Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1

22 GELD & FINANZEN Montag, 22. Juli 2019


ANLAGESTRATEGIE


Mit einem abgesicherten Portfolio


lässt es sich entspannter am Strand liegen


Ein Börsencrash während der Ferienist der Albtraumjedes Anlegers – mit den richtigen Vorkehrungenkannman den Schaden eingrenzen


MICHAEL SCHÄFER


Wer geht schon für mehrereWochen in
die wohlverdientenFerien und lässt zu
Hause alleFenster sperrangelweit offen
stehen?Wenn es um Geldanlagen geht,
tut das ein grosserTeil der Bevölkerung.
Nicht betroffen sind all jene, die ihrPort-
folio in die Hände einerBank oder eines
Vermögensverwalters gegeben haben.
Wer dagegen die Kauf- undVerkaufs-
entscheide in seinem Depot selbst trifft,
läuft Gefahr, dass seinPortfolio durch-
einandergewirbelt ist, wenn er aus den
Ferien zurückkehrt.


Dünnere Umsätzeim Sommer


Nun ist es zwar nicht so, dass man sich
nicht fernab der Heimat über die Ent-
wicklung an denFinanzmärkten infor-
mierenkönnte.DieFrage ist aber, wer
in denFerien die Börsen verfolgen will.
Allen modernenKommunikationsmit-
teln zumTr otz erfährt man möglicher-
weise erst mitVerzögerung vonTurbu-
lenzen an den Märkten.Wer sich dann in
einer anderen Zeitzone befindet, tut sich
unter Umständen schwer, seinenBank-
berater zu erreichen.
Aber selbst Anleger, die sich stets auf
demLaufenden halten und von einem
Markteinbruch zeitnah erfahren,wer-
den sich in vielenFällen schwertun, die
Situation ähnlich zu beurteilen und die
gleichen Entscheide zu treffen, wie sie
das zu Hause täten. Häufig wird die
Lösung sein,dasThema anzupacken,
sobald man wieder heimischen Boden
unter denFüssen hat. Der Preis ist dann
oft ein mulmiges Gefühl, das sich mit
jedemTag verstärkt, an dem sich die
Korrektur fortsetzt.Solche Einbrüche
können jederzeit geschehen, aber die
Sommermonate zählen zu den anfälli-
geren.Typischerweise sind hier die Um-
sätze an den Märkten dünner, und Kurs-
bewegungenfallen schnell gravierender
aus als sonst. Historisch gesehen, sind
auch dieRenditen im Sommerhalbjahr
niedriger als in denrestlichen Monaten,
weshalb sich die Börsenweisheit «Sell in
May and goaway» hartnäckig hält.
Grundsätzlich kommen mehrere
Möglichkeiten infrage, wie man sein


Portfolio für eine Zeit der Abwesen-
heit vorbereiten kann. EinWeg besteht
darin,die Risikenzurückzufahren, also
beispielsweise die Aktienquote zuredu-
zieren oder von riskanteren in weniger
riskanteTitel umzuschichten. Will man
seine Anlagestrategie aber nichtdauer-
haft defensiver ausrichten, ist das höchs-
tens in demAusmass sinnvoll, in dem
eine temporär erhöhte Aktienquote
wieder auf den langfristigen Zielwert
zurückgeführt wird.Würde man sichvon
mehr Aktien trennen, müsste man nach
derRückkehr einenTeil wieder zurück-
kaufen, was mit unnötigenTr ansaktions-
kosten verbunden wäre.
Alternativ lässtsicheinPortfolio mit
Verkaufsoptionen absichern. Dieseräu-
men Investoren dasRecht ein,Wert-

papierezu einem vorher definierten
Wert zu verkaufen. Sinkt beispielsweise
derKurs der Nestlé-Aktien, erhöhtsich
derWert der jeweiligenVerkaufsrechte.
Wie stark der Preis der Optionen steigt,
hängt jedoch von verschiedenenFakto-
ren ab, wie derenRestlaufzeit oder der
Volatilität der Nestlé-Aktien. Entspre-
chendvariiert der Preis einer solchen
Absicherung je nachMarktsituation und
ist bald günstiger und bald teurer. Diese
Art der Absicherung ist denn auch eher
für versierte Anleger geeignet.
Als dritterWeg bietet sich das Set-
zen von sogenannten Stop-Loss-Orders
(S LO). Wie bei einer Absicherung mit
Verkaufsoptionen werden hier erst ein-
malkeineWertpapiere aus demPortfolio
verkauft.Das hat denVorteil, dass An-

leger weiterhin in vollem Umfang von
steigenden Aktienkursen profitieren,
wenn die gute Stimmung an den Bör-
sen anhält,die derzeit vornehmlich durch
die von den Notenbanken inAussicht ge-
stellte lockere Geldpolitik getragen wird.
Bei einer SLO werdenWertpapiere dann
verkauft, wenn deren Preis einegewisse
Marke erreicht bzw. unterschreitet.
DieserVerkauf wird dann automa-
tisch getätigt und zwar mit dem Order-
zusatz «bestens». Das heisst, diePapiere
werden zum nächstmöglichen Kurs
veräussert. Bei einem Stop-Loss von
Fr.100.30 (es empfiehlt sich, runde Be-
träge zu vermeiden, da bei diesen die
Gefahr besteht, dass viele solche Orders
platziert wurden,die dann gleichzeitig
ausgelöst werden) kann das bedeuten,

dass diePosition bei einemKurs von
Fr. 100.25 verkauft wird. Ebenso ist es
aber möglich, dass es beiFr. 98.45 oder,
falls der nächsteKurs höher liegt, bei
Fr.100.40 zum Abschlusskommt. Bei
wenig liquidenTiteln mit geringen Um-
sä tzen muss mit grösseren Abschlägen
ge rechnet werden, wenn es an den Bör-
sen zueinem starkenKursrutschkommt.
DieAusgestaltung der Stop-Loss-
Orders hängt von der jeweiligen Si-
tuation des Anlegers ab. Häufig wird
empfohlen, den Stopp-Loss 10% unter
dem aktuellenKurs einzuziehen, da-

mit nicht bereits gewöhnliche kurzfris-
tige Schwankungen einenVerkauf aus-
lösen.Wemesaber nichtnur darauf an-
kommt, grosseVerluste zu vermeiden,
sondern auch Gewinne zu sichern, kann
ohneweiteres einen kleineren Abstand
zum gegenwärtigenKursniveau wählen.

Auf mehrereTranchen aufteilen


Ausserdem kann es sinnvollsein,eine
SLO auf mehrereTr anchen aufzuteilen,
so dass beispielsweise je ein Drittel der
relevantenTitel 5, 10 und15% unter dem
aktuellenKursverkauft wird. Die Be-
träge bzw. Stückzahlen sollten so gewählt
werden, dass, wennalleAufträge ausge-
löst werden, die strategische Aktienquote
verbleibt, mit der man bereit ist, längere
Durststrecken an den Börsen durchzuste-
hen. Ideal istes natürlich, wenn man aus
denFerien zurückkommt undkeine SLO
ausgelöst wurde. Dann hat dasPortfolio
schlimmstenfalls nur wenig Schaden ge-
nommen, dieKosten halten sich in engen
Grenzen, und man kann das Steuer wie-
der selbst in die Hand nehmen.

Wersein Portfolio selber bewirtschaftet, riskiert, dass dieses nach den Ferien durcheinandergewirbelt ist. ATHIT PERAWONGMETHA / REUTERS

Ein Weg besteht darin,
die Risiken
zurückzufahren,
also beispielsweise
die Aktienquote
zu reduzieren.

WELTWIRTSCHAFT UNDFINANZMÄRKTE


Ein neues Paradigma


Auf die Politik der tiefenZinsenwerdenAbwertungen, höhere Steuern und eineMonetisierung vonSchuldenfolgen


ANDREAS UHLIG


Die neue Lockerung der Geldpolitik
durch Zinssenkungen und zusätzliche
Wertpapierkäufe (quantitative Locke-
rung), die an denFinanzmärkten er-
wartet wird, hat unteranderem das Pro-
blem, dass sie, wie andere Massnahmen,
dem Gesetz des abnehmenden Grenz-
ertrags unterliegt.Dieses Gesetz, eigent-
lich eineRegel, wurde im18.Jahrhun-
dert vom französischen Ökonomen
JacquesTurgot formuliert. Seine Gül-
tigkeit auch für die moderne Geldpoli-
tik hatTorsten Slock, Ökonom bei der
DeutschenBank, anhand der Ergeb-
nisse einerReihe von akademischen
Studien veranschaulicht.


Abnehmender Grenznutzen


Der Einfluss der quantitativen Locke-
rung auf die langfristigen Kapitalmarkt-
zinsen in den USA ist mit jedem neuen
Programm schwächer geworden. Im
Durchschnitt dieser Analysen beträgt die
erzielte Zinsreduktion bei QE1 60Basis-
punkte, bei QE2 20Basispunkte und bei
QE3 nur noch 10Basispunkte. Die zu-
sätzlich aufgetretenen, unbeabsichtigten


Begleiterscheinungen – wie dieVerzer-
rung von Preisen vonVermögenswerten


  • schadeten mehr, als sie nützten, sagt
    Jim Leaviss von M&G Investments.
    Aufgrund des abnehmenden Grenz-
    nutzens scheint sich die seit derFinanz-
    krise verfolgtePolitik, durch immer tie-
    fere Zinsen und höhereWertpapierkäufe
    dieWirtschaft und dieFinanzmärkte zu
    stabilisieren und zu stimulieren, dem
    Ende ihrer Nützlichkeit genähert zu
    haben. So zumindest lauten Überlegun-
    gen vonRay Dalio, Co-Chef des Hedge-
    Fund Bridgewater. Er hat sich in jüngs-
    ter Zeit häufigund intensiv zu Markt-
    undPolitikentwicklungen geäussert und
    so für Gesprächsstoff gesorgt.
    Dalio beschreibt Phasen von je rund
    zehnJahren, in denen Markt undPolitik in
    einem bestimmtenParadigma operieren,
    bevor eine neue Phase beginnt. In jeder
    Phase passen sich die meistenPolitiker,
    Marktteilnehmer und Entscheidungsträ-
    ger dem herrschendenParadigma an –
    und zwar so sehr, dass es zu Übertrei-
    bungen mit nachfolgendemParadigma-
    wechselkommt. Getragen werden die
    einzelnenParadigmen immer von Kräf-
    ten, die nicht dauerhaft aufrechterhal-
    ten werdenkönnen. Beispiele sind un-


gebremstesWachstumderVerschuldung
oder langePerioden von sehr niedriger
Volatilität. Irgendwann treten eine Über-
schuldung, eine Zunahme derVolatilität
oder andere Entwicklungen ein, worauf
Investoren nicht vorbereitet sind. Ein
Paradigmawechsel droht.
Die letzten fünfParadigmen inDa-
lios hundertJahre umfassender Liste
sind die Stagflation der1970erJahre,
die Disinflation der1980erJahre,die
Marktblasen samt ihrem Platzen in den
1990er und 20 00 erJahren und dieRefla-
tionsversuche nachderFinanzkrise. Die-
ses letzteParadigma ist charakterisiert
durch aggressive monetäre Lockerung
undVerhaltensanpassungen der Inves-
toren, die sicherePapiere an die Noten-
banken verkauften und auf der Suche
nach Erträgen in immer riskantereAn-
lagen flüchteten.
Das geltendeParadigma lässt sich
nicht mehr lange aufrechterhalten. Die
Zinsenkönnennicht viel tiefer gesenkt
werden,Wertpapierkäufe haben einen
weiter abnehmenden Nutzen. Aber auch
andere stützende Kräfte werden anWir-
kung verlieren: dieWelle von Buybacks,
Fusionen, Private-Equity-Investitionen,
gekürzte Unternehmenssteuern und die

durchAutomation und Globalisierung
erreichteReduktion der Arbeitskosten.

Drohende Konflikte


Der Zeitpunkt des nächstenParadigma-
wechsels ist offen. Zu denAuslösern
werde gehören, dass die Notenbanken
mit ihrem heutigen Instrumentarium an
der nächsten Krise scheitern würden. Die
hohen Schulden und andereVerpflich-
tungen wiePensionsleistungen würden
durch die Aktiva ohneRendite nicht ge-
deckt, und Anleger würden unrentable
Papiere nicht länger halten, meintDa-
lio. Das neueParadigma, vielleicht «big
squeeze» genannt, werde eine Moneti-
sierung von Schulden,Währungsabwer-
tungen und Steuererhöhungen umfas-
sen. Gleichzeitig werde es interne soziale
Konflikte über dieVerteilung der natio-
nalenWertschöpfung und externeKon-
flikte zwischenLändern über dieAuftei-
lung des globalenKuchens und des glo-
balen Einflusses geben. Zum Bezahlen
ihrer hohen Schulden werdenRegierun-
gen und Notenbanken weiter Geld dru-
cken, das immer weniger wert ist. DieFol-
gen des auslaufendenParadigmas wer-
den also alles andere als erfreulich sein.

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