Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1

2INTERNATIONAL Montag, 22. Juli 2019


Abe freut sichvor einerTafel mit siegreichen Kandidaten über dieResultate. BLOOMBERG

Neuer Massenprotest


in Hongkong


(dpa)· Beieinem neuen Massenprotest
gegen das umstritteneAuslieferungs-
gesetz in Hongkong ist es zu Zusam-
menstössen gekommen. Sicherheits-
kräfte setzten am SonntagTr änengas
ein, um Aktivisten zu vertreiben, die
Strassen blockierten. Erstmals richtete
sich der Protest nicht mehr nurgegen
die HongkongerRegierung, sondern
auch direkt gegenPekingsVertretung.
Nach dem Protestmarsch zogen De-
monstranten zumVerbindungsbüroder
chinesischenFührung.Einige bewar-
fen das Gebäude mit Eiern und schwar-
zerFarbe.Auch das Emblem derVolks-
republik wurde beschmutzt. Chinas
Staatsmedienreagierten empört.Das
Verbindungsbüro verurteilte den An-
griff als Herausforderung derAutorität
derPekinger Zentralregierung und des
Grundsatzes «EinLand, zweiSysteme».


IN KÜRZE


Demonstranten fordern
freie Wahl in Moskau
(afp)· Mehr als 20 000 Demonstranten
sind in Moskau für eine freieKommu-
nalwahl auf die Strasse gegangen. Sie
protestierten am Samstag im Zentrum
der russischen Hauptstadt gegen den
AusschlussDutzender von Oppositions-
kandidaten für die im September ange-
setzte Wahl. Unter denTeilnehmern war
auch der prominente Kremlkritiker Ale-
xei Nawalny. 16Oppositionskandidaten
warfen Moskaus Bürgermeister Sergei
Sobjanin in einer gemeinsamen Erklä-
rung vor, eine politische Krise in der
Hauptstadt auszulösen.

Britische Minister
kündigen ihren Rücktritt an
(dpa)· Die britischen Minister fürJus-
tiz undFinanzen,David Gauke und Phi-
lip Hammond, haben ihrenRücktritt
angekündigt. Beide gehen davon aus,
dass BorisJohnson neuerRegierungs-
chef wird. Siekommen so einem Hin-
auswurf durch den Brexit-Hardliner zu-
vor.Erkönnekeinenvertragslosen Bre-
xit unterstützen, mitdemJohnsondrohe,
sagte Hammond.Ähnlich begründete
GaukeseineRücktrittsabsichten.

Legendärer Kämpfer ge gen
Korruption gestorben
(dpa)· Der ehemalige Mailänder Ober-
staatsanwaltFrancesco Saverio Borrelli
ist amWochenende mit 89Jahren gestor-
ben. Staatspräsident Sergio Mattarella
würdigte ihn als Mann, der immer dem
Respekt der Gesetze verpflichtet gewe-
sen sei und derRepublik inTr eue gedient
habe.Borrelli war Chef einesFahnder-
teams, das in den neunzigerJahrenKor-

Kreuzfahrtschiff
nimmt 111 Migrant en auf
(dpa)· Das Kreuzfahrtschiff «Marella
Discovery» hat vor der griechischen
HalbinselPeloponnes 111 Migranten
aufgenommen, die auf demWeg nach
Italien in Seenot geraten waren. Sie
wurden zum griechischen Hafen Kala-
mata gebracht.Das teilte die griechische
Küstenwache am Sonntag mit. Seit die
Balkanroute weitgehend geschlossen
ist, versuchen viele Migranten, mit von
Schleppern organisierten Überfahrten
aus Griechenland oder direkt aus der
Türkei nach Italien zu gelangen.

Erste Wahl in Pakistans
Stammesgebieten
(dpa)· Erstmals in der71-jährigen Ge-
schichtePakistans haben Einwohner der
unsicheren Stammesgebiete im Nord-
westen desLandesVertreter für ein Pro-
vinzparlament gewählt. Mit einerVer-
fassungsänderung imVorjahr waren die
Sonderterritorien an der afghanischen
Grenze, in denen jahrelang Extremisten
Unterschlupf gefunden hatten, in die
Nachbarprovinz Khyber-Pakhtunkhwa
eingegliedert worden.Dank der Re-
form waren amWochenende knapp drei
Millionen Menschen berechtigt, Abge-
sandtein dasProvinzparlament zu wäh-
len.Fast 35 000 Angehörige der Sicher-
heitskräfte überwachten dieWahl.Dass
nachJahren des Anti-Terror-Kampfes
nun gewählt werdenkonnte, löste unter
den Bewohnern vorsichtigen Optimis-
mus aus. Fernsehbilder zeigten lange
Schlangen vorWahllokalen. Alle gros-
sen pakistanischen Parteien stellten
Kandidaten.Eswurde erwartet, dass die
Partei von Premierminister Imran Khan
den Grossteil der Sitze gewinnen würde.

ruptionsermittlungen geführt hatte. Diese
gingen unter dem Namen «Mani Pulite»
(Saubere Hände) in die Geschichts-
bücher ein. DieFahnder brachten damit
die sogenannte «Schmiergeldrepublik»
zuFall. Innerhalb weniger Monate klag-
ten siereihenweise Spitzenpolitiker und
Geschäftsleute an und legten das Ge-
flecht von Geben und Nehmen zwischen
Politik undUnternehmen bloss.

Am Protestmarsch nahmen nach An-
gaben der Organisatoren 430 000 Men-
schenteil, nach Schätzungen derPolizei
138000. Es gab auch Zusammenstösse
zwischenregierungsfreundlichen Grup-
pen und Demonstranten. Schläger in
weissenT- Shirts schlugen am U-Bahn-
hofYuen Long mit Stöcken auf De-
monstranten ein.

AUFGEFALLEN


Gemeindeangeste llte


sollen arbe iten, nicht be ten


Ingrid Meissl Årebo, Stockholm· PernillaFranklin ist gespannt
auf ihre Strafe. Die Sozialsekretärin hat sich bei ihrem Arbeit-
geber, der südschwedischen Gemeinde Bromölla, selbst ange-
zeigt – weil sie während der Arbeitszeit bete. Dasie mit Kin-
dern in Not zu tun habe, sende sie täglich stille Gebete zum
Himmel und bitte Gott um Geduld und kluge Entscheide.
Dies ist jedoch seit Anfang Monat in Bromölla verboten.
Der Gemeinderat stimmte mit knapper Mehrheit für einVer-
bot von Gebetsstunden für öffentlich Angestellte während der
Arbeitszeit, egal welcherReligion diese angehörten. Man be-
fürworte zwarVielfaltund Pluralismus,wolle aber vermeiden,
dass Einzelne «religiösen Manifestationen» ausgesetzt wür-
den. Dieneue Richtlinie stammt, wenig überraschend, aus
derKüche derrechtsnationalen Schwedendemokraten, die
seit denWahlen vom Herbstin fünf schwedischen Gemein-
denregieren, in Bromölla zusammen mit denKonservativen
und denChristlichdemokraten. Probleme mit Angestellten, die
regelmässig ihreArbeitniederlegen,umzubeten,hatte es im
Ort bisherkeine gegeben. Die Massnahme seirein präventiv,
erklärte derrechtsnationale Gemeindepräsident.
Die einstige sozialdemokratischeKommunalpolitikerin
Franklinwill mit ihrer Selbstanzeige die Absurditätdes Ent-
scheids hervorheben.Dieser verstosse gegen dieReligionsfrei-
heit und deute an, dass aktive Gläubige, und vor allem Mus-
lime, in Bromölla nicht willkommen seien.
Auch auf nationaler Ebene beschäftigt das Gebetsverbot:
BeimJustiz-Ombudsmann sowie beimVerwaltungsgericht
sind Klagen eingegangen, zudem hat der Diskriminierungs-
Ombudsmann eine Untersuchung eingeleitet.Auf dasVerdikt
ist nicht nurFranklin gespannt.Wie die neue Richtlinie zu inter-
pretieren und zukontrollieren ist und was für Sanktionen bei
Verstoss ausgesprochen werdensollen, scheint auch der Ge-
meindeverwaltung von Bromölla nicht ganz klar zu sein. Der
Personalchef sagte unlängstgegenüber demFernsehen, dass
die stillen Gebete der Sozialsekretärin wahrscheinlich in Ord-
nunggingen, da sie ja ihren Arbeitsplatz dafür nicht verlasse.

Japans Regierungschef gestärkt


Trotz Wahlsieg bleibt das Projekt einer Verfassungsänderung in der Schwebe


koe. Tokio· Erst klebteJapans Minis-
terpräsident Shinzo AberotePapier-
blumen hinter die Namen derWahl-
sieger seiner Liberaldemokratischen
Partei.Dannstellte er sichgut gelaunt
denMedien.Schliesslich hatte seine
KoalitionmitderKomeito-Partei in den
Teilwahlen zum Oberhaus zum sechsten
MalinFolge einenWahlsieg eingefah-
ren. Abe sieht darin einen Beweis da-
für, dass dieWähler stabileVerhältnisse
wünschen. Er wollte in einem Interview
sogar denAuftrag erkennen,sichnun
derRevision der pazifistischenVerfas-
sungJapans zu widmen.
Tatsächlich gibt es an seinem Sieg
nichts zu deuteln. In dieserWahl wur-
den 124 der künftig 245 Sitze in der obe-
ren Kammer desParlaments neu verge-
ben. DieKoalition holte nach jüngstem
Stand mindestens 66 Mandate und wird
damit ihre absolute Mehrheit problem-
los verteidigen. Gemeinsam mit dem
oppositionellenkonservativenWahlver-
band Isshinkönnte dieFront derVer-
fassungsreformer sogar ihre Zweidrit-
telmehrheit im Oberhaus verteidigen.
Auch wenn sie dieses Ziel knapp verfeh-
len sollte,könnte dasLager möglicher-
weise später ein paar unabhängige Kan-
didaten überreden.Damit würde Abe in
beiden Kammern desParlaments über
Zweidrittelmehrheiten verfügen, die
neben einemReferendum fürVerfas-
sungsänderungen notwendig sind.
AbesWahlsieg war erwartet wor-
den.Dabei hatte der Ministerpräsident
Dinge versprochen, die in anderenLän-
dern als politischer Selbstmord gelten
würden. Er will im Oktober die Mehr-

wertsteuervon acht auf zehn Prozent er-
höhen. Zudem hat er seinerPartei die
Verfassungsreform insWahlprogramm
geschrieben, die laut Meinungsumfragen
in der Bevölkerungkeine Mehrheit fin-
det. Denn die meistenJapaner hängen
amArtikel 9 derVerfassung, der nach
der bisherigen Interpretation den Ein-
satz von Gewalt fast ausschliesslich auf
die Selbstverteidigung beschränkt und
Kampfeinsätze imAusland unmöglich
macht.
Doch demRegierungschef kam zu-
gute, dass die linkszentristischen oppo-
sitionellen Demokraten nach ihrem kur-

zen dreijährigenInterregnum von 2009
bis2012 nicht wieder zum Hoffnungs-
träger der enttäuschten Massen gewor-
den sind. Abes Problem ist allerdings,
dass eine Zweidrittelmehrheit in bei-
den Kammern desParlaments ihm nur
theoretisch denWeg zu einerVerfas-
sungsänderung offenhält. Praktisch ist
seine Mission genauso schwierig wie
bisher. Denn dieParteien haben unter-
schiedlicheVorstellungen darüber, wel-
che Artikel wie verändert werden sollen.
Daher hat Abe selbst nach sechsJahren
Amtszeit noch immerkeinen tragfähi-
ge n Kompromiss ausarbeitenkönnen.

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