Neue Zürcher Zeitung - 22.07.2019

(Greg DeLong) #1
Montag, 22. Juli 2019 INTERNATIONAL 3

Die Royal Navy ist am Golf überfordert


Zum Schutz der Öltanker stehen zu wenige Fregatten zur Verfügung, und diplomatisch treibt Amerika London in die Enge


MARKUS M. HAEFLIGER, LONDON


Die britischeRegierung will die Kape-
rung der «Stena Impero» durch dieira-
nischenRevolutionswächter nicht uner-
widert lassen.Wie die Sonntagspresse
berichtet, plantAussenministerJeremy
Hunt für Montag die Ankündigung von
diplomatischen und wirtschaftlichen
Sanktionen gegenTeheran.Darunter
würde das Einfrieren von iranischen
Kapitalanlagen in Grossbritannien fal-
len, schreibt derkonservative «Sunday
Telegraph». Eine weitere Möglichkeit
besteht darin, sich innerhalb der EU
für dieWiederaufnahme von Sanktio-
nen einzusetzen, die vor dreiJahren im
Rahmen des Atomabkommens mit Iran
aufgehoben wurden.


Risiko ausser acht gelassen


Die iranischenRevolutionswächter hat-
ten amFreitag in der Strasse von Hor-
muz den unter britischer Flagge fah-
renden Öltanker «Stena Impero» auf-
gebracht; das Schiff und die internatio-
nale Besatzung werden im militärisch
befestigten Hafen vonBandar Abbas
festgehalten. DieRegierung in London
empfiehlt kommerziellen britischen
Schiffen, die St rasse von Hormuz vorerst
zu meiden. Der Sicherheitsausschuss des
Kabinetts tagte seit der Nacht auf Sams-
tag mehrmals.
Die politischeFührungin London
muss sich dieFrage gefallen lassen, wes-
halb sie nicht besser auf die Krise vor-
bereitet war. Diese war vorausgesagt
worden, seitdem die Behörden des bri-
tischenTerritoriums Gibraltar am 4.Juli
das iranische Schiff «Grace1» unter
demVerdacht festgesetzt hatten, eine
Erdöllieferung fürSyrien getankt zu
haben; dies würde gegen die Sanktions-
politik der Europäischen Union gegen-
überSyrien verstossen.AmFreitag hatte
ein Gericht in Gibraltar die Beschlag-
nahmung um30 Tage verlängert; wenige
Stunden später schlugen dieRevolu-
tionswächter zu.
Unter anderen kritisierte derAdmi-
ral imRuhestand AlanWest, ein ehe-
maliger Oberbefehlshaber derRoyal
Navy, die mangelndeVorbereitung an-
gesichts derLage. Keinem unter briti-
scher Flagge fahrenden Schiff hätte es
unter den Umständen erlaubt sein dür-


fen, die Schifffahrtsstrasse imPersischen
Golf ohne militärische Eskorte zu be-
fahren, sagteWest dem Nachrichten-
sender Sky News.

Zu weit vom Geschehen entfernt


Bereits vor zehnTagen hattenRevolu-
tionswächter versucht, denTanker «Bri-
tish Heritage» zu einer Richtungsände-
rung zu zwingen und an dieKüste zu
dirigieren. DerVorfall verlief nur darum
glimpflich, weil das britischeFregatte
«HMS Montrose» in der Nähe patrouil-
lierte und die iranischen Schnellboote
verscheuchenkonnte. Diesmal befand
sich die «Montrose» knapp eine Stunde
vom Ort des Geschehens entfernt.Auf
einen Hilferuf hin eilte sie der «Stena
Impero» zu Hilfe, kam aber zu spät. Der
Tanker soll sich bereits in iranischen
Gewässern befunden haben, den Bri-

ten waren die Hände gebunden, woll-
ten sie denKonflikt nicht weiter eska-
lieren lassen.
Laut einer am Sonntag von einerpri-
vaten Überwachungsfirma freigegebe-
nenTonaufnahme desFunkverkehrs
zwischen dem Kapitän des Kriegsschif-
fes, der Brücke des Öltankers und dem
Einsatzkommando der Revolutions-
wächter machte die «HMS Montrose»
die Iranerdarauf aufmerksam, dass sich
die «Stena Impero» rechtmässig auf
einer international anerkanntenRoute
bewege. Daraufhin wiederholte der ira-
nischeKommandant auf Englisch die
Zus icherung an dieTankerbesatzung,
dass sie nicht behelligtwerde, wenn
sie den gefordertenKurswechsel ein-
leite.Als ihn der Kapitän derFregatte
aufforderte zuzusichern, dass er nicht
plane, den Öltanker illegal zu entern, be-
stätigte der Iraner:«Wir beabsichtigen

keine Behinderung [challenge]; wir wol-
len das Schiff aus Sicherheitsgründen in-
spizieren.» Die Zusicherung sollte sich
als Lügeerweisen.
Der Vorfall zeigt, dass die Navy mit
der Aufgabe überfordert ist, im Allein-
gang britischeFrachtschiffe imPersi-
schen Golf zu beschützen. Zu wenige
Bes tände der Navy sollen an zu vie-
len Orten gleichzeitig sein.Laut David
Richards, einem früheren Generalstabs-
chef der britischen Streitkräfte, wären
fünf oder sechsFregatten nötig, um bri-
tischen Öltankern an der Strasse von
Hormuz eine sicherePassage zu garan-
tieren.Tatsächlich schickt die Navy im
Persischen Golf bloss zwei Kriegsschiffe
auf Patrouille. Laut Richards hat Lon-
don in denvergangenenJahren zu wenig
Geld in die Kapazitäten der Navy inves-
tiert, umkommerzielle Schifffahrtsrou-
ten schützen zukönnen.

Britische Sicherheitsexperten warnen
vor einer weiteren Verschärfung des bri-
tisch-iranischen Konflikts. Das Potenzial
dafür ist vorhanden. Erstens erlaubt die
fortgesetzteFesthaltung der «Grace 1»
in Gibraltar den USA, Ansprüche auf
den iranischen Öltanker zu erheben.Ein
amerikanisches Gericht müsste lediglich
dessen Einzug als zivileVermögensbe-
schlagnahmung anordnen – dieFolge
wäre zumindest ein langes gerichtliches
Verfahren.

Eskortenmit den USA?


Zweitens wird London durch die Affäre
zunehmend gedrängt, sich für einVor-
gehen zu entscheiden – entweder dem
harten amerikanischenKurs gegenüber
Iran zu folgen oder weiterhin demjeni-
gen der EU, die das Atomabkommen
mit Teheranrett en will.Theresa May hat
das amerikanische Angebot,einer Ope-
ration zum Schutz der internationalen
Seefahrtswege imPersischen Golf bei-
zutreten, ausRücksicht auf die EU bis-
her abgelehnt. Nun werden gemeinsam
mit den USA durchgeführte militärische
Eskorten offenbar ernsthaft in Erwä-
gung gezogen.Laut Verteidigungsminis-
terinPenny Mordaunt handelt es sich
bei der Beschlagnahmung des Super-
tankers um einen «feindlichen Akt».
ProTag durchfahren15 bis 30 Erdöl-
tanker unter britischer Flagge die Mee-
resstrasse von Hormuz.
DieBritensind – wegen Gibraltar,
wegen der ungenügenden Präsenz der
Navy sowie aus historischen Gründen


  • amPersischen Golf stärker exponiert
    als andere EU-Staaten. Die Amerikaner
    warten nur darauf, sie als Alliierte unter
    dieFittiche zu nehmen, um gemein-
    sam amerikanische und britische Erdöl-
    tanker gegen Übergriffe zu verteidigen.
    Dass sich die Krise zuspitzt, während
    in London einRegierungswechsel vor-
    bereitet wird, verstärkt die Unsicherheit
    zusätzlich. Amkommenden Mittwoch
    soll der Nachfolger vonTheresa May
    ins Amtdes Premierministers eingeführt
    werden – voraussichtlich wird es Boris
    Johnson sein, dem DonaldTrump per
    Tweet bereits seine Unterstützung zu-
    gesagt hat.Fest steht, dass Mays Nach-
    folger bei Amtsbeginn ein aussenpoli-
    tisches Problem von der Grösse eines
    Supertankers vorfinden wird.


Die britischeFregatte «Montrose», hier in einem Bild von2012, kam beim jüngstenTanker-Vorfall im Golf zu spät. JOEL ROUSE / EPA

Irans Revolutionswächter sabotieren die Diplomatie


Die Regierung in Teheran ist zu Verhandlungen mit den USA bereit – zum Verdruss der Hardliner, die weiter auf Eskalation setzen


INGAROGG, ISTANBUL


Iran zeigt sich im Streit mitWashing-
ton um sein Atomprogramm plötzlich
zu Zugeständnissen bereit. Zuvor hatte
es sich monatelangkompromisslos ge-
geben.Auf die amerikanischen Sank-
tionenreagierte es, indem es einenTeil
seinerVerpflichtungen aus dem Atom-
abkommen von 2015 aufkündigte.Ame-
rik amüsse zum«Joint Comprehensive
Plan ofAction», so der offizielle Name
des Abkommens, zurückkehren, hiess
es jeweils.Am Rande eines Besuchs
in NewYork erklärteAussenminister
Javad Zarif Ende vergangenerWoche
jedoch, dassTeheran bereit sei, das Zu-
satzprotokoll der Internationalen Atom-
energieagentur (IAEA) zuratifizieren.
Das Protokollräumt den Inspektoren
der IAEA besseren Zugang zu Irans
Nuklearanlagen ein – auch zu denen, die
Teheran bisher nicht als solche dekla-
riert hat. Zwar hält sich Iran bereits
jetzt provisorisch an das Zusatzproto-
koll, aber bei einerRatifizierung wäre
dieses dauerhaft gültig.


Eher symbolisches Angebot


Das iranische Parlament, der Majlis,
müsste das Zusatzprotokoll gemäss dem
Atomabkommen spätestens 2023ratifi-
zieren. Iran sei bereit, diesen Prozess zu
beschleunigen, sagte Zarif. Im Gegen-


zug forderte er von der amerikanischen
Regierung dieAufhebung der von Prä-
sidentTrump verhängten Sanktionen.
Trump hat sich bisher nicht zu dem An-
gebot geäussert. Er erklärte in jüngs-
ter Zeit aber wiederholt, dass er zu Ge-
sprächen ohneVorbedingungen bereit
sei. Den Amerikanern dürfte das eher
symbolische AngebotTeherans aller-
dings nicht genug weit gehen.Aussen-
minister MikePompeo hatte im letzten
Jahr einen Zwölf-Punkte-Katalog ver-
öffentlicht, denTeheran erfüllen müsse,
bevor die Sanktionen aufgehoben wür-
den.Washington will unter anderem er-
reichen, dass Iran die Urananreicherung
ganz einstellt, seinRaketenprogramm
zurückfährt und die Unterstützung für
«Terrorgruppen» beendet.
Nicht zuletzt hinsichtlich desRake-
tenprogramms sind die Iraner weiterhin
zu keinen Zugeständnissen bereit.Das
liegt auch daran, dass sichTeheran von
seinen Rivalen am Golf bedroht fühlt,
die im grossen Stil vondenVereinigten
Staaten und anderenLändern aufgerüs-
tet werden. Zarif machte aber deutlich,
dass dasVerhandlungsangebot ernst ge-
meint ist. Die Anreicherung von Uran
über die durch das Atomabkommen er-
laubte Obergre nze hinaus, die Iran An-
fangJuli aufgenommen hat,könne jeder-
zeit wieder zurückgefahren werden. «Es
geht nicht um einenFototermin.Wir
sind an Substanz interessiert», sagte der

Aussenminister laut den anwesenden
Journalisten. Gemäss Medienberichten
traf sich Zarif auch mit demrepublika-
nischen SenatorRand Paul, der angebo-
ten hat, eine vermittelndeRolle zu über-
nehmen.

Tankerbesatzungsitzt fest


So wenig wieTrump hatsich bisher
RevolutionsführerAyatollahAli Kha-
menei zumVorstoss desAussenminis-
ters geäussert. Dass Zarif ohne die
Rückendeckung von Khamenei, der
in allenFragen das letzteWort hat, so
weit gehen würde, ist unwahrschein-
lich. InTeheran gibt es freilich mäch-
tige Kreise, die kein Interesse an einer
gütlichen Einigung haben. Dazu zählen
allen voran dieRevolutionswächter,die
mit ihren eigenen Militär- und Geheim-
dienstabteilungen sowie ihrengrossen
Wirtschaftsunternehmungen und Stif-
tungen quasi einen Staat imStaat bilden.
Diese schlagkräftigeTruppe hat den
Vorstossdes in Amerikaausgebildeten
Aussenministers denn auch bereits tor-
pediert.Während Zarif in NewYork
seineFühler ausstreckte, setzten die
Revolutionswächter in der Strasse von
Hormuz einen britischen Öltanker fest.
Das Schiff, die «Stena Impero», habe
gegen die internationale Schifffahrtsord-
nung verstossen und sei an dieKüste ge-
bracht worden, erklärte dieTruppe am

Freitagabend. Es sei mit abgeschalte-
temPositionssystem unterwegs gewe-
sen.Laut iranischen Medienberichten
liegt die «Stena Impero» jetzt im Hafen
vonBandar Abbas in der Provinz Hor-
muzgan. Der dortige Leiter der Hafen-
und Schifffahrtsbehörde erhob weitere
Vorwürfe gegen die Crew. Der Öltan-
ker habe ein iranischesFischerboot ge-
rammt.Der Kapitän desBoots habever-
sucht, den Öltanker anzufunken, doch
dieser habe nichtreagiert.
Die 23 Besatzungsmitglieder stam-
men nach iranischen Angaben aus
Indien, Russland, den Philippinen,
Litauen und weiterenLändern. Sie wer-
den auf dem Schiff festgehalten.Die
«Stena Impero» habe sich in internatio-
nalen Gewässern befunden, als sie von
kleinen Schnellbooten und einem Heli-
kopter bedrängt worden sei, teilte die
Eigentümerin mit.Danach habe man
mit der CrewkeinenKontakt mehr her-
stellenkönnen. DieRevolutionswäch-
ter brachten vorübergehend noch einen
weiteren britischen Öltanker auf, die
unter liberianischer Flagge fahrende
«Mesdar». Dreieinhalb Stunden später
konnte das Schiff seineFahrt wiederauf-
nehmen.
Folgt man den Medienaus dem Um-
feld derRevolutionswächter, handelt es
sich bei der Beschlagnahmung um eine
Vergeltungsaktion dafür, dass britische
Marine-Einheiten jüngst vor Gibraltar

einen iranischen Öltanker aufgebracht
hatten.Dass dieser auf demWeg nach
Syrien gewesen sei, einVerstoss gegen
das EU-Embargo, bestreitetTeheran.

UnheimlicheSerie


Die Beschlagnahmung der «Stena
Impero» ist der jüngsteVorfall in einer
ganzen Serie von Zwischenfällen in der
Region seit dem Mai. Die Amerikaner
und die Briten beschuldigen die Iraner,
hinter Angriffen auf sechs Schiffe zu ste-
cken.Fachleute sprechen vom höchsten
Risiko für den zivilen Schiffsverkehr am
Golf seit Ende der achtzigerJahre. Wäh-
rend des sogenanntenTankerkriegs hat-
ten die Iraner dieDurchfahrt durch die
Strasse von Hormuz zeitweise blockiert.
Im Juli schossen iranische Einheiten zu-
dem eine Drohne der USA ab.
Die USA haben zahlreiche Kriegs-
schiffe in der StrassevonHormuz im
Einsatz,die die Sicherheit des Ölhandels
garantieren sollen – rund einFünftel
des globalen Erdölangebots wirddurch
diese Meerenge transportiert. Die ame-
rikanische Marine schoss am Donners-
tag eine iranische Drohne ab, ein Vor-
fall, denTeheran dementiert.Darüber
hinaus hatTrump zusätzlicheTruppen
in dieRegion verlegt – erstmals seit lan-
gem auch wieder nach Saudiarabien.
König Salman gab grünes Licht für die
Stationierung von 500Amerikanern.
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