Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1
Montag, 22. Juli 2019 WIRTSCHAFT 17

WIRTSCHAFT IM GESPRÄCH


Fasziniert von der Migros


Der georgische Getränkeprod uzent Micheil Swimon ischwili überzeugt mit Unternehmergeist und will sein Land nach vorne bringen


CHRISTIANSTEINER, TBILISSI


Entmutigen lässt sich der Georgier
MicheilSwimonischwili nicht so schnell.
Ende der1990erJahre besuchte er als
21-jähriger Jungunternehmer Rivella.
Swimonischwili hatte einen Block da-
bei, um sich Notizen zu machen und zu
schauen, was er in seinemBetrieb in
Georgienkopierenkönnte. Nach dem
Besuch war er schockiert und dasPapier
leer.Alles war so modern, und er war
sich sicher, dass er so eineFabrik nie in
seinemLand wirdrealisierenkönnen.
ZweiJahrzehnte später kann der Unter-
nehmerdie Geschichte mit einem Grin-
sen erzählen. Der Georgier ist stolz, dass
er gerade die modernste Mineralwasser-
fabrik desLandes fertiggestellt hat und
über tausend Mitarbeiter beschäftigt.


250 Mill ionen Flaschenals Ziel


Doch ohne Hilfe des Schweizer Ge-
tränkeherstellers hätte es wohl nicht ge-
klappt.Swimonischwili ist dankbar, dass
ihm die Besitzerfamilie von Rivella da-
mals zweiLastwagen mit alten Maschi-


nen überlassen hat.Überhaupt spielt
die Schweiz für ihn eine zentraleRolle.
Der Georgier hat in Zürich Betriebs-
wirtschaft studiert und spricht fliessend
Deutsch. In der Limmatstadt machte
er ein erstes Mal Bekanntschaft mit der
Migros und zeigt sich hoch fasziniert
von der Geschichte des Detailhändlers.
Noch heute erinnert seinFirmenlogo an
das orange M der Migros. Er war damals
beeindruckt von deren Gründer Gott-
liebDuttweiler, der mit fünfLastwagen
angefangen und seineFirma zu einem
Imperium ausgebaut hat. «Als ich nach
dem Studium nach Georgien zurück-
kam, wollte ich etwas Ähnliches in mei-
nemLand aufbauen.»
Aus der Idee und einer kleinenFirma
mit fünf Angestellten ist die Magrabe-
li-Gruppe mit vierTöchtern entstanden.
Swimonischwili fertigt heute über 200
Produkte in Georgien. Der wichtigste
Pfeiler ist noch immer das bekannte Na-
beghlawi-Mineralwasser. Dank der neuen
Fabrik will der Georgier seinenAusstoss
auf 250 Mio. Flaschen imJahr erhöhen
und damit mehr als verdoppeln.Daneben
verarbeitet der 43-jährigeSwimonischwili

Früchte und Gemüse und stellt daraus
Säfte, Limonaden und andereKöstlich-
keiten her.Auch für internationale Mar-
ken produziert er in Georgien nach deren
Rezept. Die Produkte werden in über

zwanzigLänder exportiert.Nabeghlawi-
Mineralwasser steht auch in den USA
oder inJapanin denRegalen.
Wer bloss Geld habe, sei nichterfolg-
reich. Dies sei vorallem im postsowjeti-
schenRaum ein grosses Problem.Viele
Leute hätten das Gefühl, siekönnten
einfach etwas kaufen, aber sie verstän-
den nicht, was sie da täten.«Wenn Sie
mich morgens um drei wecken, dann
kann ich Ihnen jedeFrage zu Produk-

tion undVertrieb beantworten», sagt
der Unternehmer. Den ersten Liefer-
wagen hat er damals selber gefahren
und mit seinen Arbeitern die Flaschen
von Hand abgefüllt.

«Wettbewerb istgut»


DerKonzern möchte weiter wachsen.
Doch eine Expansion will gut überlegt
sein. Denn auf demWeltmarktkonkur-
riere Magrabeli mit Lebensmittelriesen
wie Nestlé oder Coca-Cola, erklärtSwi-
monischwili und fügt an, dass denKon-
sumenten imLaden nicht interessiere,
von wemdas Produkt stamme. Der
Kunde wolle Qualität zu einem guten
Preis. Daher überlege er sich genau, ob
man das Produkt international verkau-
fenkönne: «Haben wirKostenvorteile?
Wie erreicht man dieKunden?»Falls
nicht, dann sollte man es bleiben lassen,
meintSwimonischwili überzeugt.
Doch dieseKundenorientiertheit sei
in einemLand wie Georgien nicht leicht
zu vermitteln.Das Land warTeil der So-
wjetunion, alsoeine Planwirtschaft.Alles,
was produziert wurde,konnte man auch

verkaufen. Dies ist heute anders. «Es
herrschtWettbewerb,und das ist gut»,
sagt der Unternehmer.DennWettbe-
werb sei der einzigeWeg, um langfristig
Erfolg zu haben. Dies gelte auch für sein
Land, dem er gerne noch etwas zurück-
geben möchte, indem er Arbeitsplätze
schafft und jungen Menschen einePer-
spektive bietet. Georgien sei ein armes
Land. Dennoch wollten viele Leute hier
etwas erreichen. So spüre jeder seiner
Mitarbeiter, dass erTeil desAufbaus sei.
«Dieses Erlebnis kann nicht mit Geld ge-
messen werden», sagtSwimonischwili.
Ganz ohne Hilfe von aussen gehtes
aber nicht. Die Magrabeli-Gruppe er-
hielt über mehrereJa hre Unterstützung
und Kredite der Schweiz. DochSwimo-
nischwili betont, dass er jedenFranken
«inklusive Zinsen» zurückbezahlt habe.
Ihm sei wichtig, dass er seineSchuld
gegenüber den Schweizer Steuerzahlern
beglichen habe. Dieses Staatsverständ-
nis fehle in Georgien.In der Schweiz
verständen die Menschen, dass das Geld
nicht vom Staatkomme, sondern den
Bürgern gehöre.Doch Georgien brau-
che dafür noch Zeit.

Der grösste Einzelinvestor in Thessaloniki ist


ein russischer Oligarch mit griechischen Wurzeln SEITE 19


China forciert Konkurse bei defizitären Staatsbetrieben –


die Umsetzung wird sich schwierig gestalten SEITE 19


Als die Welt ein bisschen Ordnung erhielt


Vor 75 Jahren wurde im amerikanischen Bretton Woods das weltwi rtschaftliche Gefüge für die Nachkriegszeit geplant


THOMAS FUSTER


DieAussicht, einige Sommerwochen
im schwülenWashington verbringen zu
müssen, war dem britischen Ökonomen
John MaynardKeynes zuwider. Entspre-
chendfroh war er,dass imJuli 1944 eine
seitJahren geplanteKonferenz 900 Kilo-
meter nordöstlich von Amerikas Haupt-
stadt im kühlenFerienort BrettonWoods
stattfand. Ein kühlerKopf war dort
durchaus vonVorteil. So setzten sich die
730 Delegierten aus 44Ländern für das
dreiwöchigeTr effen, das diesen Montag
vor 75Jahren zu Ende ging, ein ehrgei-
ziges Ziel: Eine multilaterale Ordnung,
die derWeltwirtschaft nach Kriegsende
zu mehr Stabilität verhelfen sollte.


Im Schattender 1930er Jahre


Keynes vertrat in BrettonWoods die
britische Seite. Sein Gegenüber auf
amerikanischer Seite war Harry Dex-
terWhite. DieKonferenz stand unter
dem Eindruck der Grossen Depres-
sion der1930erJahre.Nach dem Bör-
sencrash von1929 hatten zahlloseStaa-
ten begonnen, sich gegen ausländische
Konkurrenz abzuschotten und dieWäh-
rungen abzuwerten. EinLand nach dem
anderen hob die Goldparität auf, um
mehr Geld drucken zukönnen. Es kam
zu einem ruinösen Abwertungswettlauf,
der alle Staaten in dieTiefe riss. Eine
solch selbstzerstörerische Dynamik,dies
derKonsens in BrettonWoods, galt es in
Zukunft zu verhindern.
Am 22.Juli 1944 konnten sich die
Delegationen auf eine neueFinanz-
architektur einigen. Sie basierte auf dem
Gold-Devisen-Standard mit dem Dollar
als Leit- undReservewährung. DieLän-
der verpflichteten sich, dieKurse ihrer
Währungen innerhalb engerBandbrei-
ten zum Dollar zu halten. Der Dollar
wiederum sollte von den Notenbanken
zu einem festenKurs in Gold eingelöst
werdenkönnen. ZurKontrolle dieses
Systemswurde der InternationaleWäh-
rungsfonds (IMF) ins Leben gerufen.
Gegründet wurde zudem dieWeltbank,
die denWiederaufbau in den kriegsver-
sehrten Staaten finanzieren sollte.


An die Stelle nationaler Alleingänge
trat somit ein ausgeklügeltesRegel-
werk internationalerKooperation und
Koordination. Dieses Konstrukt trug
in den ersten 25Jahren nach Kriegs-
ende tatsächlich zur Stabilisierung der
Währungspolitik bei. Hinzu kam das in
BrettonWoods ebenfalls verabschie-
dete «General AgreementonTariffs
andTr ade» (Gatt), das später durch die
Welthandelsorganisation (WTO) ab-
gelöst wurde.Zölle,Abgaben und an-
dere Handelshemmnisse wurden abge-
baut.Das stimulierte den Güterhandel,
führte zu mehrRechtssicherheit und
steigerte denWohlstand.
Währungspolitischsteckt heutenicht
mehr viel «BrettonWoods» in derWelt-

wirtschaftsordnung. Sozeigten sich gegen
Ende der1960erJahrebald die inneren
Widersprüche desSystems. Weil dieWelt-
wirtschaft wuchs, mussten immer mehr
Dollars gedruckt werden.Das unter-
höhlte dasVertrauen, dass jeder Dollar
in einem festenVerhältnis in Gold um-
tauschbar war.Ausserdem kamen die
USA als Leitwährungsland ihrer stabi-
litätspolitischenVerantwortung immer
wenig nach. ZurFinanzierung sozialpoli-
tischerReformen («Great Society») und
desVietnamkriegs wurde eine stark infla-
tionärePolitik betrieben.
1971 gaben die USA einseitig die
Aussetzung der Goldeinlösung des
Dollars bekannt – ein Ereignis, das als
«Nixon-Schock» in die Geschichte ein-

ging. Viele Notenbanken waren in der
Folge nicht länger bereit, zugunsten sta-
bilerWechselkurseamDevisenmarkt zu
intervenieren und die Inflationspolitik
der USA mitzutragen. 1973 erfolgte da-
her der Übergang zu flexiblenWechsel-
kursen. Die Zäsur hatte weitreichende
Konsequenzen. So zerfiel die letzte noch
verbliebene Bindung derWährungenan
einreales und knappes Gut wie Gold.
Geld war in derFolge nicht mehr in ein
reales Gut einlösbar und daher belie-
big vermehrbar. Es begann die Zeit des
Fiat-Geldes,nach dem lateinischenAus-
druck «fiat», der bedeutet:«Es werde!»
Mit diesemWechsel verlor das Bret-
ton-Woods-Systemzwar seine Schar-
nierfunktion imWährungsgefüge. Das

Systemkollabierte aber nicht vollstän-
dig. Der IMF, dieWeltbank und die
WTO sind bis heute wichtige Pfeiler
der multilateralen Ordnung.Verschoben
haben sich indes die ökonomischen Ge-
wichte. Die USA sind längst nicht mehr
so dominant wie noch zu Kriegsende
und auch immer weniger gewillt, bei der
Ordnung des globalenFinanzsystems
die Führungsrolle zu übernehmen.
Schwellenländer wie China und Indien
drängen nach vorne. LautPrognosen des
IMF dürfte der Anteil der Industrielän-
der am globalen Output in den nächs-
ten 25Ja hren von mehr als der Hälfte
auf einen Drittel schrumpfen.

Antithesezu « Americafirst»


Ausserdem haben sich neueForeneta-
bliert, welche die Bretton-Woods-Insti-
tutionen teilweisekonkurrieren.Dazu
gehören nicht nur Entwicklungsbanken
wie etwa die vonPekinglancierte Asian
Infrastructure InvestmentBank (AIIB).
Zu nennen sind auch die Tr effen der G-
oder dasFinancial Stability Board (FSB).
Zur Attraktivität solcherForen gehört,
dass deren Empfehlungen nicht bindend
sind und denRegierungen Spielräume
offenlassen. Der IMF und dieWeltbank
begegnen derKonkurrenz durch eine
ständigeAusweitung ihrer Aktionsfelder;
vom Klimawandel über die Geschlech-
terfrage bis zur Einkommensverteilung
sieht man sich für fast alles zuständig.
DieserTage wird mit vielWehmut vom
«Geist von BrettonWoods» gesprochen,
denn der Multilateralismus befindet sich
in der Defensive. Ohne DonaldTr ump
beim Namen zu nennen, sprach der inte-
rimistische IMF-Chef David Lipton
letzteWoche vom Risiko einer Umkehr
der Bretton-Woods-Dynamik.Tatsäch-
lich tönen dieWorte des amerikanischen
Finanzministers Henry Morgenthau zum
Abschluss der Bretton-Woods-Konferenz
wie eine Antithese zu «America first»: Es
habe sich gezeigt, dass es «keine Unver-
einbarkeit zwischen der Hingabe zu unse-
renLändern und gemeinsamem Han-
deln» gebe.Vielmehr gelte: «Der einzige
Schutz für unser nationales Interesse be-
steht in internationalerKooperation.»

Derbritische ÖkonomJohn MaynardKeynesspricht imJuli 1944 zu denTeilnehmern der Bretton-Woods-Konferenz. IMAGO

Micheil
Swimonischwili
Georgischer
NZZ Unternehmer
Free download pdf