Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1
Montag, 22. Juli 2019 GELD & FINANZEN 21

Diesen Regeln folgt der Börsen handel


Wie kommt ein Aktienkurs zustande, welche Auftragsarten gibt es , und wann wird der Handel ausgesetzt?


WERNER GRUNDLEHNER


«Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaf-
tabletten, und schauen Sie diePapiere
nicht mehr an. NachvielenJahren wer-
den Sie sehen: Sie sindreich», dieses
Bonmotwirddemungarischen Börsen-
undFinanzexperten AndréKostolany
zugeschrieben.Wer die Entwicklung der
Aktienindizes überJahrzehnte betrach-
tet,muss dem bekannten Spekulanten
recht geben. GemässDaten der Privat-
bank Pictet weisen Schweizer Aktien
seit demJahr1926 eine durchschnitt-
licheJahresrendite von7, 6% auf.
Im gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld
wäre es sinnvoll, in Aktienzuinvestieren



  • auch weil die Dividendenrendite bei
    vielen Unternehmen höher ist als der
    Zins, den die gleicheFirma auf ihren
    Anleihen zahlt.Aktien sind risikobehaf-
    tet, deshalb muss dasPortfolio diversi-
    fiziert sein.Das kann man mit einem
    Exchange-TradedFund (ETF) erreichen

  • oder man kann selbst ein diversifizier-
    tes Depot verwalten. Um am Aktien-
    markt mitmischen zukönnen, braucht
    der Investor ein Aktiendepot bei einer
    Bank. Unabdingbar sind auchFinanz-
    undWirtschaftswissen. DieserText be-
    schäftigt sich aber nur mit dem techni-
    schen Ablauf des Aktienhandels.


Die Schweiz, einPion ier


Die Schweizer Börse war die erste, die
imJahr1996 für den Aktienhandel so-
wie dieVerwahrung auf ein vollelektro-
nischesSystem wechselte. Zuvor wurden
die Dividendenpapiere im Ringhandel
«à la criée» gehandelt. Die Ringhänd-
ler erhielten dieAufträge derKunden
in den sogenannten Ringbüros perTele-
fon und setzten sie mit anderen Händ-
lern um, indem Angebot und Nach-
frage in den Ring «geschrien» wurden.
Die heutigenVolumen wären mit dieser
Methode gar nicht mehr zu bewältigen.
Bis vor wenigenJahren waren die
nationalen Börsen mehr oder weniger
Monopolisten. Die an der Heimatbörse
kotierten Aktien wurden meist zu 100%
an dieser gehandelt. EinzelneValoren
waren auch an ausländischen Börsen
zweitkotiert. ImJahr1998 trat in den USA
dieRegulierungfür AlternativeTr ading
Systems in Kraft. Die EU zog imJahr
2007 imRahmender EinführungMifid I
nach. So wurde der Handel über alterna-
tive Handelsplattformen erlaubt. Zudem
wurde esBanken und Brokern erlaubt,
Kundenaufträge zuerst intern zu saldie-
ren (Netting) und nur die übrigenAuf-
träge weiterzuleiten.Rund dreiViertel der
Schweizer Aktien wurden bis zum1. Juli,
als die EU die Börsenäquivalenz der SIX
Swiss Exchange nicht mehr anerkannte,
in der Schweiz gehandelt. DerRest über
alternative Börsen. Den grössten Anteil
hielt mit rund15% die CBOE Europe.
Das neue Orderbuch von Schwei-
zer Aktien ist auf derWebsite der SIX


Group unter «Marktdaten» für jeder-
mann einsehbar. Dort findet man die In-
formationen darüber, wie viele Aktien
Käufer zu welchem Preis suchen und
zu welchenKonditionen Aktien ange-
boten werden (Zusammenfassung).Be-
vor ein Börsenauftrag aufgegeben wird,
kann sich der Blick auf diese Site loh-
nen, um sich ein Bild darüber zu ma-
chen, welcher Preisrealistisch ist und
wo die Kaufs- bzw.Verkaufs-Limite ge-
setzt werdensollte.

Vorgaben fürAufträge


Zu offenenAufträgenkommt es, wenn
sich Kauf- undVerkaufsaufträge mit
passenden Preisvorstellungen nicht in
derBalance befinden. Börsenaufträge
können mit gewissenVorgaben aufge-
geben werden. Die einfachste Art ist
der «Bestens»-Auftrag. Die Aktie soll so
schnell wie möglich veräussert oder er-
worben werden. Es werdenkeine Preis-
vorgaben gemacht, sondern es wird nur
die zu handelnde Menge angegeben.
Bei wenig liquidenTiteln und für Bör-
sen, die geschlossen sind, kann dieOrder
aber zu einemKurs abgewickelt werden,
der viel höher bzw. tiefer ausfällt, als der
Investor aufgrund derNotierung zum
Zeitpunkt derAuftragserteilung ver-
muten würde.
Um derartigeVerluste zu vermeiden,
kann für den Börsenauftrag eineLimite
für eine gewissePeriode gesetzt werden.

Damit vermeidet der Anleger, dass er zu
teuer kauft oder zu günstig verkauft. Es
besteht jedoch die Möglichkeit, dass sich
für die Preisvorstellungkeine Gegen-
partei findet und derAuftrag in der defi-
niertenFrist nicht ausgeführt wird.
Der «Stop-Loss»-Auftrag ist nur
fürVerkaufsaufträge möglich. Er eig-
net sich für Investoren, die den Aktien-
markt nicht täglich im Blick haben –
etwa in denFerien weilen – und bei
einerKursschwäche ihrenVerlust be-
grenzen möchten. DerVerkauf wird nur
ausgelöst, falls die definierte Schwelle
unterschritten wird. DerAuftrag erfolgt
dann «bestens». Falls sich die Aktie im
freienFall befindet, ist es möglich, dass
derAuftrag deutlich unter dem Schwel-
lenwert abgerechnet wird. Um das zu
verhindern,gibt es den «Stop-Limit»-
Auftrag. DieserVerkaufsauftrag weist
ebenfalls eine definierte Schwelle auf,
bei dem er ausgelöst wird. Zusätzlich
wird eine noch tiefere untere Limite ge-
wählt. Bei deren Unterschreitung wird
derAuftrag nicht mehr ausgeführt. So
verkauft der Investor bei kurzfristigen
Paniken oder Flash-Crashes nicht zu
Tiefstkursen.
Im Computersystem der Börse wer-
den Kauf- undVerkaufsaufträge zusam-
mengeführt (Matching).DasVerfahren
findet im Orderbuch statt und unterliegt
strengenRegeln.Im Orderbuch gilt für
die Platzierung die Preis-Zeit-Priorität.
Die«Bestens»-Aufträge werden vor den

Aufträgen mit Limiten berücksichtigt.
Für Letztere gilt die Preisreihenfolge.
Beim Kauf hat alsodie höchsteLimite
Vorrang. BeimVerkauf die tiefste.
Der Preis wird dort gesetzt, wo unter
BerücksichtigungallerKundenvorgaben
am meisten Aktien gehandelt werden
können. Der Briefkurs(Ask) ist der
niedrigste Preis, zu dem derVerkäufer
einenTitel anbietet.Dagegen steht der
Geldkurs (Bid), den ein Käufer zu zah-
len bereit ist. Die Differenz (Geld-Brief-
Spanne) ist die Marge, die derVerkäu-
fererhält.

VerordneteVerzögerung


Falls dieKurse eines Unternehmens
während des Handels etwa wegen einer
grossenVerkaufsorder massiv unter
Druck geraten,kommt es zu einer Han-
delsunterbrechung, einem sogenannten
«StopTr ading».Weicht beispielsweise
der wahrscheinlich nächstfolgende Preis
um mehr als 2% vom gegenwärtigen
Kurs ab, kann die Aktie während fünf
Minuten nicht mehr gehandelt werden.
Kommt es bei der Eröffnungsauk-
tion zu einem Preis, der stark vomRefe-
renzpreis abweicht, kann die Schweizer
Börse SIX als Börsenbetreiber den Han-
delsstart für eine Aktie um 5oder 15
Minuten verzögern (Delay Open). Als
Referenzpreis wird bei der Eröffnung
der Schlusskurs des vorherigen Han-
delstages herangezogen. Zu einem ver-
zögerten Startkommt es oft, wenn vor
Handelsbeginn wichtige Neuigkeiten zu
einem Unternehmen bekanntgegeben
werden und ungewöhnlich viele Inves-
toren kaufen oder verkaufen wollen.
VieleKommentatoren zitieren am
Morgen in der Schweiz den vorbörs-
lichen Handel, der einen Hinweis auf den
kommenden Börsentag gibt. DieBank
JuliusBärermöglicht zwischen 8.00und
8.45 Uhr den Handel mit SMI- und wich-
tigen SPI-Titeln.Aus diesem Handel,
der über eineBank und nicht die Börse
stattfindet, wird der vorbörsliche SMI-
Stand berechnet. Zwischen dem Ende
des Handels eines Börsentages und der
Eröffnung des nächsten Börsentages um
9.00Uhr nimmtdaselektronische Bör-
sensystemAufträge entgegen und führt
ein theoretisches Matching durch, aus
dem ein theoretischer Eröffnungskurs
berechnet wird. Eskommen aberkeine
Abschlüsse zustande.

Die Preisvorstellungen von Käufern undVerkäufern müssen übereinstimmen, damitesz um Geschäft kommt. ILLUSTRATION: JENS BONNKE

Märkte und Meinungen


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Griechenland


ANNE-BARBARA LUFT

Von knapp zehnJahren waren sie die
Schreckgespenster des Kapitalmarktes,
heute will sie jeder Investor haben. Die
Rede ist von griechischen Staatsanlei-
hen. 13 Mrd.€ wolltenAnleger ver-
gangeneWoche bei einer Neuemission
investieren. Die Gebote übertrafen das
Volumen, das Griechenlands Schulden-
manager angestrebt hatten, um einViel-
faches. Von den angepeilten 2,5 Mrd. €
kamen sie schliesslich mit einem Emis-
sionsvolumen von 2,75 Mrd. € den Inves-
toren einen kleinen Schritt entgegen.
Das grosse Interesse an der jüngs-
ten Emission griechischer Staatsanlei-
hen zeigt zum einen, dass Investoren
wiederVertrauen in das einstige Kri-
senland gefasst haben.Auch derRegie-
rungswechsel mit dem wirtschafts-
freundlichen Ministerpräsidenten Mit-
sotakis an der Spitze wirkt sich posi-
tiv auf die Stimmung der Anleger aus.
Doch das sind wohl nicht die entschei-
denden Gründe für die hohe Nachfrage
bei dieser Platzierung. Sie spiegelt vor
allem den Notstand, der am Euro-Ka-
pitalmarkt herrscht. Staatsanleihen mit
positivenRenditen sind in der Euro-
Zone zu einerRarität geworden. Grie-
chenland bietet für den Bond mit sie-

benJahrenLaufzeit einen Coupon von
1,875%–schaut man auf dieRenditen
imRest von Europa, ist das sensationell
viel. In diesemLaufzeitbereich sind die
Renditen in denKernländern negativ.
Vor knapp zehnJahren waren die
Refinanzierungskosten im Zuge der
Staatsschuldenkrise für Griechenland
dermassen gestiegen, dass der Zugang
zum Kapitalmarkt blockiert war und
ein Hilfspaket beantragt werden musste.
Erst vor gut einemJahr ist das dritte
Hilfspaket von EU und Internationa-
lemWährungsfonds(IMF) ausgelaufen.
Seither hat Griechenland bereits zwei-
mal am Kapitalmarkt Geld aufgenom-
men. DieKonditionen haben sich in die-
ser Zeitrasant verbessert. DieRendite
fürTitel mit zehnJahrenLaufzeit ist seit
Jahresbeginn um mehr als 200Basis-
punkte auf 2,2% gesunken.
Am Markt spekulieren die Investo-
ren darauf, dass die Europäische Zentral-
bank im zweiten Semester ein neues An-
leihekaufprogramm lancieren wird. Nur
schon dieAussicht auf dieRückkehr zu
dieser sehr expansivenPolitik hat in den
vergangenenWochen bereits zu einem
starkenRückgang derRenditen in ganz
Europa geführt – auch in Griechen-
land.Das Land, das noch vor weniger
als einemJa hrzehnt vor demBankrott
gerettet werden musste, kann sich heute
zu ähnlichenKonditionenrefinanzieren
wie die USA.Dabei wird Griechenland
von denRating-Agenturen nach wie vor
als Emittent des Non-Investment-Grade
eingestuft. ZuRecht warnen zahlreiche
Ökonomen vor diesen offenkundigen
Verzerrungen.Anleger gehen angesichts
der niedrigen und der negativen Zinsen
immer riskantereWetten ein, und Kapi-
tal wird so in Anlageklassen geleitet, die
ohne diePolitik der Notenbanken weni-
ger hohe Mittelzuflüsse verbuchen wür-
den. Investoren müssen sich darüber im
Klaren sein, dass dies zwangsläufig zu In-
stabilitäten führt.

Wer nach den Ferien keine bösen Überraschungen


erleben will, kann sein Portfolio absichern SEITE 22


Auf die Politik der tiefen Zins en


werden Abwertungen und höhere Steuern folgen SEITE 22


Staatsanleihen mit
positiven Renditen sind
in der Euro-Zone zu
einer Rarität geworden.

QUELLE: STATISTA NZZ Visuals/lea.

DerHandel mit Unternehmensanteilen setzt täglich Milliarden um


Swiss-Performance-Index (SPI) Swiss-Market-Index (SMI)

Marktkapitalisierung von SMI und SPI, in Mrd. Fr.

500

1000

1500

2008 2018

0

30

60

90

120

150

1980 2017

Das Volumen ist explodiert
Umfang des globalen Aktienhandels, in 1000 Mrd. $

Die Schweizer Aktien verlieren an Gewicht
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