Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1

Montag, 22. Juli2019 WIRTSCHAFT 19


Der russische König von Thessaloniki


Der Oligarch Ivan Savvidis is t der wichtigste Einzelinvestor in Griechenlands zweitgrösster Stadt – eine Spurensuche


VOLKERPABST, THESSALONIKI


Am 21.April diesesJahres warThessa-
loniki imAusnahmezustand. Zum ers-
ten Mal seit 34Jahren hatte der wich-
tigsteFussballklub der nordgriechischen
Hafenstadt wieder die Meisterschaft
gewonnen. Knapp zwei Monate spä-
ter setzte derVerein noch einen oben-
drauf: ImJuni entschiedPaokThessalo-
niki auch denCup-Final gegen einen der
Erzrivalen aus Athen für sich. Der dop-
pelteTr iumph macht die zurückliegende
Saisonzur erfolgreichsten derVereins-
geschichte – und dasJahr für viele der
leidenschaftlichen Fussballfans wohl
zum schönsten ihres Lebens. «Es gab
in den letztenJahren nicht viele Dinge,
über die man glücklich seinkonnte»,
versucht einPolitiker dem ausländi-
schen Gast die Euphorie in der Stadt zu
beschreiben.


EinstigerTabakunternehmer


Hinter dem Erfolg stehen die Spieler
und derTr ainer, aber vor allem steht da-
hinter ein russischer Oligarch mit grie-
chischenWurzeln: Ivan Savvidis. Seit-
dem der Milliardär den Klub vor sieben
Jahren gekauftund somitvor der Insol-
venz gerettet hat, geht es wieder auf-
wärts – mitPaok und gewissermassen
auch mitThessaloniki. Denn Savvidis
investiert nicht nur Geld in denVerein
und in teureSpielertransfers. Mittler-
weile sindauch das «MacedoniaPalace»,
das berühmteste Luxushotel der Stadt,
der Getränkekonzern Souroti, einige
Medientitel und, seit März 2018, auch
Anteile am Hafen vonThessaloniki in
seinemBesitz. Savvidis ist mit Abstand
der wichtigste Einzelinvestorin der
zweitgrössten griechischen Stadt.
Ivan Savvidis hat eineTellerwäscher-
karriere hinter sich: Zu Sowjetzeiten
in Georgien geboren und in der süd-
russischen Stadt Rostow aufgewach-
sen, arbeitete sich der Angehörige der
kleinen Minderheit derPontos-Grie-
chen vom Arbeiter zum Geschäfts-
führer und später zum Mehrheitseigner
von DonskoiTabak hoch, das er zum
grösstenTabakunternehmen der ehe-
maligen Sowjetunion machte. Eine der
ersten Investitionen inGriechenland
nach dem Engagement beimFussball-
klubPaok war der Kauf des nordgriechi-
schenTabakunternehmens Sepak.
Mittlerweile hat Savvidissein gesam-
tes Zigarettengeschäft abgestossen. Im


vergangenenJahr ging DonskoiTabak
für1,3 Mrd. € anJapanTobacco über.
Die nächste Grossinvestition ist der
Neubau des Stadions für 100 Mio.€. Mit
einer Kapazität von mehr als 35 000 Zu-
schauern soll es das grössteVereinssta-
dion desLandes werden.Das Kräfte-
messen mit Athen ist inThessaloniki über
denFussball und die drei dortigen Spit-
zenklubs hinaus von grosserBedeutung.

GeheimnisvollerWohltäter


Welche Strategie Savvidis, der seit eini-
genJahren Ehrenbürger Griechenlands
ist, aber vorwiegendRussisch spricht, mit
den Investitionen in der Heimat seiner
Ahnen verfolgt,ist umstritten. Kaum
Zweifel bestehen daran,dass die Rettung
des traditionsreichenFussballklubs nicht
nur auf den unter Superreichen verbrei-
tetenWunsch zurückgeht, ein Sport-
team zu besitzen. Savvidis dürfte damit
auch gezielt seinePopularität gefördert
und somit die Akzeptanz für ein weite-

res Engagement in der Stadt geschaffen
haben.Lokale Geschäftsleute sprechen
von einer strategischen Investition.
Tatsächlich hört man kaum ein
schlechtesWort über den geheimnis-
vollenWohltäter, der selten Interviews
gibt und die meiste Zeit inRussland
lebt.Dass er aus Empörung über einen
Schiedsrichterentscheid vergangenes
JahrmiteinerPistole im Halfteraufs
Spielfeldrannte, hat man ihm längst ver-
ziehen. Seither darf er auf Geheiss des
griechischenFussballbunds für meh-
rereJahrekeinem Spiel mehr beiwoh-
nen.«Wir wagen uns nicht vorzustellen,
wo wir ohne ihn wären», sagt Ioannis Di-
mogiannis, der Projektverantwortliche
beiPaok für den Neubaudes Stadions.
Ohnehin sei die ganze Pistolen-Affäre
ein unglücklichesVersehen gewesen, das
medial aufgebauscht worden sei.
«Paok ist sehr wichtig in dieser
Stadt. Mit dem Klub und seinenFans
imRücken geht vieles einfacher»,er-
klärt ein Mitglied der Handelskammer

vonThessaloniki.Kommt hinzu, dass
Paoks Gefolgschaft überFussballfans
hinausgeht.Das K imVereinsnamen
steht fürKonstantinopel, die griechi-
scheBezeichnungIstanbuls. Thessalo-
niki, dessen einst äusserst heterogene
Bevölkerung bis ins frühe 20.Jahr-
hundert nur zu einer Minderheit aus
orthodoxen Griechen bestand, ist eine
Stadt der Einwanderer aus Kleinasien
und später aus der ehemaligen Sowjet-
union. UndPaok ist ihr Klub.

Politischer Einfluss


Dass dies auch Möglichkeiten zu poli-
tischem Einfluss eröffnet, liegt auf der
Hand.Während die grossenReederei-
familien in derRegel die Nähe zu den
etabliertenParteien pflegen, stand Sav-
vidis, derAussenseiter, lange dem poli-
tischen Newcomer Alexis Tsipras nahe.
Eine Gesetzesänderung, die demTabak-
konzern Sekap einenAuswegaus einem
Bussverfahren wegen Schmuggeldelik-

ten ermöglichte, wurde von vielenals
versteckte Hilfeleistung von Tsipras’ da-
maligerRegierung für Savvidis gesehen.
DasVerhältnis hat aberimZuge des
Prespa-Abkommens, mit dem Tsipras
und sein Amtskollege in Skopje einen
jahrzehntelangen Namensstreit beigelegt
hatten,gelitten. Russland hatte sich gegen
die Umbenennung von Griechenlands
nördlichem Nachbarn in Nordmazedo-
nien ausgesprochen, die demLand den
Weg in die Nato ebnete.DerVerdacht,
Savvidis unterstütze Gegner des Abkom-
mens, wurde sowohl in Griechenland als
auch in Nordmazedonien erhoben. Der
griechischstämmige Milliardär ausRuss-
land hat sich immer wieder für eine enge
Zusammenarbeit zwischen Athen und
Moskau ausgesprochen.

UnbehaglicheNähe


Wenn man inThessaloniki doch einmal
ein leises Unbehagen vernimmt über
den wachsenden Einfluss des russischen
Geschäftsmanns, istesin diesemZusam-
menhang. Obwohl viele Griechen aus
historischen und vor allemreligiös-kul-
turellen Gründen traditionell russland-
freundlich sind, fragen sich einige hinter
vorgehaltener Hand, wie gesund die her-
ausgehobene Stellung eines offenen Be-
wunderers Putins für die Stadt ist. Zitie-
ren lassen möchten sie sich aber nicht,
besonders nicht diePolitiker.
ImWesten sorgte vor allem die Betei-
ligung von Savvidis’ Belterra Investment
Ltd. an dem geostrategischbedeutsa-
men Hafen der Stadt für Stirnrunzeln.
WährendJahrhunderten warThessalo-
nikiaufgrund der günstigenLage alsTo r
zumBalkan weit wichtiger als Athen.
Der Hafen hat auch heute noch eini-
gesPotenzial. Belterra ist allerdings nur
Teil eines Betreiberkonsortiums, dasvon
Deutsche Invest EquityPartners (Diep)
geführt wird und an dem auch die fran-
zösischeTerminal Link beteiligt ist.
Konstantinos Philis, ein Experte für
griechischeAussenpolitik in Athen, er-
klärt dazu:«Esist wichtig, einenAusgleich
zu schaffen.Das ist derRegierung gelun-
gen, schliesslich gingThessaloniki nichtan
China, das bereits den Hafen von Piräus
kontrolliert.»Aber natürlich müsse Grie-
chenland mit seinem enormenFinanzie-
rungsbedarf grundsätzlich für alle Inves-
toren offensein, insbesondere wenn das
Interesse aus Europa nur verhalten sei.
«In der Not kann man bei seinenFreun-
den nicht allzu wählerisch sein.»

Ein Fandes griechischen FussballmeistersPaok Thessaloniki trägt dasPappantlitz vonVereinspräsident Ivan Savvidis. IMAGO

China willZombie-Firmen eliminieren


Peking treibt R eformen vo ran und forciert damit Konkurse bei defizitären Staatsbetrieben


MICHAEL SETTELEN


Die chinesische Nationale Entwick-
lungs- undReformkommission (NDRC)
verabschiedete vergangeneWoche einen
Plan, mit dessen Hilfe Staatsunterneh-
men einfacher inKonkurs gehenkönnen.
Demnach sollen Behörden einer Pleite
staatlicherFirmen, welche die Kriterien
für eine Liquidation erfüllen, nicht mehr
imWege stehen.Das heisst:Weder Zen-
tral- nochProvinzregierungen dürfen
kriselndeFirmen mit öffentlichem Geld
künstlich am Leben halten, auch wenn
Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.


Grosse Last fürden Staat


Der NDRC-Bericht machte klar, dass
man einen fairenWettbewerb durch-
setzen undFehlallokationen, oft her-
vorgerufen durch zu grosse Interven-
tionen seitens der Behörden, bekämp-
fen werde. DieRegierung solle «dem
Markt eine entscheidendeRolle in der
Allokation vonRessourcen schenken,
denWettbewerb standardisieren und
Marktverzerrungen reduzieren». Da-
mit machtPeking deutlich, dass sol-
che industriepolitischen Massnahmen
beidefizitären Staatsbetriebenkeine
Zukunft mehr haben. Die Ankündi-


gung folgt auf das im Dezember ausge-
gebene Ziel, sogenannte Zombie-Fir-
men bis Ende 2020 zu eliminieren. Sol-
che Unternehmen, bei denen schon seit
langem die Gewinne ausbleiben,stellen
mittlerweile eine grosseLast für China
dar.Der Schuldenbergbei Staatsbetrie-
ben betrug Ende Oktober16,5 Bio.$.
Die defizitären Unternehmen wur-
den lange Zeit nicht angerührt. Zu wich-
tig waren fürPeking die Arbeitsplätze.
Dies scheint sich nun zu ändern. Besteht
noch Hoffnung auf einenTurnaround,
sollen Zombie-FirmenTeile liquidieren,
sichrestrukturieren oder sich mit pro-
fitableren Unternehmen zusammen-
schliessen. Besteht diese Hoffnung nicht
mehr, ist mitder neuenVerordnung jetzt
derWeg zurTotalliquidation frei. Bisher
bevorzugtePeking Übernahmen und
Zusammenschlüsse. Im ersten Halbjahr
2019 schoss die Zahl der Übernahmen
bei Staatsfirmen auf 644 in die Höhe,
mehr als doppelt so viele wie imVo r-
jahr. AmYuan-Volumen gemessen, er-
reichten die Übernahmengar das Drei-
fache desVorjahres. Klar ist: Der Druck
hin zu mehr Effizienz und Produktivität
steigt auch im chinesischen Staatssektor.
Die «Zombies» sind Altlasten aus der
Zeit nach derFinanzkrise. Als die inter-
nationale Nachfrage auf denWeltmärk-

ten nach 2008 nahezu wegfiel, entschied
Peking kurzerhand, seine Staatsbetriebe
mitgünstigen Kreditenzu stützen,umso
die lahmende heimischeWirtschaft wie-
der anzukurbeln. Seit längerem ist je-
doch klar, dass diese Praxis zwar kurz-
fristig für Stabilität und Arbeitsplätze
sorgte. Sie führte aber auch zu massiven
Überkapazitäten in den Stahl-, Kohle-,
Alu- und Zementindustrien desLandes.
Der Heimmarktkonntedie Unmengen
produzierterWarenicht absorbieren.
Im gleichen Zuge stieg auch die Unter-
nehmensverschuldung gemessen am
Bruttoinlandprodukt: von 93,1% Ende
2008 auf155,1% EndeJuni 2018. Über
dreiViertel davonentfallen auf Staats-
betriebe. ImVergleich: InJapan beträgt
sie 100%, in den USA74%.

Auch der äussereDruck steigt


Im Gegensatz dazu gehen private
Unternehmen bei der Kreditvergabe
oft leer aus. DieBanken bevorzugen
Staatsbetriebe alsKunden, da man hier
mit einer Staatsgarantierechnet. Geld
wurde so überFehlanreize in unproduk-
tivereSektoren derWirtschaft gelenkt,
obschon die Privaten mehr als 60% zum
Wirtschaftswachstum beitragen und für
mehr als 80% der neugeschaffenen

Arbeitsplätze in Städten sorgen.So sank
die Kapitalrendite gemäss Andrew Bat-
sonvomForschungsdienst Gavekal Dra-
gonomics von19% noch vor derFinanz-
krise bis 20 17 auf 8,4%. Schon seit län-
gerem versuchtPeking, dies zu ändern,
bis jetzt mit wenig Erfolg.
Dass die Ankündigung der NDRC
kurz nach den am Montag veröffent-
lichtenWirtschaftsdaten für das zweite
Quartalkommt,könnte auch mit stei-
gendem Druck inPeking zusammenhän-
gen.Denn während die Staatsfirmen im
abgelegenen Nordosten oder in Zentral-
chinadurchaus noch eine wichtigeRolle
imWohlfahrtssystem Chinas spielen,
verkommen sie wirtschaftlich zu einem
teuren Bremsklotz. ChinasWirtschaft
wuchs im Zeitraum von April bisJuni
nur noch um 6,2% imVergleich zurVor-
jahresperiode– ein neuerTiefpunktseit
dem Start der Messungen1992.
Auch der äussere Druck aufPeking ist
in den vergangenen Monaten stetig ge-
stiegen und dürfte nichtso bald abklin-
gen. Sowohl die USA als auch die EU
haben vermehrtKritikam chinesischen
Staatskapitalismus geäussert.Dabei ist
Brüssel undWashingtoneinerseits der
Umstand ein Dorn imAuge, dass Chi-
nas Staatsbetriebe gezielt für die indus-
triepolitischen AmbitionenPekings ein-

gespannt werden. Zum anderen führen
Subventionen zu verzerrten Märkten,
Überkapazitäten und letztlich zu Pro-
dukten mitDumpingpreisen. Insofern
sindPekings Bekenntnisse zu mehrWett-
bewerb und Markt zu begrüssen.

Die Umsetzungist schwierig


In denkommendenWochen werden die
zuständigen Ministerien die Details aus-
arbeiten müssen. Klar ist: Einfach wird
dieUm-undDurchsetzung der Direktive
nicht werden. Denn am Ende entschei-
den noch immer die Provinzregierungen
über «Zombies». Und für diese stehtim
in terregionalenWettbewerb einiges auf
dem Spiel.Peking misst Leistung und Er-
folgderParteisekretäre in den Provinzen
nach wie vor stark amWirtschaftswachs-
tum und an der Stabilität in ihrer Pro-
vinz. Und Staatsfirmen schaffen sowohl
Arbeitsplätze als auch Steuersubstrat.
Davon hängen mitunter spätere Kar-
rieresprünge in derParteihierarchie ab.
So könnte sich das chinesische
Sprichwort «shang you zhengce, xia
you duice» auch hier bewahrheiten.
Frei übersetzt:«Die da oben haben ihre
politischen Massnahmen, aber wir hier
unten haben unsere Gegenmassnah-
men.» Es wäre nicht das erste Mal.
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