten. Die neuen Scoo-
ter sollen den öV ergänzen. Doch wer
nachts mit einem Bird nach Hause fah-
ren will, wird enttäuscht. DieFahrzeuge
werden jeden Abend von einer beauf-
tragten Firma eingesammelt, aufge-
laden, gesäubert undkontrolliert.Das
heisst, dann, wenn dieFahrzeuge eine
echte Alternative zuTram und Bus bie-
ten könnten, stehen sie nicht zurVer-
fügung.Warum? Bei derFirma heisst
es, man wolle soVandalismusan den
Geräten verhindern. Zudem stellten die
Trottis für Betrunkene eine Gefahr dar,
denn: «Scooter sindkeine Spielzeuge.»
Welche Pläne hat Bird für Zürich?
Auf Anfrage heisst es, man wolle die
Flotte nur dann ausbauen,wenn auch
eine Nachfrage bestehe. Fo rtan konzen-
triere man sich darauf zu verstehen, wo
die Scooter am meisten gebraucht wür-
den. Datenmaterial wird dazu natürlich
ausgewertet. Doch man versichert, es
würdenkeine Informationen an Dritte
verkauft.


Bird imTest


Die App ist ziemlich übersichtlich, zur
Registrierung braucht es einzig eine E-
Mail-Adresse, zur Bezahlung eine Kre-
ditkarte. Ein Nachteil jedoch ist,dass
man imVorfeld dasKonto mit einem
fixen Guthaben füllen muss (10, 20, 50
Franken). Zudem wird automatisch ein
weiterer Betrag abgebucht, wenn das
Guthaben bei0Franken angelangt ist.
Dies lässt sich später in den Einstellun-
gen der App deaktivieren. Die Entsper-
rung desTrottinetts geschieht wie bei
den meisten Anbietern via QR-Code.


Nach derFahrt muss man in der App
auf «End» klicken – und einFoto vom
Fahrzeug machen.Damit will dieFirma
überprüfen, ob der Scooter auch richtig
abgestellt wurde.
Die kleinenRäder der Birds sind
mit Luft gefüllt. Sorollt es sich ange-
nehmer über kleinere Gegenstände wie
Steinchenoder überRiss eim Asphalt.
Ein Vorteil des Bird-Scooters ist die
Klingel. Im dichten Stadtverkehr ist sie
sehr nützlich, bei unseremTest aber lei-
der defekt.Das Bird-Trott i kommt nur
mit einer Bremse daher. Im Vergleich
zu anderen Geräten bremst es etwas
schlechter – vor allem bergab. Der An-
trieb erfolgt mittelsDaumenschalter.
BeimAnfahren hat derTretroller Mühe,
auf Anhieb Gas zu geben. Bei unserem
Versuch brauchte der Scooterimmer
zwei bisdrei Anläufe, bis dieFahrt los-
gehenkonnte.
Laut Angaben in der Appkönnte
man mit dem E-Trotti nett bis Wintert hur
fahren.Daswürde aber ganz schön ins
Geld gehen.Unsere Fahrt vom Zentrum
ins Aussenquartier dauerte 22 Minuten
und kostete knapp 11Franken. Mit dem
öV hätte dieFahrt 4 Franken 40 gekostet
(Vollpreis) – bei gleicherDauer.

Trotti imPendlerverkehr?


Zürichist bekanntlichkeine Velostadt:
Radwege hören manchmal aus uner-
findlichen Gründen auf, an gewissen
wichtigenVerkehrsachsen oder Kreu-
zungen fehlen sie ganz.Weil die E-Trot-
tinette sich imVerkehr wieVelos verhal-
ten müssen,haben ihreFahrerinnen und
Fahrer dieselben Probleme. Es stellt sich
die Frage: Kann man sich auf einem E-
Scooter in derRushhour zwischen all
den Autos, Lastwagen undTrams be-
haupten?
Wir testen dies an einer der grösse-
renVelobaustellen der Stadt und fahren
am frühen Abend bergwärts dieRämi-
strasse hinauf, vom Bellevue zum Heim-
plat z. Bis heutefehlt hier selbst ein sim-
pler Velostreifen. Da der Elektromotor
meist erst mitVerzögerung anspringt,
fährt der Scooter dem unbedarften Len-
ker jeweils fast davon, was uns auf der
vielbefahrenen, ansteigenden Strassein
eine brenzligeLage bringt.Für Auto-
fahrer ist dasVerhalten derTrotti-Pilo-
ten schwer vorhersehbar.
Bergab klappt es schon etwas bes-
ser, das Fahrgefühl ist gut, auch wenn
Autos links vorbeiziehen. Dennoch
gibt es einen Unterschied zumVelo:
Während sich einFahrrad bei schneller
Fahrt automatisch stabilisiert,reagieren
die kleinenRäder derTretroller sensibel
auf kleine Lenkbewegungen – bereits
geringfügige Unachtsamkeiten bringen
einen aus der Spur.

DieVersuchung, auf vielbefahre-
nen Kreuzungen wie beim Milchbuck,
am Heimplatz oder am Central verbo-
tenerweise aufsTrottoir auszuweichen,
ist gross. ZwischenLastwagen, 2-Ton-
nen-SUV undTrolleybussen fühlt man
sich auf demschmalen Brett ganz schön
alleine – und ungeschützt. Hinzukommt,
dass man mit denArmen anzeigen muss,
wenn man die Spur wechseln will. Mit
nur einer Hand am Lenker wird dieWei-
terfahrt zumBalanceakt, während der
Puls in die Höhe schnellt.

Anbieter2: Circ


Der deutsche Anbieter Circ kam im
April mit 550Tretrollern nach Zürich,
damals noch unter dem Namen Flash.
Die Fahrzeuge sind schwarz und haben
leuchtend orangeRäder. Die Berliner
Verleihfirma ist in der Schweiz auch in
Basel, Zug undWinterthur aktiv.Nut-
zerdaten würden imRahmen der euro-
päischenDatenschutzverordnung ge-
nutzt, heisst es bei Circ.
DerAnbieter wollte zunächst speziell
in denAussenquartieren präsent sein,
auch um sich von derKonkurrenz abzu-
grenzen.In einer Stadt von der Fläche
Zürichs braucht es aber sehr vieleTret-
roller, um überall dauerhaft eine gute
Auslastung zu sichern. DieFirma hat
inzwischen einePartnerschaft mit den
SBB auf die Beine gestellt und bietet
neben dem Hauptbahnhof eine fixe Sta-
tion an, bei der es fast immer geladene
Trottis gibt. Circ arbeitet vor allem mit
festangestellten eigenen «Aufladern»
zusammen,die leergefahreneTrottinette
einsammeln,dieBatterien aufladen und
die Geräte neu verteilen.Das geschieht
permanent, also nicht nur nachts.
Circ verlangt 25Rappen pro Minute
plus eine Startgebühr von1Franken.

Circim Test


Der erste Eindruck auf dem Smart-
phone ist tadellos: Die App lässt sich
rasch installieren und führt den User
schnell durch die nötigen Schritte. Mon-
tags um 8Uhr erscheinen auf der Karte
im Aussenquartier eine Handvoll E-
Trottinette im Umkreis von 500 Metern.
Das Nächstgelegene hat aber zu wenig
Saft, wir müssen einige hundert Meter
in die falsche Richtung laufen. Ein Circ
lässt sich für5Minutenreservieren, das
ist praktisch.Wir beeilen uns, denn wir
wollen nicht, dass uns jemand «unser»
Trotti gleich nach Ablauf derFrist weg-
schnappt.Falls man sein Circ nicht fin-
det, kann man es «hupen» lassen.
Der Elektromotor ist kräftig, arbei-
tet aber meist zeitverzögert. Es ist nicht
ganz leicht, den Drehrauszubekommen.
Oft springt der Motor erstbeim zweiten
oder beim drittenVersuch an, was zum
Beispiel hinterherfahrendeVelofahrer
stört.Vor allem wenn man am Berg an-
fahren will, bockt das Gefährt; auf fla-
chemTerrain geht das besser. Ist der
Motor in Gang, funktioniert dasTrotti
ans tändig. Sogar eine eher steileFuss-
gänger- undVelorampe schafft derScoo-
ter. Das Handling während derFahrt ist
angenehm, die Bremsen funktionieren.
Es gibt eine Klingel und eine Halterung
fürs Smartphone, um dieRoute im Blick
zu h alten.

Trotti im Aussenquartier?


Die E-Trott inette sind für dieletzte
Meilekonzipiert.Aber können sie auch
die überfüllte S-Bahn vomAussenquar-
tier ins Zentrum ersetzen?Wir sind im
Test mit Scootern von der Manegg und
Oerlikon zum Bellevue undretour ge-
fahren.Das Fazit ist durchmischt.Auf
geraden, geteerten Strecken gleitet man
komfortabel dahin, doch sobald es un-
eben wird,rattert es gehörig. Man muss
auf Schlaglöcher und sogar auf abge-
schliffene Bordsteine achten, denn der
Scooter hat nur wenig Bodenfreiheit.
Auf Kies wird dieReise ebenfalls un-
sicherer.Die kleinen Antriebsräder be-
ginnen durchzudrehen, die Heimfahrt
wird zurRutschpartie.
Zudem lässt die Kraft desFahrzeugs
bei steilerenStrassen oder in Unterfüh-
rungen nach, so dass es manchmal Mus-
kelkraft braucht.Wir werden imTest so
langsam, dass dieVelofahrer hinter uns
zu fluchen beginnen.
Hinzukommt:In Aussenquartieren
ist die Dichte an E-Trottinetten nicht
hoch.Wer morgens eines ergattern will,
muss oft Hunderte Meter laufen, was
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